Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Taxi
Man wird im Leben ja viel häufiger bestellt als abgeholt, und wohl deshalb sehnen sich die Leute so sehr danach, abgeholt zu werden. Und darum lesen sie auch den Robert Seethaler, der seinen Riesenerfolgsroman „Der Trafikant“ (Christine Westermann: „Großartig!“, Spon: „wunderbar erzählt“, FAZ: „wohltuend“) also beginnen lässt: „An einem Sonntag im Spätsommer des Jahres 1937 zog ein ungewöhnlich heftiges Gewitter über das Salzkammergut, das dem bislang eher ereignislosen Leben Franz Huchels eine ebenso jähe wie folgenschwere Wendung geben sollte.“ Das Salzkammergut, das eine Wendung gibt, die ohne Folgen gar keine richtige wäre – lesen wir solch exquisiten Murks, wissen wir sofort: Gottseidank keine Literatur, gottlob nix, was vorgäbe, irgend klüger zu sein, und dann geht’s auch rasant stiluninteressiert mit zunehmend und nachvollziehbar (im Jahr 1937!) weiter, so dass niemand fürchten muss, etwa zurückgelassen zu werden.
Das liegt auch dem Tobias Haberl vom SZ-Magazin fern, der eine Meinung zu Margarete Stokowski loswerden musste in Zeiten, wo sich „fast alle … tiefe Gedanken über das Binnen-I (machen) und überhaupt keine darüber, wie man den sechs Millionen Analphabeten in unserem Land das Lesen und Schreiben beibringen könnte“, außer im SZ-Magazin natürlich, das regelrecht dafür auf der Welt ist, sich zwischen Anzeigen für 20 000 Euro-Möbel und 30 000 Euro-Uhren um die Nöte der sechs Millionen Analphabeten zu besorgen. „Tatsächlich hat sie“, die einen Auftritt in einer Buchhandlung hatte platzen lassen, die Bücher der sog. Neuen Rechten anbietet, „nichts dagegen, wenn ihre Bücher auf Amazon einen Mausklick von rechter Propaganda entfernt sind. Tatsächlich liest sie in der Roten Flora in Hamburg, einem autonomen Kulturzentrum, von dem auch gewalttätige Aktionen ausgehen.“ Widersprüche, wie sie nur knallharter Wahrheitsjournalismus ans Licht zu zerren vermag, der weiß, wie das geht mit dem Abholen, nämlich mittels jener halben Wahrheiten, die schon Lichtenberg für so viel gefährlicher hielt als die glatten Lügen. Und überhaupt schön, wie das werbefreundliche Umfeld, das da „Magazin“ heißt, immer gleich schmallippig wird, wenn eine „exzellente Autorin“ mit links Geld verdient, denn Geld verdienen, das darf man nur, wenn man die Ordnung der Geldverdiener aus vollem Herzen unterstützt, sonst ist es nämlich ein Widerspruch, und das ist der gewaltigste Vorteil an der Konformität, dass sie die eigenen Widersprüche so gut aushält, weil sie weiß (und schätzt), dass alles immer bloß ein Riesenkompromiss ist.
„Come as you are“ Nirvana, 1992
Drum müsste Stokowski, zitiert Haberl gern den verwandten Esel Fleischhauer, weniger kompromisslos sein und „unabhängiger von der Meinung ihres Herkunftsmilieus denken“, und das wäre dann der Vorwurf aller Vorwürfe: dass hier eine ihre Leute bloß abholt, ein Vorwurf, vorgetragen von Leuten, die im Leben nichts anderes gemacht haben. Haberl: „Zu viele Männer sind sich ihrer Privilegien nicht mal bewusst oder ahnen nicht, was in Frauen vorgeht, wenn sie nachts allein am Bahnsteig stehen“, Disclaimer; „zu viele Frauen verstehen nicht, dass es Männer nicht nur nerven, sondern auch verstummen lassen kann“, sagen sie keinen Mucks mehr, die Männer, „wenn sämtliche Großbaustellen vom Klimawandel über den Rechtsruck bis zur Krise der westlichen Welt jeden Tag und auf sämtlichen Kanälen“, SZ, FAZ, „Heute Journal“, „den ,alten, weißen, heterosexuellen Männern’ in die Budapester geschoben werden, wo die doch längst von einer aufgeschlossenen Generation junger Männer abgelöst werden“, nämlich vom Haberl oder seinem Kollegen Scharnigg, der vor zwei Wochen eine ganze Zeitungsseite mit der Halluzination vollmalen durfte, Großstadtbewohner könnten vor lauter Korrektheits-„Frömmelei“ weder Fleisch mehr essen noch Auto fahren, oder nur in blanker Angst.
Wir dagegen fahren Taxi, am liebsten mit Haberl und Kollegen; denn die kennen nicht nur das Ziel, die kennen auch den Weg. Nicht dass man am Ende falsch abbiegt; oder überhaupt.