Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Gute Unterhaltung
Es gibt, meldet die Morgenzeitung, nicht nur zuviel Fernsehkrimi, es gibt auch immer mehr davon, aus der Krimiwelle sei längst ein „Tsunami“ geworden: „Neben dem Tatort, der inzwischen 40 Sonntage jährlich zum Totensonntag macht, hält sich das Erste noch den Donnerstag fix frei für Täter und Opfer. Das ZDF ermittelt samstags, montags und freitags zur Prime Time, sendet morgens alte und dienstagabends neue Folgen der Rosenheim-Cops und hat inzwischen in beinahe jeder mittelgroßen Kleinstadt eine Sonderkommission laufen.“ Die Sender, heißt es weiter, können sich darauf berufen, daß die Leute wirklich soviel Krimi wollen, Nachfrage und Angebot, und da an dieser Stelle keine Zeit für kultursoziologische Doktorarbeiten ist, versuchen wir’s in Kürze: Die Welt ist kriminell, und noch der simpelste Krimi spiegelt das und hebt es, mindestens „für den Moment“ (Claus Kleber), auf, in der Lösung natürlich und/oder im Gag. Der jüngste Tatort aus Münster, eine, wie zu lesen war, stur nach Schema gestrickte Pointenrevue, muß wohl einen Quotenrekord erzielt haben, und wer das deprimierend findet, der kaufe sich Rainer Werner Fassbinders frisch auf DVD renovierte „Familienserie“ von 1972/73, „Acht Stunden sind kein Tag“, in der es, wenn auch partiell etwas hölzern, um so verrückte Sachen wie Solidarität am Arbeitsplatz, fehlende Kindergartenplätze, Mietwucher oder Abhängigkeit in der Ehe geht. Und nicht darum, wer gestern um wieviel Uhr wo gewesen ist.
Was das nun, Szenenwechsel pur, mit dem neunjährigen Gymnasium zu tun hat, das Bayern, nach jahrelangem wutbürgerlichem Gezeter, jetzt re-installiert? Was mit der u.a. in Berliner Grundschulen gepflegten Lernmethode „Schreiben nach Gehör“: „Di foirwer retete eine oile aus dem Stal“, die, Späßchen des Weltgeistes, in der FAZ ein „empörter Gymnasiallehrer“ namens Rainer Werner für Schwachsinn und eine „Zumutung“ hält, vermutlich sogar mit Recht? Was mit der grundschulischen Abschaffung der klassischen Schreibschrift zugunsten einer „Grundschrift“ aus Druckbuchstaben, die, wie die foirwer auch, das Lernen erleichtern soll, zumal ja eh kein Aas mehr mit der Hand schreibt und die „Digitalisierung“ der Schulen allerorts promotet wird? Was mit den ständig wechselnden Säuen, die da durchs Bildungsdorf gejagt werden, ohne daß man dem wirklichen Desiderat, der Schule für alle, die keine Sortiermaschine in höherem (d.i. niederem, d.i. DAX-) Interesse wäre, auch nur ein Schrittchen näher käme? Weil man’s halt auch gar nicht will?
„Zeichen, Farben, es ist / ein Spiel, ich bin bedenklich, / es möchte nicht enden / gerecht.“ Bobrowski, 1961
Der Krimi, wie er Tag für Tag stumm wegkonsumiert wird, erklärt nichts; täte er’s, würde er nicht als die Maschine zur Komplexitätsreduktion geliebt, die er ist. Er vereinfacht, was sich, ohne zu lügen, nicht vereinfachen läßt. Er verkleistert nicht nur die Wirklichkeit, er verkleistert noch die Fähigkeit, sie zu erkennen. Ähnlich dient das perennierende Bildungsbrimborium der Ablenkung, denn daß Schule, wiederum in aller Kürze, eine fürs Kind – für alle Kinder – und nicht die Konkurrenzinteressen von juste milieu und BDI sein müßte, läßt sich nicht dadurch herbeiflunkern, daß man die Rechtschreibung vereinfacht, das Gymnasium erst verkürzt und dann wieder versoftet oder sonst eins der ewigen „Angebote“ macht, wo das, was wirklich anzubieten wäre, doch vorenthalten wird.
Steil, vulgärdialektisch gedacht? Mag sein. Aber seit Wochen laden im örtlichen Kindergarten die Grundschulen per Aushang zu „Schnuppertagen“ und „Hospitanzen“, und zwar fürs Schuljahr 2018/19, mit Bio-Essen hier und Projekt-Tamtam da, und im Tatort heute abend geht es um Flüchtlinge. Also, nicht eigentlich um Flüchtlinge, denn „der Sonntagabendkrimi ist nun mal ein Unterhaltungsformat“ (SZ). Und die Schule der Leistungsgesellschaft eben nicht.
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