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Zu scharf für die Wahrheit – Wie ein Dresdner vielleicht irgendwas gegen Fake News machen will

Markus Moleski ist Redakteur. Sein neues Format ist die erste Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen, die vage Meldungen bringt.

Markus Moleski ist aufgeregt. Er steht im Regieraum eines großen öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders und starrt auf die vielen Bildschirme. "Guten Abend", sagt die blonde Nachrichtensprecherin in die Kamera, "hier sind die Nachrichten des Tages in Vague News". Markus Moleski ist der Redakteur. "Nächsten Montag geht's los", flüstert der blondgelockte Hüne. "Wir haben nur noch wenige Probeläufe für das neue Format." Das neue Format ist die erste Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen, die vage Meldungen bringt. "Es gibt ja schon seit Jahren Nachrichten für Kinder", sagt Moleski, "und Nachrichten in Gebärdensprache und neuerdings Nachrichten in leichter Sprache. – Wir starten jetzt mit einer Nachrichtensendung in unscharfer Sprache, um den Fake News und dem Vorwurf der Lügenpresse entgegen zu wirken."

Unscharfe Sprache, was ist das? Wir fragen Thorsten Rietzschl, der den Sender berät. Er wohnt in einer großen Stadt und macht irgendwas mit Sprache – so würde er es vielleicht selbst ausdrücken. Denn der Sprach- und Medienwissenschaftler von der Uni Dresden forscht über die Unschärfe der deutschen Sprache. In einer aktuellen Studie behauptet er, dass die Presse gar nichts dafür kann, dass sie vermeintlich lügt. "Das Ganze ist ganz klar systemimmanent", sagt der sympathische 25-Jährige und krault seinen blonden Vollbart. "Im Grunde können Medien gar nicht die Wahrheit berichten. Die deutsche Sprache ist viel zu scharf dafür. Da braucht man fast schon einen Waffenschein für." Er lacht kurz auf. "Selbst wenn es die Wahrheit gäbe, kann sie von der deutschen Sprache  nicht adäquat als solche abgebildet werden."

Unschärfe

Ein schwerer Vorwurf. Ist unsere geliebte Sprache etwa eine fake language, eine Lügensprache?
"Nein, so drastisch würde ich es nicht formulieren", sagt Rietzschl, steht auf und kritzelt eine Formel an die Tafel:  

Δx · Δp ~ h

"Das kennen Sie. Die Heisenbergsche Unschärferelation, benannt nach dem gleichnamigen Physiker. Beispiel: Wenn Sie ein Foto auf dem Bildschirm stark heranzoomen, erkennen sie irgendwann gar nichts mehr. Nur noch Punkte und Farbflecke. Je näher man sich einem Objekt nähert, desto schlechter sieht man. Und mit der deutschen Sprache ist es ähnlich. Je genauer ich etwas beschreiben will, desto unklarer wird es." Er setzt sich wieder und putzt mit Daumen und Zeigefinger die Gläser seiner Brille im Retro-Stil.

"Wenn Sie jetzt zum Beispiel in ihrer Zeitung schreiben: 'Polizist erschießt Schwarzen in Atlanta', dann ist vieles daran Auslegungssache. 'Polizist' etwa. Vielleicht war es nur jemand von einem Sicherheitsdienst. Dann 'erschießt'. Hat er absichtlich geschossen? Aus Versehen? War es ein direkter Schuss? Ein Querschläger? Dann 'Schwarzer'. Eine ganz heikle Angelegenheit. Wie empfindet dieser Mann sich selbst? Ist das Schwarzsein vielleicht eher eine Zuschreibung von anderen? War es ein Afro-Amerikaner oder ein Latino? Oder ein Elternteil war weiß, das andere nicht. Vielleicht schreibt man besser Farbiger oder Person of Color."

Nie mehr Fake News

Besser sei es deshalb, rät Rietzschl, die einzelnen Begriffe zu verunschärfen. So wird aus "Polizist" das schöne Wort "Mensch", ebenso aus "Schwarzer". Noch besser sei das noch unschärfere Wort "jemand". Um die beiden zu unterscheiden, wird ein "anderes" eingefügt. Aus Atlanta wird "irgendwo". Beim Verb "erschießen" wird es schwierig, ein adäquates Synonym zu finden: "Ermorden, umbringen, töten – das alles ist noch zu spezifisch und zu wertend." Praktisch und von einer idealen Unschäfte sei "tun", sagt Rietzschl. Aus: "Polizist erschießt Schwarzen in Atlanta" wird so: "Jemand tut irgendwo etwas mit jemand anderem". "Ein Satz, der durch seine hohe Unschärfe eine unmittelbare Konsensfähigkeit besitzt", sagt Thorsten Rietzschl. "Zugegeben, das mag erst einmal gewöhnungsbedürftig sein, inhaltlich ist der Satz aber unwiderlegbar und deshalb unangreifbar. Kommunikation und Sprache sind immer auch Kompromiss. Mit unscharfer Sprache werden wir Fake News und den Vorwurf der Lügenpresse besiegen." 

"Es gibt noch mehr Vorteile", wirft Markus Moleski ein, der gerade einen Stapel frischer Meldungen hereinbringt, die Thorsten Rietzschl begutachten soll, "Sendungen in unscharfer Sprache sind leichter verständlich und wir brauchen für die Nachrichten nur noch ein Viertel der Zeit. Zudem beugt unscharfe Sprache Gerüchten und Hatespeech vor. Versuchen Sie einmal, in unscharfer Sprache zu fluchen." Besteht nicht die Gefahr, dass die deutsche Medienlandschaft durch den Gebrauch von unscharfer Sprache verödet und langweilig wird, wenn alle das gleich schreiben? Rietzschl lacht kurz auf. "Nein, nein." Er sei zuversichtlich, dass seine Arbeit schon bald die ersten Früchte tragen wird. Und auch Markus Moleski stimmt zu: "Geben Sie unserem neuen Nachrichtenformat ein bisschen Zeit, bald werden alle so sprechen wie wir." Jemand tut zum Abschied etwas mit jemandem.

Michael-André Werner 

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg