Newsticker

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Untermensch mit Bierflasche

Für die deutschen Werktätigen war die Deutsche Demokratische Republik das, was Buchbesprecher einen „Glücksfall“ nennen; nicht durchweg im Osten, wo der Aufbau schwer, die Politbürokratie kleinlich und die Konsumgüterversorgung allenfalls stabil war, aber jedenfalls im Westen, wo der Realsozialismus nebenan dafür sorgte, daß den westdeutschen Lohnabhängigen die größten Schweinereien erspart blieben. Denn Konkurrenz belebt das Geschäft, und wo eins nebenan mit Null-Arbeitslosigkeit und der Herrschaft des Proletariats wirbt, kann der eigene Laden schlecht zeigen, was er wirklich von seinen Angestellten hält. Die Zeiten sind vorbei, und mit dem Einzug der „Freiheit“ (Hitler) kann die Herrschaft wieder nach Herzenslust schurigeln und ausbeuten, weil sie weiß, der Prolet hat nur die Wahl zwischen gehorchen und Parkbank. Soweit ist das alles klar und plausibel; schon etwas weniger plausibel ist, warum der Haß nicht aufhört, warum der Sieger der Geschichte, zumal der deutsche(n), nicht anders kann, als „nachzukarten“ (Beckenbauer) und den Verlierer noch ins Grab hinein zu verhöhnen.

„Auf den Aufnahmen des Fotografen Harald Hauswald wirkt die DDR der achtziger Jahre wie ein verwunschenes Reich. Die Proletarier, die das Land beherrschen sollten, sind müde – und manchmal auch einfach nur betrunken“, lesen wir auf „Spiegel online“, als wäre Alkoholismus in westdeutschen Journalistenkreisen ein Ausnahmephänomen. Egal, man steht auf der richtigen Seite (nämlich da, wo es warm rauskommt), und wer betrunken oder dumm genug oder beides ist, der kühlt genau das Mütchen, das er spätestens beim Ressortchef nie hat: „Pferdemarkt in Havelberg in den achtziger Jahren. Auf seinen Bildern zeigt der Fotograf Harald Hauswald die vermeintlichen Herrscher der DDR, die Proletarier, in unheroischer Pose.“ Zu sehen sind allerdings bloß drei ältere Männer, die im Freien ein Freizeitbier verzehren, was eben so unheroisch ist wie die Lüge, das sei etwas anderes als das Normalste und Freundlichste von der Welt. „Die Menschen auf Hauswalds Bildern wirken müde, skeptisch, resigniert – dabei aber nicht unvergnügt“, weil drei andere Rentner nämlich trotz des unfaßlichen DDR-Unrechts in die Kamera lachen, und die Hirn- oder wenigstens Sozialforschung ist aufgerufen zu prüfen, ob es jetzt wirklich soweit ist, daß man dem „Spon“-Publikum derartig primitiven, unverhohlenen Agit-Nonsens als Journalismus verkaufen kann. „Eine Fotografie als Symbolbild der DDR: Der Anachronismus des Gefährts, das Elend des Altbaus und die platte Brutalität der Betonfassade ergeben eine knappe und treffende Darstellung des Arbeiter- und Bauernstaats in seinen letzten Jahren“ – ein Pferdefuhrwerk vor einer moribunden Gründerzeitvilla, dahinter ein gepflegter Plattenbauriegel, wo man vielleicht nicht so lifestylig wie ein „Spon“-Prostituierter lebte, aber dafür diesseits zeitgenössischer Knebelmieten und so, daß man morgens ohne Selbstekel in den Spiegel sehen konnte, und wieder ist die Hetze so dumm und fadenscheinig („die platte Brutalität der Betonfassade“, als seien Wohnmaschinen aus Westbeton lieblich), daß wir unterstellen dürfen, sie werde in jedem Fall geschluckt. Wie doch Leben halt keins ist, wenn es nicht im Stilaltbau stattfindet.

So kam ich unter die Deutschen … Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien, in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gutgeartete Seele“ Hölderlin, 1799

Also: Warum? Die vergleichsweise freundliche, weil funktionale Interpretation wäre: Die Herrschaft hat Angst, weil die Leute ahnen, daß sie von früh bis spät vorgeführt werden, und also braucht's den Popanz vom Unrechts- und Witzstaat DDR, damit keiner auf dumme Gedanken kommt. Die etwas weniger freundliche, nämlich pathologische: Nichts haßt der deutsche Bürger so sehr wie das Proletarische, gegen das er sich zeit seiner Geschichte mit der Obrigkeit verbündet hat, und nichts verschafft seinem in Generationen verkorksten Sozialcharakter soviel Befriedigung wie die Verachtung für die kleinen und kleinsten Leute, neuerdings verstärkt durch die Angst, in nächster Zukunft einer von ihnen zu sein. (Daß „Prolet“ im Deutschen ein Schimpfwort geworden ist, ist durchaus kein Zufall.)

Der Autor dieses neuerlichen „Spon“-Drecks („Das letzte Gefecht an der Bierflasche“) heißt übrigens Hammelehe, nein: Hammelehle. Schade; "Hammelehe", das hätte den Unflat ein bißchen glaublicher gemacht. Genealogisch.




Eintrag versenden Newstickereintrag versenden…
Felder mit einem * müssen ausgefüllt werden.

optionale Mitteilung an den Empfänger:

E-Mail-Adresse des Absenders*:

E-Mail-Adresse des Empfängers*
(mehrere Adressen durch Semikolon trennen, max. 10):

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt