Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Liebe Neger
Nehmen wir an, der Bekannte eines Bekannten wäre einmal zu einem Wohnungsmakler gegangen. Er wußte, daß man das nicht macht, aber Not kennt manchmal kein Gebot, und nach den ewigen Bröckelbuden wollte er mal „ohne Krämpf“ an die guten Buden ran. Es war dies noch vor Einführung des sog. Bestellerprinzips und kostete viel Geld. Der Makler, ein älterer, freundlicher Herr, war genau der Richtige, denn Wohnungen ab einer bestimmten Größe vermittle er „grundsätzlich an Familien“, alles andere sei nämlich asozial, und als der Bekannte des Bekannten leutselig von seinen Erfahrungen mit Bruch und Gammel berichtete, nickte der Makler verständig: Diese Art Wohnungen, das mache er gar nicht mehr, „wenn Sie einmal die Türken drin haben, ist es eh vorbei“.
Nehmen wir weiters an, ich hätte im Winter mit meiner Frau die lokalen Kindergärten abgeklappert, um den Sohnemann für den Spätsommer anzumelden. In einer Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt begrüßte uns eine mittelalte SPD-Blondine, nahm jovial unsere Daten auf und hörte sich zum wievielten Male die Klagen von Eltern an, wie voll in der Stadt alles sei, betreuungsmäßig, und teilte halb solidarisch, halb vertraulich mit, im Nordteil des Stadtbezirks sei es ja besonders schlimm, und das machten die Ausländer, „und die haben bekanntlich nicht nur ein Kind“, auch wenn das keiner laut sage. Wie man sich halt gemein macht mit blonden und blauäugigen Volksgenossen, die zwar, die Kinderstube!, versäumten, sich mit einem „Heil Hitler“ zu verabschieden, den Sproß aber doch woanders unterbrachten.
„Schmerz und Verklärung: Entstehen so die Märchen?“ Handke, 2012
„Viele Türken in Deutschland sind arm“, war vor zwei Wochen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen. „Weniger Einkommen, weniger Wohnraum, weniger Bildung: Die Lebensverhältnisse vieler Migranten sind schwierig – auffällig stark gilt das für Bürger türkischer Herkunft … Der durchschnittliche deutsche Haushalt hat netto 1730 Euro im Monat, der entsprechende Migrantenhaushalt 1482 Euro und der türkische Durchschnittshaushalt nur 1242 Euro. Quelle der Zahlen ist das Sozioökonomische Panel (SOEP), ein Fundus an Befragungsdaten für die Wissenschaft. Seine Ergebnisse sind detailreicher als die amtliche Statistik, die nicht nach einzelnen Nationalitäten unterscheidet.“ Nimmt man diese Unterscheidung vor, sieht man, daß Türken in Deutschland noch schlechter gebildet sind als Allochthone eh: „51 Prozent haben nach der Schulzeit keinen Berufsabschluß erreicht. Zum Vergleich: Von den Migranten aus den anderen Gastarbeiterländern, also Südeuropa und dem früheren Jugoslawien, haben 35 Prozent keinen Berufsabschluss; unter den deutschen Vergleichspersonen sind das weniger als 20 Prozent. Als Gründe für das Gefälle sieht der Report ,institutionelle Diskriminierung’ sowie ,soziale und ethnische Segregation’“, und nicht nur vorm Gymnasium: So sei es „wahrscheinlich, daß Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt eine Rolle spielen“. Weil es sonst, siehe oben, eh vorbei ist.
Nehmen wir abschließend an, ein Politiker der sog. Alternative für Deutschland hätte gesagt: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut, aber wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“, und nach dem üblichen Entrüstungsgeplärre hätte eine Umfrage ergeben, 82 Prozent der Deutschen (sogar 87 Prozent der AfD-Anhänger) hätten einen Boateng sehr gern als Nachbarn, praktisch lieber als jeden anderen: müßten wir da nicht finden, Alexander Gauland habe ganz unrecht, und dieselben Leute, die sonst Schaum vorm Mund kriegen, wenn ihnen wer verbieten möchte, „Neger“ zu sagen, möchten durchaus mit und neben Artfremden wohnen, mindestens dann, wenn es sich um solvente Nationalspieler handelt und nicht um die türkische oder sonstwie südliche Großfamilie, die die Wohnungen runterwohnt, die Kindergärten verstopft und die wir uns immer dann vom Hals halten, wenn sie nicht gerade Gemüse verkauft?
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