TITANIC Gold-Artikel
Nazis raus – Eine Aufräumreise durch Deutschland mit Marie Kondo
TITANIC-Autor Cornelius W.M. Oettle hat die ordnungsliebende Netzflix-Sensation Marie Kondo einen Tag lang durch die Republik begleitet.
Kurz nachdem wir am Chemnitzer Bahnhof ausgestiegen sind, stürzt sich Kondo auf einen Glatzkopf in Bomberjacke, packt ihn an den Schultern und hält ihn mir vors Gesicht: "Does it spark joy?"
Ob der Glatzenmann ein Glücksgefühl in mir entfache, will die 34jährige Ordnungsberaterin wissen und schaut mich erwartungsvoll an. Ich horche tief in mich hinein, versuche, meine Emotionen zu ordnen – doch da ist nichts. "Nein", sage ich kopfschüttelnd, woraufhin Marie Kondo ihn kompromisslos in die nächste Mülltonne stopft.
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Marie Kondo ist Buchautorin und Star der neuen Serie "Tidying Up with Marie Kondo", die längst einen "Mini-Hype" (Taz) erzeugt hat. "Hallo, ich bin Marie Kondo. Ich möchte durch Aufräumen Freude in die Welt bringen", erklärt die Japanerin in jeder Folge. Doch was in Haushalten von Konsumsüchtigen funktioniert, müsste sich doch auch auf ein ganzes Land übertragen lassen. Deshalb begleite ich Kondo nun seit einigen Tagen durch die Republik.
Nächster Stopp: Berlin. In ihrer populären Sendung geht Marie Kondo stets nach ihrer "KonMari"-Methode vor: Zunächst entsorgt sie Kleidung, dann Bücher, Unterlagen und zuletzt Zeug, an dem man aus unerfindlichen Gründen immer noch hängt. Deshalb also Berlin, wo deutsche Mode-Trends stets beginnen.
Vor dem Reichstagsgebäude schnappt sich Marie einen Mann mit Hundekrawatte. "Does it spark joy?" erkundigt sie sich eher ironisch. "Nein!" belle ich, ehe die Aufräumexpertin ihm das unansehnliche Teil vom Hals reißt und ihn aus seinem Tweed-Sakko prügelt. Die Leute um uns herum jubeln ihr zu.
Weil es jetzt an die Bücher geht, befinden wir uns auf dem Weg nach München. Unser Ziel: die Buchhandlung Lehmkuhl. Beim Eintreffen ignoriert Marie Kondo den strammen Gruß des Besitzers und stiefelt schnurstracks nach rechts auf ein Regal zu. "Thilo Sarrazin – Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht", liest meine Begleiterin den Titel vor und stellt mal wieder die Frage aller Fragen. Dann wirft sie es in bester Denis-Scheck-Manier in die Tonne. "Domo arigato", sagt eine Kundin mit polnischem Akzent.
"Nun zu den Unterlagen", stimmt mich Marie Kondo auf den nächsten Schritt ein und fragt, wo wir Deutschen diese üblicherweise aufbewahren. Peinlich berührt erkläre ich ihr, dass die NSU-Unterlagen des Verfassungsschutzes in Hessen leider einer Sperrfrist von 120 Jahren unterliegen. "Kein Problem", entgegnet Marie Kondo strahlend, "dort war ich bereits, die hat man schon geschreddert." Also reisen wir weiter zur letzten Station nach Wolfsburg, wo die Deutschen altes Zeug horten, von dem sie sich einfach nicht trennen wollen: Diesel-Fahrzeuge.
Auf dem Volkswagen-Gelände öffnet Marie die Tankdeckel sämtlicher Wagen und steckt spiritusgetränkte Lappen hinein. "Wie damals in Hamburg", kommentiert sie, aber ich habe keine Ahnung, wovon die zierliche Dame spricht. Als sie die notwendigen Vorkehrungen getroffen hat, fragt sie zur Vergewisserung noch ein letztes Mal: "Does it spark joy?" Wieder schüttle ich den Kopf. Freundlich lächelnd, aber entschlossen zückt die kleine Frau ihr Feuerzeug.
"Hier herrscht jetzt wieder viel positive Energie! Eine tolle Atmosphäre!" befindet die Aufräumexpertin, als ich sie verabschiede. Am Flughafenkiosk räumt sie gerade sämtliche Exemplare von "Bild" und "Welt" aus der Auslage. „Danke, dass sie uns gezeigt haben, wie wir unser Leben umkrempeln können“, sage ich. "Gern doch!" ruft Marie Kondo fröhlich. "Ich weiß doch, wie schwer es ist, Altes loszuwerden! Wir waren schließlich auch mal Achsenmacht!"