Vom Fachmann für Kenner | Dezember 2015


Saubere Sache

Mutter hat unsere alte Wohnung verkauft. Damit ist meine Kindheit dann zu 100 Prozent verwertet.

Teja Fischer

Späte Reue

Seit Jahren schon plagt mich eine unheilvolle Nervenschwäche, in der Sprache der einfachen Leute auch »Aufschieberitis« genannt, die mich zwingt, was immer es auch zu tun gibt, die Arbeit erst zum letztmöglichen Termin oder später zu beginnen, bis dahin allerdings jeder Form von Freizeit oder Freude zu entsagen, immer auf den richtigen Zeitpunkt für die Erledigung der inzwischen berghoch scheinenden Aufgabe wartend, der selbstredend – wie ich ja währenddessen auch schon weiß und mir darum gleich dreimal in den Arsch beiße – niemals kommen wird, bis ich dann schließlich unter Schmerzen und Verzicht auf Schlaf und Nahrung in Windeseile irgendeinen Dreck zusammenrotze, so daß mein Zustand insgesamt eigentlich der ist, daß ich zwar kaum je etwas tue, aber ständig drauf und dran bin; früher in der Schule war das allerdings noch anders: Da war ich immer dran und drauf.

Valentin Witt

Aus der Welt der Wissenschaft

Biologisch gesehen zählt der Mensch während eines Strandurlaubs zur Gattung der Meeresfrüchte.

Elias Hauck

Kunstgeschichtliche Anekdoten (5)

Peter Paul Rubens war mit Auftragsarbeiten für Adel und Klerus gut im Geschäft. Den meisten Reibach machte er allerdings mit der Darstellung von nackten Frauen. »Der Hugh Hefner des Barocks«, so tuschelte man in Antwerpens Gassen hinter ihm her. In den frühen 20er Jahren des 17. Jahrhunderts wähnte sich der Meister plötzlich in einer Schaffenskrise. »Dies Inkarnat scheint mir ein wenig anämisch geraten, die Rundungen von Busen und Gesäß nicht rundlich genug!« so lamentierte er durch sein Atelier. Bei einer weiteren Betrachtung seines Werkes stellte Rubens jedoch fest: »Bäume, Mauer und der eine Apfel sind eigentlich ganz okay«, und der Maler konstatierte, daß die Fehler, die er in der Darstellung der weiblichen Figuren erkannt hatte, nicht auf seine, Rubens’, Unzulänglichkeiten in der malerischen Umsetzung zurückgingen, sondern dem in den Wirren des 30jährigen Krieges zunehmend schlechten Ernährungszustand seiner Modelle geschuldet waren. So exilierte Rubens von Antwerpen nach Spanien, um in Ruhe zu überlegen, wie er zu Frauen käme, die die ihm genehmeren Maße hätten. Schließlich ersann der Findige aus seiner Not heraus, dem damals noch jungen Pressewesen zum Nutzen, die Kontaktanzeige: PP Rubens sucht zeigefreudige Rubenslady (XXL).

Helge Möhn

Fachwitz für Weinkenner

Im Spätverkauf. Eine Kundin stellt einen Rotwein für 3 Euro 30 auf den Tresen und fragt: »Ist das ein guter Wein?« Der Spätverkaufsmann starrt erst die Flasche und dann sie lange an, schließlich löst sich ein zögerndes »Jaaa…« aus ihm. Die Frau kramt schon im Portemonnaie, da angelt er plötzlich einen Weißwein derselben Preisklasse aus dem Regal: »Aber der ist besser.« Ist schon ein guter Geschäftsmann, mein Spätverkaufsmann.

Katharina Greve

Kein Sprichwort

Kind, mach nicht wieder ins Bett, sonst gibt es morgen schlechten Sex.

Adrian Schulz

Konsequent

Umfangreiche Bauarbeiten auf dem Marktplatz machen eine Umstellung der Wochenmarktstände erforderlich. Um seinen Kunden die Suche zu erleichtern, hat der alternative Ökobäcker an gewohnter Stelle ein Schild mit der Aufschrift »Wir stehen vor der Commerzbank« aufgestellt. »Wie zu erwarten nicht dahinter«, denke ich mir und setze meinen Weg zum Backdiscounter (unschlagbare 15 Cent pro Brötchen) fort.

Daniel Sibbe

Im Spiegel

Zwar ist mir die klassische Einschüchterungsfrage »Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?« seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr gestellt worden, dafür weiß ich inzwischen wenigstens eine Antwort.

Theodor Treidler

X-Faktor

Es ist nicht angenehm, eine inzwischen vereinsamte, einstmals gute Bekannte zu besuchen. Sie ist überzeugt, von Geistern heimgesucht zu werden, und redet permanent davon. Sie habe nun sogar schon Exorzisten bestellt, um den Keller segnen zu lassen. Eine ihrer Geschichten aber hat mich dann doch zum Lachen gebracht: Zwei ihrer Haustiere waren gestorben (ich weiß nicht warum, und ich will es auch nicht wissen; immerhin besorgt sie sich inzwischen keine neuen mehr), woraufhin sie den Entschluß gefaßt habe, die Viecher unter einem schönen Baum zu begraben, am Rande eines nahen Feldes. Als sie aber mit der Schaufel ein Loch für die Kadaver habe ausheben wollen, hätten die Geister der toten Tiere Kontakt zu ihr aufgenommen. Sie habe immer leidvolles Seufzen gehört, wenn sie in die Erde habe stechen wollen, die dann urplötzlich auch von dichtem Wurzelwerk durchdrungen gewesen sei. Die beiden verstorbenen Wesen, so ihre Schlußfolgerung, wollten also an einem anderen Ort beerdigt werden, und zwar in ihrem kleinen Garten. Hier sei die Schaufel auch »wie Butter« ins Erdreich gedrungen, und sie habe die Tiere bestatten können, was – wie sie etwas später dann hinzufügte – leider die Nachbarn beobachten konnten, die daraufhin das Landratsamt verständigt hätten. Am Ende mußte meine Bekannte Hund und Katz wieder ausgraben und in den Biomüll schmeißen. Tiergeister scheinen nicht die hellsten zu sein.

Markus Riexinger

Verspätetes Lektorat

Als Cäsar seinen Weltliteratur gewordenen Kriegsschwank »De bello Gallico« (58 v. Chr.) mit dem Satz »Ganz Gallien ist in drei Teile geteilt« begann, hätte er das »ganz« auch streichen können. Meine Meinung.

Gunnar Homann

Befürchtung: Pizzazungen

Bekannte Szene im Zug. Er sagt zu ihr, er werde etwas essen, und beginnt in seinem Rucksack zu kramen. Miefende Pizzazungen und Salami-Snacks erwartend rolle ich schon innerlich die Augen. Als der junge Mann dann aber einen rohen Fenchel aus dem Rucksack holt, in ihn beißt wie in einen Apfel, ihn hastig verschlingt und anschließend noch einen Kohlrabi nachschiebt, fühle ich mich zwar olfaktorisch nicht minder belästigt als von den befürchteten Pizzazungen, doch immerhin angenehm in meinen Erwartungen getäuscht.

Leo Riegel

Zum Glück keine Zehe

Habe mir den Finger in der Knoblauchpresse eingeklemmt und krieg ihn nicht mehr raus. Gern würde ich jetzt googeln: »Finger in Knoblauchpresse eingeklemmt was tun?« – aber lieber nicht. Das ist mir sogar vor den Algorithmen zu peinlich.

Ella Carina Werner

Nationalkritik

Ich bin kein Gegner der Deutschen Einheit. Das einzige, was mich stört, ist, daß nie jemand klar sagt, welche gemeint ist. Der Zentner? Die Preußische Landmeile? Der Kohlepfennig? Das Kaliber Achtkommaacht? Ein Standard-Weltkrieg? Ein Drittes Reich (= 1000 Jahre)?

Theobald Fuchs

Jährliches Ritual

Ein Mann von den Stadtwerken klingelt, er möchte die Stromzähler ablesen. Wenn ich die Tür des Wandschranks öffne, in dem die Zähler hängen, erwartet mich jedes Jahr ein Schauerbild. Die Zähler surren hinter Schwaden von Spinnweben, abgeplatzter Wandfarbe und Staub vor sich hin. »Oh, da müßte man aber unbedingt mal staubsaugen!« sage ich jedes Jahr peinlich berührt und blicke in ein Gesicht, das jeden Ausdruck verweigert. Ich vermute, der wichtigste Teil der Stromableserschulung ist das Seminar »Wie reagieren auf Schlampigkeits-Selbstbezichtigungen«. Dort lernt man, wie wichtig es ist, niemals auf so einen Ausruf einzugehen. Abwiegelnde Bemerkungen wie »Ach, das bißchen Staub!« kämen einer leicht zu durchschauenden Lüge gleich. Beipflichtende Kommentare wie »Das kann man wohl sagen!« führen schnell zu Beschwerden. Ein hartes Rollenspieltraining muß also absolviert werden, bis man sich jede Antwort und jedes überspielende Hüsteln verkneifen kann. Nur die wenigsten schaffen die Abschlußprüfung dieses Lehrgangs. Mein Ableser jedenfalls ist ein Meister der Reaktionslosigkeit, geschäftig notiert er die Zahlen. Wir führen noch zwei Sätze Konversation, während ich den Schrank schließe und ihn zur Tür begleite. Den Staub habe ich da schon vergessen, bis der Mann von den Stadtwerken im nächsten Jahr wieder klingeln wird.

Miriam Wurster

Beziehung

Meine Freundin nennt mich Süßer. Aber das ist nur mein Glukosename.

Ernst Jordan

Neues Idiom

Jeder kennt das Gesprächsphänomen. Man befindet sich in einer großen Gesprächsrunde, zum Beispiel an einem Tisch, allerdings mitten zwischen den Zentren der Konversation. Ich empfehle dafür den Ausdruck: Man ist »innen vor«.

Volker Surmann

Facebook-Feinde

»Du teilst doch wohl nicht dein ganzes Privatleben mit jedem Deppen!« sprechen mich Freunde an. Sie haben Angst vor dem Verlust ihrer Privatsphäre. Andererseits würden sie gerne die Möglichkeit nutzen, über meine Zugänge zu Facebook, Linkedin, Twitter und anderen Medien mehr als einen ihrer Freunde zu informieren. Den zweiten nämlich auch. Sie wollen alarmieren, auf Skandale aufmerksam machen, ihrer Empörung Luft machen wie früher Leserbriefschreiber. »Könntest du nicht mal eine Nachricht posten? Das muß doch öffentlich gemacht werden! Da soll mal schön ein Shitstorm losbrechen. Aber laß bloß meinen Namen aus dem Spiel!« Wie löscht man eigentlich Freunde im richtigen Leben?

Ludger Fischer

Dilemma

Nüsse sind extrem teuer. Das geht mir inzwischen ziemlich auf die Nerven. Doch für die brauche ich die Dinger ja gerade!

Burkhard Niehues

Spuren im Schnee

Nachts angetüdelt aus der Kneipe zu kommen und ein Herz plus Inschrift in den Schnee zu pullern, ist sicher nicht originell und nur leidlich romantisch. Anders verhält es sich, wenn das Werk von der frisch abgeschleppten weiblichen Begleitung gefertigt wird.

Thorsten Mausehund

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt