Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Rückwärts immer, vorwärts nimmer
Ich wußte, ich machte mich unbeliebt, denn es hatte wirklich lange genug gedauert, bis Kind und Kegel am knatterheißen Tag im Automobil verstaut gewesen waren; sagte es, nachdem die Fuhre endlich in Fahrt gesetzt war, aber nach lächerlichen 500 Metern doch: Ich dreh hier noch mal um, ich hab das Wasser an der Waschmaschine nicht abgestellt. Die hat doch einen Aqua-Stop, sprach die Gattin mürbe. Egal, sagte ich, ein Aqua-Stop ist ein Aqua-Stop, aber ein von vornherein zugedrehter Wasserhahn ist ein von vornherein zugedrehter Wasserhahn.
Es ist tatsächlich nicht die geringste meiner Ängste, Opfer eines Wasserschadens zu werden; denn ausgebrannt, da ist wenigstens alles weg, und man kann offiziell bei null anfangen, während der Wasserschaden mich am faulig-schlammigen Sterben meiner Dinge, an ihrem Zugrundegehen noch teilhaben läßt. Ich kann die Aufregung der Menschen an Flüssen mit steigenden Pegeln also durchaus verstehen, die Verzweiflung, wenn einem zum zweiten Mal in zehn Jahren alles weggeschwemmt und zugeschlammt wird, und es ist wahrscheinlich wirklich eine schöne Geste, wenn da, wo die Dämme aufweichen, Freiwillige helfen, die Sandsäcke zu füllen. Unschön, ja widerwärtig dagegen das nationale Tremolo, das der Staatsfunk, der sich für einen freien hält, auf allen Sendern dazu anstimmt, und kaum ein Bildbericht, der nicht ergriffen vom „Elend“ der Flutopfer sprach, worunter ich mir, bei aller Empathie, dann aber doch etwas anderes vorstelle als unter Wasser gesetzten Hausrat. Eine große Scheiße, ein Unglück, gewiß; aber Elend?
„Günther Jauch ist eine unmoralische Sau“ Stuckrad-Barre, 1998
Am Abend, auf dem Fernsehsofa der Eltern, dann nach dem Sonntagskrimi Jauch, der aus seinem Gasometer heraus ca. „einen ganz anderen Abend als gewohnt“ ankündigt, und im Hintergrund sitzt tatsächlich ein Dutzend Fernsehprominenter von Fl. Silbereisen über die ostzonale Showtonne Emmerlich bis hin zum Berliner Tatort-Ermittler Aljinovic und nimmt, ein schlechter parodistischer Witz, telefonisch Spenden entgegen, und die Forderung des journalistischen Übervaters Friedrichs, wonach Journalismus sich niemals und unter keinen Umständen mit einer Sache gemein machen darf, auch nicht mit einer guten, löst sich derart sicht- und greifbar in die nationale Luft auf, daß ich unter dem Hinweis, nicht Zeuge einer Sammelaktion des Winterhilfswerks sein zu wollen, die Szene verlasse. Zum Zeitpunkt meiner Flucht sind knappe 7 Millionen Euro gesammelt worden, und das ist natürlich objektiv ein Witz, wie die ganze Aktion bloß der fadenscheinigste Vorwand für nationalen Solidaritätszirkus ist, in dem der Journalistendarsteller Jauch keine Parteien mehr kennt, sondern nur noch Deutsche; Deutsche, deren persönliche Katastrophe unter fanatischer Mitwirkung unserer Unterhaltungskünstler zum nationalen Rührstück aufgequirlt wird, daß Goebbels es sich nicht besser hätte ausdenken können.
Auch einfache Wahrheiten sind, mit Brecht, Wahrheiten, und die Willfährig- und Hemmungslosigkeit, mit der das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch die letzten Reste journalistischer Distanz fahrenläßt und in die neue alte Zeit vorwegmarschiert, ist stets aufs neue atemberaubend. Rückwärts immer, vorwärts nimmer; und daß es auf keinen Fall anders kommt, dafür stehe noch ich mit meinen Zwangsgebühren ein. Und bezahle diese Dummköpfe auch noch.
Kann man es mir da verdenken, wenn ich die Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2013 für einen freundlich totalen Staat zu halten immer weniger umhin kann?
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