Dax Werners Debattenrückspiegel: KW 51
Liebe Leser_innen,
jetzt ging's dann doch viel schneller als gedacht: Das Jahrhundert-Jahr 2020 biegt im fünften Gang mit rund 150 Sachen aus der letzten Kurve ab auf die Start- und Zielgerade. Wie auf der Rennstrecke gilt auch im echten Leben: Jetzt nicht zu weit raustragen lassen, nicht auf den rot-weißen Curbs beschleunigen, den ganzen Schwung mitnehmen und mit Vollgas und aktiviertem DRS den Debattendrift mit in die nächste Runde nehmen!
Diese ewig langen Zehntelsekunden, in denen rechts bereits die Boxenmauer und vor einem auf dem Asphalt bereits die weiß markierten Startplätze erscheinen, sind natürlich wie Tage um das Jahresendfest herum der kurze Moment, die vergangene Runde Revue passieren zu lassen, oder wie wir in der Persönlichkeitsentwicklung sagen: Möglichkeitsraum "Innehalten".
Denn auf den letzten Metern wird klar, dass dieses Jahr viele Verlierer – wir erinnern uns an den Brand im Krefelder Zoo –, aber auch einige wenige Gewinner kennt. Zum Beispiel den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder: Mit seiner im Pandemie-Management dargebotenen Hands-on-Mentality mit Zip-Sweater unterm Sakko sowie täglichen Zoom-Schalten in jede noch so nischige ÖR-Talkshow hat er sich im Rennen um die Unions-Kanzlerkandidatur extrem gut positioniert. Stichwort Rennintelligenz. Aber: Söder musste sich diese Pace erst erarbeiten. Denn erinnert sich noch irgendwer an die lahmen Januar-Forderungen des flixen Franken? Das Kabinett sollte verjüngt werden und neuer Schwung in die Regierung kommen. Spätestens als das Coronavirus Wien erreichte, hörte man von diesen markigen Forderungen nichts mehr – Seehofer und Scheuer durften noch einmal aufatmen, gehören deswegen vielleicht auch zu den größten Corona-Gewinnern.
Genauso blass dürften die Erinnerungen inzwischen daran sein, dass es auf den ersten Metern von 2020 bereits so heftig krachte, dass die Welt kurz vor einem Krieg zwischen den USA und dem Iran stand, weil sich Noch-Präsident Trump beim Automaten-Daddeln auf Wunderino verklickt hatte, und so versehentlich einen hochrangigen iranischen General per Drohne töten ließ. Diese verdammten Smartphones mit ihren viel zu kleinen Displays! Doch das Seuchenjahr hatte auch Unterhaltsames zu bieten, wie zum Beispiel das 76-Tage-Trainer-Engagement von Nationalmannschaftslegende Jürgen Klinsmann beim Hauptstadtclub Hertha BSC Berlin. Nicht nur, dass ich in meiner Jugend daheim bei der Fußballmanager-Simulation Anstoss 2 teilweise länger mit einem Verein gearbeitet habe als Klinsmann in Berlin; nein, der Wahl-Kalifornier veröffentlichte danach sogar noch ein sehr persönliches Tagebuch über seine Zeit bei der Hertha in der Bild. Darin beschwerte er sich zum Beispiel darüber, dass der Verein seinen Sohn nicht als Torwart verpflichten wolle und die Vereinsführung aus seiner Sicht zu wenig "Lobbyarbeit" bei den Bundesliga-Schiedsrichtern betreibe. Einfach ursympathisch, dieses Schwabenurgestein!
Apropos kurze Amtszeiten: Auch wenn es gefühlt schon fünf Jahre her ist, fällt natürlich auch das Kabinett Kemmerich noch in 2020. Der FDP-Nobody aus Aachen hatte sich am 5. Februar in Thüringen mithilfe der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen und musste nach einer nicht immer einfachen Amtszeit bereits am 6. Februar wieder zurücktreten. Irgendwo verständlich, denn politisch hatte der Mann zu diesem Zeitpunkt alles erreicht – und arbeitet laut für gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen seither an seinen Erinnerungen über die 24 Stunden als Ministerpräsident, Arbeitstitel: "Außer Dienst. 2020–2020".
Manchmal übertreibt man es eben beim Aus-der-Kurve-Beschleunigen und landet im Reifenstapel. Deswegen tut mir den einen Gefallen: Bleibt sauber und haltet die Spur!
Euer ADAC-Fahrtrainer Dax Werner