Gärtners kritisches Ostersonntagsfrühstück: Unser Staat
In Mainz gibt es einen Handwerksbetrieb namens Neger. Das Logo dieses Betriebs ist eine stilisierte Schwarze mit Wulstlippen. Dagegen regt sich Protest, zumal der Großvater des Chefs eine Größe in der Stadt und nämlich Fastnachtslegende war, und der um liberale Ansichten nie verlegenen Süddeutschen Zeitung fiel im Vermischten sogleich Originelles ein: „Die Frage ist: Wird der laut diversen Studien ohnehin ausländerfeindliche Deutsche durch so etwas noch ausländerfeindlicher? Und was ist mit den derzeit in einigen Läden angebotenen ,Schaumwaffeln mit Migrationshintergrund’? Muß man die auch verbieten?“
In Fragen der politischen Korrektheit kann man sich auf die deutsche Qualitätspresse also verlassen, die stets das Recht der Kundschaft verteidigt, einen Bimbo Neger zu nennen und Israel für einen SS-Staat zu halten, und was das deutsche Bürgertum hier eigentlich umtreibt, beleuchtet, in derselben SZ-Ausgabe vom Gründonnerstag, die Rezension eines Buches übers deutsche „hermetische Klassensystem“, das bekanntlich in der Schule beginnt und dessen Schamlosigkeit besonders blendend strahlt, wenn man ein paar Schritt Abstand nimmt. Der Autor Marco Maurer, selbst aus den sog. kleinen Verhältnissen stammend, „hat ein paar Tage lang eine Schule in Finnland besucht, ein Kapitel, das einem die Tränen in die Augen treiben kann: zwei Lehrer für zehn Schüler, Migrantenkinder sind nicht in Resteschulen ausgelagert, sondern sitzen mit im Unterricht. Alle Materialien sind umsonst. All das hat man schon gelesen. Neu ist der Blick der Finnen auf Deutschland. Von Helsinki aus wirkt das deutsche System wie irgendeine mittelalterliche Erfindung, ungerecht, statisch, feudalistisch. Eine Lehrerin, die länger in Deutschland war, kann bis heute nicht fassen, daß Gymnasiastenkinder nur mit anderen Gymnasiasten befreundet waren. ,In Finnland sind wir alle nur Menschen, alle sind gleich, aber in Deutschland gibt es diese Art von Menschen und jene Menschen, mindestens zwei, eher drei Gesellschaftsgruppen.’“
„Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.“ Matthäus 25, 42f.
Und dafür stehen sie ein, der deutsche Bürgersmann und die deutsche Bürgersfrau, die über Jahrhunderte hinweg gelernt haben, sich für fehlendes politisches Rückgrat mit einem Sonderbewußtsein zu entschädigen, das vielleicht wirklich einmal Grund gehabt hat, sich für ein bildungsbürgerliches zu halten, heute aber nur mehr und ausschließlich ein borniert privilegswahrendes, klassenkämpfendes und pöbelfeindliches ist. In der städtischen Kita meines Stadtteils, der sozial eigentlich recht gut durchmischt ist, spielen (nach Informationen einer Insiderin) ausschließlich Akademikerkinder bzw. werden natürlich „gefördert“, während die Kinder aus den kommunalen Wohnungen zuhause fernsehen, dem Betreuungsgeld sei Dank. „Immer wieder gibt es in diesem Buch den verwunderten Blick von außen: Franzosen, die darüber staunen, daß bei uns nicht alle Krippen umsonst sind, schließlich öffnet sich die Bildungsschere schon in einem Alter, in dem die Kinder noch nicht mal ,Schere’ sagen können. Oder die Hirnforscherin von der ETH Zürich, die sagt, eine Begabungsprognose in der vierten Klasse sei ,hochgradig unseriös’. Und dann ist da noch der finnische Lehrer, der Maurer einmal abends in die Stadt bringt und zum Abschied fragt: ,Weißt du eigentlich, daß ihr Deutschen genau das Schulsystem habt, das wir vor 40 Jahren abgeschafft haben, weil es uns zu altmodisch und zu ungerecht vorkam?’“
Aber die Deutschen und ihre Entscheider wollen es so, weil sie nämlich nicht durchzivilisiert, sondern feudal und dünkelbesoffen denken und immer nur nach unten treten: Ob Neger oder asozial: / Was nicht wir selbst sind, kann uns mal. Man möchte ausspucken. Sommermärchen, my ass.
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