Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Untermensch mit Bierflasche
Für die deutschen Werktätigen war die Deutsche Demokratische Republik das, was Buchbesprecher einen „Glücksfall“ nennen; nicht durchweg im Osten, wo der Aufbau schwer, die Politbürokratie kleinlich und die Konsumgüterversorgung allenfalls stabil war, aber jedenfalls im Westen, wo der Realsozialismus nebenan dafür sorgte, daß den westdeutschen Lohnabhängigen die größten Schweinereien erspart blieben. Denn Konkurrenz belebt das Geschäft, und wo eins nebenan mit Null-Arbeitslosigkeit und der Herrschaft des Proletariats wirbt, kann der eigene Laden schlecht zeigen, was er wirklich von seinen Angestellten hält. Die Zeiten sind vorbei, und mit dem Einzug der „Freiheit“ (Hitler) kann die Herrschaft wieder nach Herzenslust schurigeln und ausbeuten, weil sie weiß, der Prolet hat nur die Wahl zwischen gehorchen und Parkbank. Soweit ist das alles klar und plausibel; schon etwas weniger plausibel ist, warum der Haß nicht aufhört, warum der Sieger der Geschichte, zumal der deutsche(n), nicht anders kann, als „nachzukarten“ (Beckenbauer) und den Verlierer noch ins Grab hinein zu verhöhnen.
„Auf den Aufnahmen des Fotografen Harald Hauswald wirkt die DDR der achtziger Jahre wie ein verwunschenes Reich. Die Proletarier, die das Land beherrschen sollten, sind müde – und manchmal auch einfach nur betrunken“, lesen wir auf „Spiegel online“, als wäre Alkoholismus in westdeutschen Journalistenkreisen ein Ausnahmephänomen. Egal, man steht auf der richtigen Seite (nämlich da, wo es warm rauskommt), und wer betrunken oder dumm genug oder beides ist, der kühlt genau das Mütchen, das er spätestens beim Ressortchef nie hat: „Pferdemarkt in Havelberg in den achtziger Jahren. Auf seinen Bildern zeigt der Fotograf Harald Hauswald die vermeintlichen Herrscher der DDR, die Proletarier, in unheroischer Pose.“ Zu sehen sind allerdings bloß drei ältere Männer, die im Freien ein Freizeitbier verzehren, was eben so unheroisch ist wie die Lüge, das sei etwas anderes als das Normalste und Freundlichste von der Welt. „Die Menschen auf Hauswalds Bildern wirken müde, skeptisch, resigniert – dabei aber nicht unvergnügt“, weil drei andere Rentner nämlich trotz des unfaßlichen DDR-Unrechts in die Kamera lachen, und die Hirn- oder wenigstens Sozialforschung ist aufgerufen zu prüfen, ob es jetzt wirklich soweit ist, daß man dem „Spon“-Publikum derartig primitiven, unverhohlenen Agit-Nonsens als Journalismus verkaufen kann. „Eine Fotografie als Symbolbild der DDR: Der Anachronismus des Gefährts, das Elend des Altbaus und die platte Brutalität der Betonfassade ergeben eine knappe und treffende Darstellung des Arbeiter- und Bauernstaats in seinen letzten Jahren“ – ein Pferdefuhrwerk vor einer moribunden Gründerzeitvilla, dahinter ein gepflegter Plattenbauriegel, wo man vielleicht nicht so lifestylig wie ein „Spon“-Prostituierter lebte, aber dafür diesseits zeitgenössischer Knebelmieten und so, daß man morgens ohne Selbstekel in den Spiegel sehen konnte, und wieder ist die Hetze so dumm und fadenscheinig („die platte Brutalität der Betonfassade“, als seien Wohnmaschinen aus Westbeton lieblich), daß wir unterstellen dürfen, sie werde in jedem Fall geschluckt. Wie doch Leben halt keins ist, wenn es nicht im Stilaltbau stattfindet.
„So kam ich unter die Deutschen … Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien, in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gutgeartete Seele“ Hölderlin, 1799
Also: Warum? Die vergleichsweise freundliche, weil funktionale Interpretation wäre: Die Herrschaft hat Angst, weil die Leute ahnen, daß sie von früh bis spät vorgeführt werden, und also braucht's den Popanz vom Unrechts- und Witzstaat DDR, damit keiner auf dumme Gedanken kommt. Die etwas weniger freundliche, nämlich pathologische: Nichts haßt der deutsche Bürger so sehr wie das Proletarische, gegen das er sich zeit seiner Geschichte mit der Obrigkeit verbündet hat, und nichts verschafft seinem in Generationen verkorksten Sozialcharakter soviel Befriedigung wie die Verachtung für die kleinen und kleinsten Leute, neuerdings verstärkt durch die Angst, in nächster Zukunft einer von ihnen zu sein. (Daß „Prolet“ im Deutschen ein Schimpfwort geworden ist, ist durchaus kein Zufall.)
Der Autor dieses neuerlichen „Spon“-Drecks („Das letzte Gefecht an der Bierflasche“) heißt übrigens Hammelehe, nein: Hammelehle. Schade; "Hammelehe", das hätte den Unflat ein bißchen glaublicher gemacht. Genealogisch.
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