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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (55)

(Was bisher geschah)

Trotzdem war es keine Art, einfach aufzulegen, denn damit war ja nun gar nichts anzufangen. Spekulationen und ungelöste Rätsel gut und schön, aber das war was für die philosophische Freizeit und nicht für den harten Alltag, dafür mußte man fit und ausgeschlafen sein, und Kurtchen war weder das eine noch das andere. In Amerika konnte man, soweit er wußte, auch unbe­kannte Anrufer per Tastendruck einfach zurückrufen. Aber die Telefonlei­tungen überirdisch verlegen! dachte Kurtchen sinnlos und rückte durch den Eingriff der Pyjamahose das Skrotum sich zurecht; und saß und lauschte bleiern. Im Hause war es still, vorm Fenster fuhr Verkehr.

Er sah auf die Uhr des Mobiltelefons. Es beruhigte ihn zu wissen, daß man für die allermeisten Entscheidungen Zeit hatte, mehr oder weniger viel, aber immerhin, und deshalb sah er, wann immer es etwas zu entscheiden gab, auf die Uhr und bestimmte für sich den Zeitpunkt, bis zu dem er, Kurtchen, Zeit haben würde, sich zu entscheiden. Die Textnachricht von P. war sieben Mi­nuten alt, aber da es noch früh am Tag war, konnte Petra (sie mußte es sein, wer sollte es sonst sein, Wladimir Putin war es sicher nicht, obwohl es seine Deutschkenntnisse ihm erlaubt hätten) nicht erwarten, daß er seinen wohl­verdienten Nacht- und überdies Wochenendschlaf für die Beantwortung von Textanfragen, deren Bedeutung bis zur Lektüre ja im Unbekannten blieben, unterbräche, bis Mittag, so nahm er an, hätte er jedenfalls Zeit, sich die An­gelegenheit durch den Kopf gehen zu lassen.

Wobei zu klären gewesen wäre, welche.

Kurtchen seufzte schwer unter der Last dieses immer unübersichtlicher wer­denden Morgens. Er war ein Mann, der nicht wußte, was er wollte, und als solcher, glaubte man den Kontaktanzeigen, die Kurtchen auf in fremden Toi­letten ausliegenden Stadtmagazinen fand, praktisch unvermittelbar; dabei hätte es, fand Kurtchen, fürs erste bleiben können. Alleinsein hatte den kaum zu überschätzenden Vorteil, daß man jederzeit die Übersicht behalten konn­te, weil es die Zahl der möglichen Verwirrungen zwischen Aufstehen und Hinlegen klein hielt. War man allein, gab's nicht viel zu klären: Ist noch But­ter im Haus? Geh ich mit oder ohne Jacke vor die Tür? Ist Amy Winehouse nun eigentlich Kaufhausmusik oder nicht? Trat ein möglicher Lebenspartner hinzu, vervielfachte sich die Zahl der Situatio­nen, in denen entschieden werden mußte: Kino oder Kneipe? Zu mir oder zu dir? Machen wir einen Ausflug?

Beim Scheißen wurde Kurtchen ruhiger. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (54)

(Was bisher geschah)

Kurtchen erschrak aufs neue, denn er fürchtete, der Anruf könne sich bereits auf den annoncierten Ausflug beziehen, schlimmer noch: Es könnte Petra selber sein, um ihr schriftlich unterbreitetes Angebot mündlich zu wiederho­len, ihm, Kurtchen, keine Ausflüchte und nicht mal mehr Bedenk­zeit zu las­sen, und zwei Halbsekunden lang prüfte Kurtchen, dem tatsächlich das Herz ein wenig in den Hals gerutscht war – wo ein aufgeregtes Herz nämlich hin­gehörte, was sollte es denn in der Hose –, ob er es hinbekäme und ertrüge, das Telefon einfach klingeln und den Anrufbeantworter über­nehmen zu las­sen, dergestalt Abstand zwischen sich und dem Rest des Tages zu bringen, mit dessen Planung und also unwiderruflicher Einhegung ein Anruf um die­se Uhrzeit garantiert zu tun hatte. Obwohl, Werbung, vielleicht war es dies­mal Werbung, und Kurtchen stand auf und hatte den Hörer schon in der Hand, als er auf dem Display PRIVAT las, Werbung war es also nicht, die Brüder kamen stets mit irgendwelchen 0800er-Nummern. Irritiert, zöger­te Kurtchen wieder, lauschte dem Klingeln oder ja eigentlich Düdeln und kam sich dabei so töricht vor, daß er vor Scham ganz reglos blieb. Das Düdeln wiederholte sich, brach ab, dann kam der Anrufbeantworter:

Dies ist der Anschluß von Kurt Sahne. Bitte Crème fraiche bei die Fische nach dem“, und dann piep. Dann Stille. Dann das übliche Besetztzei­chen. Nada.

Wie er das haßte. Schön, die Ansage auf dem Anrufbeantworter war, je nach Blickwinkel, entweder unverständlich oder schwachsinnig, aber eine bessere war ihm nie eingefallen, weil ihn derlei auch nicht mehr kümmerte und er in Sachen Alltagsoriginalität keinen Ehrgeiz mehr entwickelte. Das Porträtfoto für die neue Krankenkassenkarte hatte er neulich nach dem Aufstehen ge­macht, im Bademantel vor der Flurwand, einfach um nicht noch die dritte Mahnung zu kassieren – „Bitte senden Sie uns das Foto in zwei oder drei Wochen zurück“, das war dann wohl die repressive Toleranz bzw. das hätte es früher nicht gegeben: „Bitte melden Sie sich in zwei oder drei Wochen an der Front“ – und ohne einen Gedanken daran zu ver­schwenden, sich beim Arzt in Zukunft im Bademantel auszuweisen zu müs­sen; wenn er das Foto nicht eh zurückbekam, als unverwendbar. Auf seiner Bahncard hatte er, vor Jahren, mangels einer Digitalkamera einfach ein Foto von Dieter Thomas Heck untergebracht, der ihm entfernt ähnlich sah, und die Bahn kümmerte es nicht, sie schickte jedes Jahr eine neue Karte mit dem falschen Foto. Fred hatte es sogar mal mit einer Aufnahme von Hugo Egon Balder geschafft, dem er, wenigstens von der Seite, tatsächlich ein bißchen ähnelte. (wird fort­gesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (53)

(Was bisher geschah)

Na ja. Daß aber P. nun Petra war, mußte wohl angenommen werden, auch wenn Kurtchen die Nummer nicht kannte und sich auch nicht erinnern konn­te, sie überhaupt herausgerückt zu haben, nein, herausgerückt war das falsche Wort; denn so vorsichtig er mit seinen privaten Daten im Grundsatz auch hantierte – weniger aus der Angst vor dem Überwachungsstaat, der wußte sowieso alles, als in der Überzeugung, daß eine Kontonummer sowe­nig in die Öffentlichkeit gehört wie ein Penis oder Ina Müller –, so sicher war er aber doch, daß ihm das gestern abend wurscht gewesen war und daß er, wie er sich kannte, wahrscheinlich sogar darauf bestanden hatte, über die großzügige Mitteilung seiner Telefondaten dem oberflächlich rein freund­schaftlichen tête-à-tête einen Dreh ins prospektiv Intime zu verleihen. Allein daß er sich nicht an den Akt als solchen erinnern konnte, irritierte ihn; fast schien's, als habe der Laternenmast doch seine Spuren hinterlassen, und Kurtchen, der ein bißchen erschrocken war, rief rasch und probehalber ein paar im Kopf gespeicherte Daten ab, um sich seiner geistigen Fähigkeiten zu versichern: Name, Geburtstag, Geburtstag der Mutter, Name des Hundes, den er bei sei­ner Führerscheinprüfung überfahren hatte (den Lappen hatte Kurtchen da­mals trotzdem bzw. überhaupt deshalb gekriegt, weil der Prüfer nämlich Hunde haßte), Sozialversicherungsnummer. An seine Sozialversi­cherungsnummer erinnerte sich Kurtchen allerdings überhaupt nicht, aber das tat er nie, das mußte ihm keine Bange machen. Er wußte ja auch die Nummer sei­nes Personalausweises nicht auswendig, eine Fähigkeit, die praktisch auch nahezu wertlos ist, während es ihm durchaus nützlich vor­kam, die Nummer seiner Kreditkarte auswendig zu können. Kurtchen wollte den Plan, seine Kreditkartennummer auswendig zu lernen, bis Silvester kon­servieren, um nicht ohne Vorsätze ins neue Jahr zu müssen; es schien ihm dies ein durch­aus guter Vorsatz zu sein, denn rauchen tat er schließlich nicht genug, daß es des Abgewöhnens wert gewesen wäre, und Italienisch lernte er in diesem Leben eh nicht mehr, auch wenn er bei Lucio Dalla sehr gern mitgesungen hätte. Es gab Leute, die lernten Deutsch, um Hegel im Original zu lesen, und er brachte es nicht einmal fertig, sich die mittlere Menge Italie­nisch draufzu­schaffen, die man zum Mitsingen eines canzone brauchte. Kurtchen fiel das Wort Bildungsfleiß ein. Aber er war schließlich nur ein Klempner, und wel­cher Klempner konnte schon Italienisch?

Andererseits hörte auch kein Klempner Lucio Dalla.

Das Klingeln des Festnetztelefons riß Kurtchen aus seinen überflüssigen Überlegungen. (wird fortge­setzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (52)

(Was bisher geschah)

Und Werbung war es auch, wenn auch eine karg for­mulierte: „Wir machen nachher einen Ausflug, magst mit? Kuß, P.“ Kurt­chens Herz tat das, was es in Romanen immer tut, was es aber, außer bei ernsthaften kardiovaskulären Problemen, nie tut, außer eben, wenn man zu viele Romane gelesen hat: Es setzte einen kleinen Schlag aus; machte aber gleich nach Vorschrift weiter, weil das erstens seine Aufgabe war und Kurt­chen, zweitens, die Einladung auch noch gar nicht angenommen hatte, ja, sich sogar dahingehend beruhigen konnte, daß er ja gar nicht wisse, wer P. denn sei. Daß es Petra war, war zwar wahrscheinlich, aber er kannte schließlich einen Haufen Leute, Freunde, frühere Freunde, Bekannte, Freun­de von Be­kannten, innere, mittlere, äußere Kreise, es war kaum anzuneh­men, daß nicht jemand mit P dabeisein sollte; denn so heikel Kurtchen war, was das Rubrum „Freund“ anging – darunter fielen tatsächlich nur Leute, mit denen er es ohne Dritte länger als zwei Kaffeelängen aushielt –, so unkomp­liziert war er, was seine zahlreichen Bekanntschaften betraf: Wie ein eiszeit­licher Gletscher schob Kurtchen eine Moräne aus Mensch vor sich her, so gut wie nie hatte er sich von Weggefährten getrennt, allenfalls Ver­bindungen auslaufen lassen, und selbst das hatte mindestens zwei vergesse­ner Geburts­tage in Folge bedurft. Er selbst vergaß Geburtstage praktisch nie (er wußte heute noch den von Susanne Giebenrath, von der er an die fünf­zehn Jahre nichts mehr gehört hatte, aber nichts zu machen, 12. November, und jedes Jahr dachte er dran und mußte sich fast zwingen, nicht anzurufen), und manchmal war er sich nicht sicher, was er von dieser Art Treue halten sollte: Einerseits war's gewiß ein Wert an sich, andererseits waren sich die weisen Leute einig, daß es nicht gut sei, in der Vergangenheit zu leben, und davon, daß er den Geburtstag von Susanne Giebenrath nicht vergessen konn­te, hatte niemand etwas, höchstens Susanne, aber die hatte zum Schluß nur noch zweimal im Jahr aus dem Auto angerufen, um sich die Heimfahrt vom Büro zu verkürzen, und das war ja nun wirklich das allerletzte.

Wann Petra Geburtstag hatte, wußte er nicht, und es wäre, wenn er es erfüh­re, wieder ein Eintrag, der bis zum eiweißbedingten Verfall seines Hirnappa­rates haften bliebe, unauslöschlich, solang er seinen eigenen noch wußte. Er hatte, fiel Kurtchen auf, überhaupt erst einmal mit einer Frau geschlafen, de­ren Geburtstag er nicht kannte, und soweit er sich erinnerte, hatte das rein gar nichts ausgemacht, weder hinterher noch währenddessen, aber es war eine Ausnahme geblieben, eben die Ausnahme, die die Regel bestätigt, und die Regel war stets gewesen, daß er der Mann war, der die Geburtstage kennt und deshalb für schnelle Bettgeschichten nicht in Frage kam. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (51)

(Was bisher geschah)

Am nächsten Morgen wurde Kurtchen durch das Kurznachrichten-Empfangssi­gnal seines Mobiltelefons geweckt. Das Telefon lag nicht auf dem Nachttisch, erstens weil Kurtchen keinen hatte, zweitens weil er der Wissenschaft noch Zeit ge­ben wollte, sich über die Wirksamkeit von Handystrahlen Klarheit zu ver­schaffen. Es interessierte ihn dies, wie das meiste, nicht im Ernst, er glaubte nicht daran, daß unter den allgemeinen Lebensrisiken aus Bluthochdruck, Kraftfahrzeugmißbrauch und Fleischabfallverzehr ausgerechnet das Handy einen entscheidenden Einfluß auf Wohl und Wehe hätte; zumal da bei den meisten, die Kurtchen beim Mobiltelefonieren in der Öffentlichkeit zu überwachen die Gelegenheit hatte, eine mögliche Einschränkung der Hirnfunktion nicht das drängendste Problem zu sein schien:

Ja... bin eben eingestiegen... ooch... der Michi hat mich gebracht... wieder alles total voll hier, hab so noch irgendwie den letzten Platz hier ergattert... diese scheiß Bahn immer ... nee, der andere Michi... genau... könnte sein, daß wir gleich unterbrochen werden, auf dieser Strecke sind immer so viele Tunnel... ja, gestern war gut, da hat doch dieser Laden aufgemacht, wo frü­her das Permafrost drin war... Permafrost, nicht Spermafrost! Hihihihehehe­hoho! … genau... kann ich echt nicht nachvollziehen, warum das dichtge­macht hat, war doch immer total voll gewesen... der Hubsi meinte irgendwas von Drogen oder Gesundheitsamt... Hubsi? Der ist doch jetzt mit der Michi zusammen... mit der Michi, nicht dem! … ach komm... echt? ... wie jetzt? … echt?... okay … okay … okay … okay... weiß ich jetzt gar nicht, ob der... hallo?... hallo? … bist noch dran? Hallo?

– jedenfalls sah Kurtchen zu, daß das Telefon nicht neben dem Bett zu liegen kam, im Bett wurde geschlafen und nicht telefoniert, und wenn überhaupt, dann mit einem schönen großen Festnetztelefon auf dem Nachttisch, wie in amerikanischen Filmen, aber dazu fehlte der Nachttisch, und Kurtchen hatte schließlich auch andere Sorgen. Vielleicht nicht so sehr im Moment, aber doch im Prinzip. Wer war er denn, daran zu zweifeln!

Das Telefon, das wahrscheinlich noch in der Jacke steckte, die wiederum über dem Kleidersessel hing, verfügte über eine SMS-Erinnerungs- oder ei­gentlich Mahnfunktion und wies im Fünfminutenabstand beharrlich auf die ungelesene Kurznachricht hin, und obwohl es also dauernd fiepte und Kurt­chen auch mal mußte, mochte er noch nicht aufstehen, es war ja nicht einmal zehn; tat es dann freilich doch, pinkelte, setzte sich dabei hin, weil er gar nicht mehr verstand, warum man stehen soll, wenn man sitzen kann, spülte, stand auf, sah in den Spiegel und begutachtete die Beule auf der Stirn, die sich bereits ins Grünliche zu verfärben begann, schlurfte in die Küche, be­gann sein Frühstück mit einem ersten duplo, schlurfte zurück ins Schlafzim­mer, fingerte das Telefon aus der Jacke und ließ sich, das angefressene du­plo im Mund und das Telefon in der Hand, in den Kleidersessel fallen und war ungehalten, daß er, noch im Schlafanzug, schon wieder gezwungen war, sich wozu auch immer zu verhalten. Vielleicht hatte er Glück, und es war bloß Werbung. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (50)

(Was bisher geschah)

Sekundenlang stand aufs neue alles still, dann setzte sich der Schwarze wie­der hin und behielt den Blick aber noch oben, derart seinen Machtanspruch über den Laden, dem er vorsaß, zu unterstreichen. Das Erstaunliche war nun, daß die zwei Delinquenten so gut wie gar nicht auf seine Vorhaltungen rea­gierten; das Mädchen sah ihn bloß an, aber nicht duellierend oder auch nur abschätzig, sondern bloß erstaunt, als habe man es aufgefordert, sich zu ent­kleiden.

Jetzt komm“, sagte der Junge, der, zu Kurtchens heller Überraschung, den Zwischenfall entweder versiert ignorierte oder aber gar nicht mitbekommen hatte, und Kurtchen wußte zwar, daß er selbst nicht wenig betrunken und überdies vor keiner halben Stunde vor einen Laternenmast gelaufen war, glaubte aber doch das Recht zu haben, sich über den ausbleibenden Skandal zu wundern. Daß heutzutage (Kurtchen, im Normalzustand, versuchte, die­ses Wort zu meiden, es klang ihm, bei aller Freude an vermeintlich alters­weiser Zeitkritik, dann doch zu arg nach Kissen im offenen Fenster, aber jetzt war es halt doch schon egal) dem Vernehmen alles möglich war und durchging, war bekannt, und war es ja nicht einmal durchgegangen, hier war ja, gottlob, endlich mal eine Rüge ausgesprochen worden, aber es war ganz sinnlos, es änderte nichts. Ja, die jungen Herrschaften schienen tatsächlich überhaupt nicht zu verstehen, was der Schwarze von ihnen wollte. Er hätte sie genausogut in seiner Muttersprache ansprechen können, und genauso sah das Mädchen, fiel Kurtchen auf, mittlerweile drein: mit diesem freundlich distanzierten Kannitverstan-Blick, den er selbst in Ländern, in denen man kein Englisch sprach, im Verkehr mit Einheimischen auflegte und den sich Kurtchen nach der Woche Paris vom vergangenen Jahr geradezu hatte abtrainieren müssen.

Von mir aus“, sagte das Mädchen, gab wie resignierend ihrem Begleiter ihre Getränkedose, auf daß er das Geschäft abschließend tätige, und verfügte sich ihrerseits an die Eistruhe, deren Inhalt sie, die Hände in den Taschen ih­rer Jeans, angelegentlich begutachtete, während der Junge, weiterhin ohne Regung, die Dosen zahlte.

Kurtchen legte die Konkret zurück ins Regal und machte, daß er fortkam, ihm war die Nähe des Mädchens unangenehm, und er wollte auch wirklich nicht wissen, was geschähe, wenn sie, den Mahnungen des Schwarzen zum Trotz, einfach weiterrülpste. Sein, Kurtchens, Bedarf an Sensationen war für heute gedeckt. Trotzdem wartete er, als er draußen war, auf die beiden, in­dem er sich hinter die in Richtung seiner Wohnung liegende Hausecke drückte, und mit einer seltsamen Befriedigung, die sich, kaum hatte er sein Versteck verlassen, in etwas Wehes auflöste, sah er, wie der Junge dem Mädchen, nachdem er seine Dose auf dem Bistrotisch geparkt hatte, die ihre öffnete und sie ihm hinhielt, und das Mädchen griff nach der Dose und hielt sie, mit ausgefahrenem Arm,

Auf dem Heimweg, dessen Schlußetappe Kurt­chen jetzt antrat, gab ihm das zu denken, bis ihn die Atemnot, die ihn zuver­lässig zwischen dem vierten und fünften Stock überfiel, auf andere Gedan­ken brachte. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (49)

(Was bisher geschah)

In einer Mischung aus Erleichterung, daß er nicht mehr alleine im Laden herumstand und die Aufmerksamkeit (wenn es denn eine gab) nicht mehr solo auf sich zog, und Scham, weil er nun, wenn er seinen Ohren trauen konnte und der Ladenbesitzer nicht feiner unterschied, als es ihm zuzumuten war, in die Gruppe jener Spätheimkehrer gehörte, die ihren losen Lebens­wandel durch offensives Lärmschlagen und Schlechtbenehmen feierten, drehte Kurtchen sich um und sah ein junges Pärchen, das mit jeweils einer Getränkedose in der Hand zwischen Kühlschrank und Kasse stand und so aussah, als sei es sich nicht sicher, in welchem Umfang es sich noch weiter alkoholisieren solle.

"Komm ey", machte der Junge, der irgendwas zwischen 20 und 30 war, der­lei ließ sich ja heute nicht mehr ohne weiteres feststellen. Er war mittelgroß und trug keine Turnschuhe, dafür eine überlebte Mittelscheitelfrisur, wie sie selbst unter Fußballspielern nicht mehr üblich war, so daß Kurtchen ent­schied, daß es sich wohl um keinen Studenten handeln könne, trotz des struppigen, ja auch schon wieder vorgestrigen Ziegenbarts. Das Mädchen war gleich alt, ihre schulterlangen schwarzen Haare waren gepflegt, ihre Wangenknochen aber so hoch, daß für ihre Augen fast kein Platz mehr blieb, was ihrem bleichen Gesicht etwas Östliches gab. Slawin schien sie nicht zu sein, dafür sah der Rest von ihr, der unauffällig in Jeans und Sportjacke steckte, zu hiesig aus.

Was, komm ey“, äffte sie, erwartbar akzentfrei, und rülpste dann laut und trocken, so laut, daß es kein Versehen sein konnte, sondern als genuine Aus­drucksform betrachtet werden mußte.

Kurtchen mußte sich zwingen wegzusehen und drehte sich mitsamt seiner Überraschtheit zurück zum Zeitschriftenregal. Er nahm eine Konkret, fing pro forma an zu blättern und überlegte, ob das Fräulein seine Ungezogenhei­ten als emanzipativen Akt verstand oder einfach schlecht erzogen war.

"Agröööööööööööööh", Kurtchen schrak richtiggehend zusammen und wag­te jetzt doch eine halbe Drehung, um mit dem linken Auge das jetzt schon zweite irre Duo des Abends in den Blick zu nehmen, mit dem rechten aber den Schwarzhaarigen, der interessiert von seiner Lektüre hochsah; wenn er das Treiben mißbilligte, sah man es ihm nicht an. Der Junge schien die Rülpserei seiner Kameradin gewohnt zu sein, er sah weder betreten noch anerkennend drein.

"Eine Dose ist doch scheiße", sagte das Mädchen und fügte wie zur Bestäti­gung ein staubendes "Raaaaaaaaaaaoooooock" hinzu; vielleicht kamen sie aus der Oper und hatte über Stunden nur in den Pausen rülpsen dürfen; viel­leicht war dies aber auch ein Trend, er, Kurtchen, bekam von dem allen ja die Hälfte bloß noch mit.

"Nee, ich mag nicht mehr", sagte der Junge und machte eine Bewegung in Richtung Kasse.

Das Mädchen sagte nichts; für Sekunden schien die Zeit eingefroren, schien der Einkaufskiosk samt Inventar so hyperreal und schmerzhaft deutlich aus­geleuchtet wie in einer Fotografie von Crewdson; Kurtchen vergaß seine Konkret, der Kapitalismus war ohnehin am Ende.

"ooooooooooooooooouuuuuuuuuuuuuuuAAAAAAAAAAAAARGH", machte das Mädchen schließlich, und Kurtchen merkte, daß er auf ein Echo wartete.

Der Schwarze erhob sich nun doch von seinem Platz, in den Händen eine Neue Presse:

"He! Nich so rülpsen hier, bitte!" sagte er. "Is kein Klo, oder!" (wird fortge­setzt)

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt