Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Eigentum vernichtet
Daß jetzt hoher Sommer ist, merke ich nicht daran, daß ich den lieben langen Tag auf dem Balkon verhocke, sondern an Spiegel-Titeln wie diesen: „Die Magie des Mitgefühls. Hirnforscher erkunden das Geheimnis der Empathie“. Der Teaser geht sogar so weit, von der „Macht“ des Mitgefühls zu raunen: „Das Gehirn ist ein soziales Organ – dank bestimmter einflußreicher Nervenzellen erlebt es unbewußt mit, was in anderen Menschen vorgeht. Jetzt ergründen Forscher, wie Empathie und Hilfsbereitschaft sich trainieren lassen.“
Der Trainingsrückstand ist global allerdings ein erheblicher. In 112 Staaten wird laut amnesty international im behördlichen Auftrag gefoltert. Im Sinai, berichtet das SZ-Magazin in einer tatsächlich erschütternden Reportage, entführen Beduinen Schwarzafrikaner und foltern sie solange, bis die armen Verwandten, die am Telefon Zeuge werden müssen, wie dem Sohn oder der Nichte beispielhaft die Handgelenke zertrümmert werden, ein Lösegeld beisammen haben; da das Lösegeld 30 000 Dollar beträgt, eine in zumal Eritrea ganz und gar wahnsinnige Summe, überleben es viele nicht, und wenn sie es überleben, dann als körperliche und seelische Krüppel. „[Ein Folterer] erzählt gelassen, als spräche er über die Pfirsichernte, wie sie Frauen in Strohzäune einrollten und anzündeten; wie sie ein Baby von der Brust der Mutter rissen, es erwürgten und damit Fußball spielten; wie sie ein Erdloch mit Glut füllten, einen Metallrost darüber legten und ihre Opfer auf die glühenden Stäbe warfen. ,Afrikanisches Barbecue', sagt der Mann und nippt an seinem Tee. ,Schwarzes Fleisch.'“ Ein Horrormärchen; dafür, daß es wahr ist, spricht u.a. P. Brückners vierzig Jahre alte „Sozialpsychologie des Kapitalismus“, die vom Brauch lateinamerikanischer Militärdiktaturen wußte, Babys im Angesicht der Eltern zu foltern, wie es bekanntlich der römischen Hochzivilisation für unproblematisch galt, einem Menschen Nägel durch Hände und Füße zu treiben und ihn über Stunden, über Tage hinweg an einem Holzkreuz verrecken zu lassen.
„Zwar die tägliche Scheußlichkeit stört / doch sie wundert uns wenig.“ Enzensberger, 1981
Zweitausend Jahre, fast nichts ist passiert: „Was will [der Beduinenjunge] Abu machen, wenn er mit der Schule fertig ist? ,Afrikaner foltern', sagt der Junge plötzlich. Wir steigen nicht darauf ein. Vielleicht hat er gehört, daß wir an dem Thema interessiert sind, und will uns imponieren. Aber Abu geht mit leuchtenden Augen ins Detail: ,Ihnen glühende Nägel durch die Hände schlagen, sie mit kochendem Wasser übergießen, 30 000 Dollar Lösegeld kassieren und sie dann für 5000 Dollar weiterverkaufen.'“ Das ist so die Magie des Mitgefühls, und Empathie keine Frage von Gehirnjogging, sondern eine von 120 Euro, die eins als Folterknecht bekommt, wo es anders kein Geld zu verdienen gibt. „,Keine Arbeit, kein Geld, keine Zukunft', sagt Abdel auf dem Beifahrersitz. ,Kein Wunder, daß viele von uns zu Kriminellen werden.'“
Die alte Frage, ob der Mensch gut sei oder schlecht, läßt sich mindestens insoweit beantworten, als er unter dem Regime von Haben und Nichthaben, von Macht und Ohnmacht durchaus dazu neigt, ein Monster, eine Drecksau, eine Schande fürs Universum zu sein. Da braucht man nicht nach Afrika zu schauen, da reicht Osteuropa, wo das depravierte Kleinbürgertum nur darauf wartet, eine Rechnung zu begleichen, von der es glaubt, es habe sie ausgerechnet mit den ungleich depravierteren Roma offen (vgl. den z.Z. vielrezensierten ungarischen Film „Just the Wind“); da reicht selbst der Blick in deutsche Zeitungen, wo reformfaule Griechen an unser Geld wollen. Eine jüngere anthropologische These lautet, Krieg sei in besitzlosen Jäger- und Sammlergesellschaften konzeptuell unbekannt, Gewalt in diesen Gesellschaften kein konzertiertes Gruppen-, sondern ein individuell-isoliertes Phänomen. Daß Eigentum vernichte, sollten wir als Möglichkeit also nicht ausschließen.
Eine Wahlempfehlung für die FDP kann unter diesen Umständen freilich nicht ausgesprochen werden. Noch sonst irgendeine.
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