Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Ich, Yücel
Ich stelle mir das so vor: Ich bin Korrespondent in der Türkei und werde, weil ich aus meiner Ablehnung der immer autoritärer werdenden türkischen Regierung keinen Hehl mache, unter erfundenen Vorwürfen eingesperrt. Unliebsame Ausländer wirft die Türkei zwar eigentlich aus dem Land, aber ich besitze neben der deutschen Staatsbürgerschaft die türkische: Meine Eltern stammen von dort, ich habe zwei Muttersprachen, ich habe mir gewünscht, als Journalist aus der Türkei zu berichten. Als Inländer werde ich so behandelt wie andere inländische Kollegen auch, nämlich schlecht. Ich bin überhaupt der erste deutsche Journalist, der sich hier im Gefängnis wiederfindet.
Dann geht, so stelle ich mir das vor, ein Aufschrei durch die Reihen der Kolleginnen und Kollegen und braust Solidarität wie Donnerhall durch die Flure der Redaktionen: In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ fragt Kollege Martens, warum denn auch immer Türken über die Türkei berichten müßten, es sei dies doch im Grunde diskriminierend und außerdem nicht gut für den journalistischen Ertrag, schließlich mache Liebe blind: „Warum reduzieren deutsche Verlage die Kinder oder Enkel türkischer ,Gastarbeiter’ so oft auf die Rolle von Türkei-Erklärern? Weil sie türkisch sprechen? Hoffentlich nicht, denn es gibt viele Menschen, die die Sprache eines Landes gut beherrschen und das Land dennoch oder just deshalb fließend mißverstehen. Enge emotionale oder gar familiäre Verbundenheit mit einem Land muß kein Vorteil sein, wenn man über das Land berichtet.“ Weshalb z.B. bei der FAS die Inlandsredaktion nicht etwa, wie man denken könnte, aus autochthonen Patrioten (m/w) besteht, sondern aus familienlosen Ausländern, und meine Parteinahme für die Gegner Erdoğans auch nicht „objektiv“ ist, sondern gewissermaßen verblendet, eben weil ich Türke bin, Türke mit deutschem Paß, wie es so treffend heißt, ich kann das alles nämlich gar nicht beurteilen.
„Gewiß glaube ich nicht, daß Hitler Herr der Welt werden wird; auch sage ich nicht, daß sie es verdient. Das verdient man schwerlich. Aber sie wird es kaum verdient haben, wenn er ihrer nicht Herr wird.“ Thomas Mann, 1941
In der Berliner „Tageszeitung“, wo ich, der eingesperrte Korrespondent, einmal gearbeitet habe, wird dieser fiese Mist dann in Tat und Wahrheit noch geadelt: „Journalismus darf nicht Betroffenenjournalismus sein. Eine Diskussion über den Umgang mit Minderheiten in Redaktionen ist überfällig. Auch wenn Deniz Yücel dafür nicht den Anlaß liefert“ bzw., wie’s aussieht, eben doch, und warum ist ein Deutscher mit türkischen Vorfahren von Vorgängen in der Türkei anders betroffen als ein Deutscher mit hessisch-niedersächsischen von solchen in Frankfurt oder Braunschweig?
„Besonders“, grub auch die SZ mit Lust die fremden Wurzeln aus, „dürfte Yücel ein Autokorso gefreut haben, der am Sonntag durch Berlins Straßen fuhr, um laut hupend auf sein Schicksal hinzuweisen. Die Türken lieben den Autokorso. Yücel liebt die Liebe der Türken zum Autokorso und die lauten Hupen.“ Und ist überdies ein „Dauerraucher“ und „Journalist auf Seiten der Gegner Erdoğans“, „der Übergang zum Aktivisten: fast schon fließend“, was von einer so vorbildlichen Neutralität wie z.B. im „Heute-Journal“ absticht, das in seiner Ausgabe vom 20. Januar zweimal und ohne jede Einschränkung die Mitteilung machte, die Agenda 2010, die Schulz (SPD) jetzt freundlich anmalen will, habe Deutschland sozusagen gerettet. Dieselbe Agenda, die der objektive deutsche Bürgerjournalismus einhellig begrüßt, wo nicht sogar herbeigeschrieben hat.
„Yücels Journalismus ist immer auch ein ganz großes: ,Trööt!’“ (SZ) und mußte den Faschisten halt irgendwann aufstoßen. „Deshalb hatte er sich auch mit den türkischen Journalisten solidarisiert, die reihenweise weggesperrt worden sind.“ Die germanischen Kollegen schaffen es nicht einmal bei einem. Hut ab.
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