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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 40

Liebe Leser:innen,  

Was ist nun eigentlich aus dem Metaverse geworden, dem grafisch recht grobkörnigen Videospiel von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, in dem wir alle gemeinsam in Zukunft leben, lieben, lachen und arbeiten sollen? Für diejenigen, die davon noch nicht gehört haben: Man kann es sich am besten als eine Art "Die Sims" mit Online-Modus vorstellen, nur dass dort auch Videokonferenzen möglich sein werden, für die die Laptop-Kamera gar nicht mehr ausgeschaltet werden muss: Denn jeder von uns wird dort für immer als grotesk hässlicher Avatar leben! Was für eine herrliche Aussicht. Die einleitende Frage habe ich mir gestern Abend gestellt, denn ich war das erste Mal auf einem modernen Klassik-Konzert.

Die Musik, die in der Kulturkirche Köln durch den sympathischen Niederländer Joep Beving dargeboten wurde, erinnerte mich zeitweilig an das Computerspiel "Die Sims", noch genauer: An den Bau-Modus, in dem wir unser virtuelles – und in Wirklichkeit nie zu finanzierendes – Eigenheim aus Pixeln und Polygonen errichten. Eine Beschäftigung, mit der man Stunden zubringen konnte und die vom Spiel durch sehr freundliche, niemals störende, fast meditative Klaviermusik unterlegt wird. Nun tut man Joep Beving Unrecht, wenn man seinen Sound als Easy-Listening-Hintergrundmusik beleidigt, es geht ihm um was und schließlich bin ich auch Fan seiner Musik und habe mir freiwillig Karten für das Event gekauft.

Aber irgendwas ist doch merkwürdig am gesamten Genre so erbaulicher wie leicht verdaulicher "neoklassischer" Klaviermusik, die, wenngleich zeitverzögert, im Kielwasser des als halbwegs vernünftiger Mensch kaum mehr zu ertragenden "Comptine d'Un Autre Été" aus dem Kinofilm "Die Fabelhafte Welt der Amelie", erst die iPods und später dann die Spotify-Playlisten "Calm Vibes", "Dark Academia" und "Music to study to" heimsuchte und bei der es sich, wenn man’s dann doch einmal genau bedenkt, um friktionslose, sich von Werbung über Film bis hin zu Meditation und Arbeit in jeden Kontext problemlos einfügende Gebrauchsmusik handelt und zwar um Gebrauchsmusik in dem Sinne, wie Coldplay keine Songs für Parties, sondern den Soundtrack für möglichst angenehme Einkaufserlebnisse im Supermarkt aufnehmen.

Alles daran ist angenehm und gleichzeitig macht alles daran ein bisschen Angst. Und während es mir auf der auf der knarzenden Bank der Kulturkirche kaum gelingt, mit meinen Gedanken beim Konzert zu bleiben, weil Twitter, TikTok und wer weiß welche anderen Höllen-Apps mehr meine Aufmerksamkeitsspanne nicht nur filetiert, sondern anschließend püriert und bei einer freien Zeremonie in der Nordsee verteilt haben, wünsche ich mir fast einen Laptop herbei, an dem ich parallel etwas arbeiten könnte, um die Musik besser genießen zu können.

So langsam bekomme ich den Eindruck, dass wir schon längst im Metaverse leben.

Euer Dax Werner

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW39

Liebe Leser:innen,  

Wieder große Aufregung um Friedrich Merz! Beim Spaß-Fernsehsender BILD TV erklärte er einem sichtlich angegeilten Axel-Springer-Absolventen: "Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine, von denen inzwischen eine größere Zahl sich dieses System inzwischen zu Nutze machen." Was hat den Mann geritten? Woher bezieht der CDU-Chef seine Infos? Eine kleine Spurensuche mit Dax Werner.  

Die einzig denkbare Quelle für seine Aussagen: Eine Sprachnachricht, die derzeit auf Whatsapp herumgereicht wird. Correctiv hat die Geschichte dieser Sprachnachricht aufgedröselt: Darin wird Flüchtenden aus der Ukraine vorgeworfen, mit dem Flixbus zwischen den beiden Ländern hin- und herzupendeln, um im großen Stil Sozialbetrug zu begehen. Die Ämter würden demnach angewiesen wegzuschauen, heißt es in der Sprachnachricht von "Nachbar Frank", der diese Infos von seiner Sekretärin "Irina" habe. Seriöser geht's eigentlich nicht!  

Was hat Friedrich Merz gedacht, als er sich diese Sprachnachricht angehört hat? "Wie passend, bald bin ich bei den Jungs von Bild, da werde ich das nochmal vor der Webcam ausbreiten?" Hat er an die anstehende Landtagswahl in Niedersachsen gedacht, wo die CDU gerade 4 Prozent hinter Stephan Weil steckt (muss man auch erstmal schaffen)?  

Irgendetwas muss in ihm passiert sein, als er diese Sprachi studiert hat. Denn aus einer ähnlichen Situation heraus hat der CDU-Boss schon einmal - mehr schlecht als recht - das Ukraine-Thema "bespielt". Damals war die Stimmung noch eine andere, alle Welt forderte von Olaf Scholz, sich endlich in Kiew blicken zu lassen. Und so buchte sich Merz ein Flex-Ticket und düste auf eigene Faust nach Kiew. Die zweite Parallele: Damals wie heute stand nur wenige Tage später eine Landtagswahl an, damals in NRW.  

Deswegen darf jemand wie Merz in so einer Situation auch keine Schwäche zeigen, das wäre irgendwie "links". Zwar hat sich der Sauerländer gestern vor Kameras für irgendetwas entschuldigt, nur hatte die Entschuldigung sehr wenig mit dem zu tun, was er Tage zuvor in die roten Kameras gebellt hatte. In seinem Statement war zum Beispiel nicht mehr explizit von ukrainischen Flüchtenden die Rede und, Klassiker, wenn sich jemand von dem Wort "Sozialtourismus" verletzt gefühlt habe, täte ihm das Leid. Merz winnetouisiert die Debatte und macht sie zu einer Auseinandersetzung auf dem Spielfeld verletzter Gefühle, denn da kann er, im Gegensatz zur Geschichte um die Sprachnachricht von Frank und Irina, mit Leichtigkeit punkten.  

Merz, der Tiger im Käfig des politischen Anstands. Das Learning, das sich für mich nach der ganzen Sache aufdrängt: Die zwei Wochen vor einer Landtagswahl sind der Zeitraum, in dem der Sauerländer gerne mal frei dreht und einen richtigen "Merz" hinlegt. Vielleicht sollte man ihn in diesem Zeitfenster einfach vor gar kein Mikro mehr lassen.  

So long, euer Dax Werner 

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW38

Liebe Leser:innen,  

sie steht hier herum, noch kalt, und sie lacht mich stumm und hämisch an, ganz so, als wolle sie sagen: “Trau dich, Dax Werner, dreh mich doch nur ein kleines bisschen auf. Es ist gar nicht so schwer, wie du denkst. Möchtest du es nicht auch wohlig warm haben, jetzt, wo die Tage kürzer und die Nächte immer kälter werden?” Nein, halte ich staatsmännisch dagegen, wer jetzt nicht zittert und am Thermostat schwach wird, besorgt das Geschäft der Putins und Wagenknechts, schlimmer noch: er oder sie handelt, bedenkt man es recht zu Ende, am Ende noch gegen deutsche Staatsräson, nämlich die der schwarzen Null in memoriam Wolfgang Schäuble.  

Es stimmt natürlich: Mit der Energiepauschale in Höhe von 300 Euro materialisiert sich die unsichtbare Hand des Marktes für den Bruchteil einer Heizperiode, wird dann plötzlich doch kurz sichtbar und dreht den Heizregler für einige wenige Wintertage auf die luxuriöse Stufe zwei von fünf, in Erinnerung an die energiepolitisch unkomplizierteren Jahre unter Kohl, Schröder und Merkel.  

Allerdings nicht zu lange: Für eine vierköpfige Familie mit voraussichtlich 1.000 Euro Energie-Mehrkosten ist die Pauschale nicht viel mehr als ein finanzielles Stoßlüften, jedoch eines, das leise und zaghaft die von Olaf Scholz aus Liverpool angeeignete Fussball-Hymne anstimmt:  You'll Never Walk Alone.  

Denn Solidarität hat viele Gesichter und sie hat viel mit dem eigentlich unübersetzbaren “dedication” aus dem Englischen zu tun. Ein Schulfreund von mir wünschte sich einst eine Trompete von seinen Eltern und musste ganze fünf geschenklose Weihnachten auf sein Instrument warten. Heute spielt er mit Helene Fischer siebenmal hintereinander in der ausverkauften Lanxess Arena in Köln.  

Beharrlichkeit zahlt sich eben aus und wenn die Geschenke für unsere Kinder, Neffen und Nichten zum diesjährigen Weihnachtsfest kleiner ausfallen, dann hat das einen ganz bestimmten Grund: Nämlich den soliden Haushalt rund um die schwarze Null zu wuppen und damit eines der zentralen Wahlversprechen der FDP möglich zu machen. Es bietet sich an, die Jüngsten unserer Gesellschaft schon einmal prophylaktisch hierauf einzustimmen.  

So gewappnet fällt er dann auch nicht mehr so schwer, der zentrale Satz der kommenden Heizperiode: Die Heizung bleibt aus.  

Kommt gut durch: Euer Dax Werner

 

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW37

Liebe Leser:innen,  

mach's gut, kleine Fellnase, und eine gute Reise über die Regenbogenbrücke! Nun hat es auch die Queen erwischt: Viel zu früh (96) nahm der Herrgott sie vergangene Woche zu sich. 12 Premierminister, 14 US-Präsidenten und 7 Päpste hat sie überlebt – und zwar, ohne sich je selbst zur Wahl zu stellen. Was ist es, was auch die Menschen in Deutschland so sehr an Queen Elizabeth II. fasziniert? Warum ist die Trauer auch zwischen Garmisch-Partenkirchen und Flensburg so groß? Handelt es sich lediglich um eine im Tandem zwischen Rolf Seelmann-Eggebert und Rosamunde Pilcher induzierte Kollektiv-Hypnose, die immer dann zum Zug kommt, wenn es irgendwie um England und die Royals geht? Ich habe eine Idee, was der Grund sein könnte und möchte darüber heute mit euch ins Gespräch kommen.  

Wie schnell man diskursiv ins Schwimmen gerät, wenn man die diffuse Bewunderung für die Queen in konkrete Worte packen möchte, bewies am Abend ihres Ablebens Bundeskanzler Olaf Scholz: "Wir trauern um Queen Elizabeth II. Sie war Vorbild und Inspiration für Millionen, auch hier in Deutschland." Worin war sie denn nun genau Vorbild und Inspiration? Ist als Kommentator ein wenig zu sehr auf Krawall gebürstet, wem hier als erstes die 12 Millionen Pfund einfallen, die sie Prince Andrew Anfang des Jahres wohl per Blitzüberweisung zukommen ließ, um den Vorwurf sexuellen Missbrauchs aus der Welt zu räumen? Oder, und das glaube ich eher, erinnert uns die Art, wie die Queen es 70 Jahre und 214 Tage lang auch nur irgendeine Art von Auseinandersetzung mit den Kolonialverbrechen ihrer Vorgänger ausgesessen hat, auf angenehme Weise an den einzigen echten deutschen Royal, Bundeskanzler a. D. Helmut Kohl? Dass die Queen eine Sammlung von ca. 23.000 Diamanten pflegte, von denen 19.000 unter "besonderen Umständen" aus Indien nach England geschafft wurden, kam ihr Zeit ihres Lebens zumindest ebensowenig über die Lippen wie dem Bimbeskanzler die Namen der Spender.  

Wer so ein Ding über solch eine Distanz aussitzen kann, dem ist in Deutschland die Bewunderung sicher. Und wenn hier und da dann doch eine unangenehme Frage gestellt wird, heißt es: Kritik an Elizabeth? Bitte erst, wenn sich kein Mensch mehr an sie erinnern kann. Dass im selben Jahr, in dem zwei Diktatoren mit erschreckend guten Verbindungen in die deutsche Politik Nachbarländer im Osten Europas überfallen, plötzlich Sensibilität für Kolonialverbrechen der britischen Krone Einzug hält, war vielleicht ohnehin nicht zu erwarten. Denn auch hier heißt es nun: Kritik am aserbaidschanischen Präsidenten Aliyev? Bitte erst, wenn das Land für uns energiepolitisch keine Rolle mehr spielt.  

Anyway, mach's gut, Queen, und: Das Foto mit Paddington werde ich nie vergessen.  

Come back stronger: Dein Dax Werner

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW36

Liebe Leser:innen,   

ich erinnere mich noch gut an mein erstes Mal im Signal Iduna Park: Ein toller Fußballplatz mit schöner Stimmung inmitten des vom Strukturwandel geprägten Ruhrgebiets. Kurz vor dem Anpfiff gegen das Punktspiel gegen Hoffenheim sangen die Fans plötzlich einen englischsprachigen Song, der mir bekannt vorkam: "You'll Never Walk Alone" von Gerry & The Pacemakers. Ein emotionaler Hit, den nun auch Kanzler Olaf Scholz zum Mantra seiner politischen Arbeit gemacht hat. Was verspricht sich der Hanseat davon? Eine kleine Analyse.

Gestern zwitscherte er es wieder. Minuten nach der wohl hitzigsten Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition in der bisherigen Ampel-Ära tippte er wieder den Songtitel (mutmaßlich einfingrig) in sein Kanzlerfon: "Die Entlastungspakete dienen dazu, dass wir alle gemeinsam gut durch diese Zeit kommen. So werden wir die Herausforderungen bestehen. Denn das ist das Motto dieser Regierung: You’ll never walk alone. #Zeitenwende". Während ich damals im Stadion nicht wagte, mit einzustimmen – teils, weil es sich aus meiner Sicht nicht gehört, als einmaliger Stadionbesucher Fankultur zu larpen, teils, weil ich nicht textsicher genug war – bewies der Kanzler keine Hemmungen, die Fussballhymne aus Liverpool in den bundespolitischen Kontext zu übertragen. Fair play: Das unterscheidet einen Macher wie Scholz von einem Zauderer, Zögerer, Zerdenker und Zyniker wie mich. Deswegen sitzt er im Kanzleramt und ich im RE7.

Doch was soll "You’ll Never Walk Alone" im Kontext Scholz eigentlich konkret bedeuten? Aufschluss gibt vielleicht sein vorheriger Tweet: "In schweren Zeiten wächst unser Land über sich selbst hinaus. Wir haben eine gute Tradition, uns unterzuhaken, wenn es schwierig wird." Hier wird die direkte Nachkriegszeit angespielt, das Narrativ der Trümmerfrauen. Starke Bilder mit Guido Knopp-Vibes, etwas großspurig für meinen Geschmack, doch die Metapher funktioniert beim Kanzler ohnehin auf mehreren Ebenen. Denn vielleicht galt sie ihm schon als Leitsatz, als das Hamburger Finanzamt sich erdreistete, die Cum-Ex-Beute der Warburg Bank in Höhe von 47 Mio. Euro zurückzufordern und die ganze Nummer anschließend "irgendwie" von "irgendwem" auf Wiedervorlage Anno Tabak gelegt wurde.

Was das Mantra so stark macht ist, dass der Interpretationsspielraum unendlich ist: Gemeint sein könnte nämlich auch Sexminister Robert Habeck, der nach Patzer bei Maischberger diese Woche von allen Seiten unter Beschuss gerät. Botschaft: Kopf hoch, Robert, wir stehen das zusammen durch! Eine pädagogische Farbe mischt sich unter die Buchstaben, wenn wir sie im Kontext der neu aufgelegten Montagsdemonstrationen lesen lernen: Obacht, liebe Linken, niemanden wird interessieren, dass ihr im Herbst friert, wenn zeitgleich auch Rechtsextreme demonstrieren, Schachmatt!

Meine Theorie, dass sich der Song von Gerry & the Pacemakers derart in die Kanzler-Kommunikation schlich, dass Lars Klingbeil ihn an einem gemütlichen Nachmittag im Willy-Brandt-Haus auf der Stratocaster jammte, scheint indes widerlegt: Schon 2007 veröffentlichte Scholz einen Aufsatz mit dem Titel "You'll never walk alone. Das sozialdemokratische Projekt in der globalisierten Welt" in einem Sammelband von Matthias Platzeck. Kultig! Offenbar ist der Songtitel ein Lebensthema unseres Kanzlers und eben nicht, wie Ulrich Reitz im Spaßmagazin Focus formulierte, "kulturelle Aneignung" aus der Fußballkultur.

Keep on rocking in the free world, Olaf: Dein Dax Werner

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW35

Liebe Leser:innen,  

neulich ist mir aufgefallen: Menschen, die früher in der StudiVZ-Gruppe "Hilfe, mein Duschvorhang will mit mir kuscheln!" waren, sind heute alt genug, um sich zivilgesellschaftlich bei den Querdenker-Demos zu engagieren. Und schreckte hoch: Oh Mann, so alt bin ich schon? Wo sind die Jahre geblieben? Tempus fugit, stimmt's? Vielleicht ist es heute Zeit für einige Reflektionen zum Thema Vergänglichkeit.  

Wenn sich im Herz eines Kolumnisten Vergänglichkeitsgefühle einstellen, gibt es für gewöhnlich ein bewährtes Hausmittel: Noch ein Text gegen den ideologischen Zwang zur "Gendersprache". Das Problem: Die Wirkung dieses Gegenmittels lässt mit jeder Dosis etwas nach, so dass sich sich diese Sorte Kolumnentexte inzwischen bei vielen überproportional häufen. Harald Martenstein ist zum Beispiel bei einem Gendergaga-Text pro Woche gelandet, Jan Fleischhauer könnte theoretisch täglich einen in die Tastatur hacken.  

Für uns Millennials gibt es weniger krawallige Strategien, mit der eigenen Vergänglichkeit und dem kulturellen Abgemeldetsein umzugehen. Wir gehen gerne ins Kino, jedoch nur, um uns dort den im Prinzip immer gleichen Film wieder und wieder anzusehen. Oder fahren seit 15 Jahren auf dieselben Festivals, um uns dort seit 15 Jahren dieselben Bands anzusehen. Und uns zwischendurch gegenseitig zu vergewissern, dass wir TikTok nicht verstehen und Klimaproteste zwar notwendig sind, jedoch bitte im Einklang mit dem Gesetz stattzufinden haben.  

Und vielleicht ist so auch die Aufregung um das Winnetou-Kinderbuch zu verstehen, um das es – ja, erwischt – schon letzte Woche an dieser Stelle ausführlich ging. Das Gefühl, dass da jetzt noch eine Säule der Daseinsfürsorge dichtmacht – ist es nicht irgendwie auch ein wenig nachvollziehbar? Ein wenig wie die berühmte Buslinie, die gestrichen wird oder der Penny, der seine Pforten für immer schließt. Alles ist eitel.

Denke ich darüber nach, wie wir dem Vergänglichkeitsproblem gesamtgesellschaftlich Herr werden könnten, fällt mir immer wieder die US-amerikanische Science-Fiction-Serie "Westworld" ein. Dort geht es um einen hyperrealistischen und von Bots bevölkerten Amüsier-Park, der sich jeweils einen thematischen Schwerpunkt setzt. In der ersten Staffel geht es dort zum Beispiel um den Wilden Westen.  

Und dann fällt mir auf: Verfügen wir mit den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg nicht schon genau über unser Westworld? Ein Ort der Einkehr und Besinnung, eine Form der kollektiven Hypnose, in der für immer die 1960er Jahre sind?  

Ein schönes Konzept, dass sich vielleicht auch auf andere Bereiche ausweiten lässt.  

Eine fröhliche Rest-KW noch: Euer Dax Werner

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW34

Liebe Freund:innen,  

die größten Debatten in Deutschland entzünden sich bekanntermaßen immer dann, wenn für ein Recht auf Antisemitismus im Kabarett, Dreadlocks-Kopfschmuck für Weiße oder die bitteschön weiterhin ungestörte Sexualisierung weiblicher Körper in U- und E-Kunst gestritten wird. Dass hierfür in keinem Fall je etwas gerichtlich oder per Gesetz verboten, sondern lediglich punktuell nicht goutiert wird, macht keinen Unterschied. Manchmal reicht schon eine Kurzmeldung auf Seite 22 der Neuen Osnabrücker Zeitung und los geht die Debatte.  

Seit dieser Woche gesellt sich ein weiteres Pattern hinzu: Ein Recht auf Vermarktung eines Kinderbuchs, das in Anlehnung an die Fantasiegeschichten entstand, die sich ein sächsischer Conman vor 130 Jahren über die indigene Bevölkerung Nordamerikas ausgedacht hat. Und wenn auch ihr langsam den Überblick verliert: Mir geht’s ähnlich.    

Aber vielleicht habe ich auch einfach unterschätzt, wie viele Old-School-Leseratten sich dann doch noch unter uns tummeln, die es offenbar in eine schwere Identitätskrise stürzt, wenn eine von vermutlich Millionen im Umlauf befindlichen Karl-May-Editionen vorübergehend nicht lieferbar ist. Für den Debattenrückspiegel habe ich mich auf die Suche gemacht. Wer sind diese Menschen, die vor Wut schäumen, wenn Ravensburger sein Sortiment inkrementell adjusted? Ich hab sie gefunden: Im Kommentarbereich der Instagram-Seite vom Ravensburger Kinderbücher Verlag. Sie hören auf Namen wie "Niels Ruf" oder "Jan Leyk", kratzten vor Urzeiten mal kurz an der Schwelle zur Relevanz und bespaßen seither sich und ihr Umfeld mit Podcasts oder Twitch-Streams. Oder kommentieren bei ihrem Herzensverlag mit drei Lachsmileys oder dem Wortspiel "Bravensburger". Und noch ein anderer, der vor Ewigkeiten seine "15 Minutes of fame" genoss, meldete sich auf dem Zuckerberg-Dienst mit Sharepic zu Wort: Thomas Kemmerich, die Älteren erinnern sich, der sechste Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, ließ sich auf einer Parkbank mit Original-Winnetou-Ausgabe ablichten. Caption: "Ich lasse mir Winnetou nicht nehmen. #Absurdistan".  

Dass auch sein Herz für die Wild-West-Fantasy schlägt, hätten wir natürlich alle miteinander schon an seiner Liebe für Schlangenleder-Cowboystiefel erahnen können. Wer wird sich wohl noch zu Wort melden: Der FDP-DJ Paul van Dyk? Harald Schmidt? Wäre es nicht mal wieder Zeit für einen offenen Brief von Harald Welzer, Juli Zeh und Richard Precht? Das wird die kommende Debattenwoche zeigen.  

Komme was wolle, ich freu mich drauf: Euer Dax Werner

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt