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Verpacktes Glück

Gouda im Tetrapak, Klopapier in der Blechdose, Einweg-Dildos – immer mehr beschauliche VERPACKT-Läden erobern den Markt.

Die doppelt eingeschweißten Reisbeutel, mit Luftpolsterfolie nochmal gut umwickelt, stehen Reih in Reih auf dem Schränkchen vor dem Giebelfenster, durch das die Mittagssonne bricht. In den Hängeregalen daneben finden sich einzeln vakuumierte Erdbeeren, eine Batterie an Capri-Sonnen, Frischhaltefolie in Frischhaltefolie sowie Wegwerf-Socken in praktischen Styroporkartons, zu Pyramiden gestapelt.

11 Uhr in der Früh: Zufrieden steht Winfried Schröder in seinem Eckladen in Hamburg-Ottensen, rückt jede Ware zurecht. Sein Blick streift zärtlich über die Regale. Der liebevoll eingerichtete, 2022 eröffnete VERPACKT-Laden namens "In Hülle & Fülle" ist Schröders ganzer Stolz. Dafür hat er seinen Job als Filialleiter bei Edeka an den Nagel gehängt, um endlich nur noch das zu machen, wofür er wirklich brennt. Jahrzehntelang hat der 51-jährige nicht so recht gewusst, was er im Leben will – bis er vor zwei Jahren in Berlin-Prenzlauer Berg zum ersten Mal diesen einen VERPACKT-Laden mit dem frechen Namen "Polyme(h)r" entdeckte. Da wusste er: "Da gehör’ ich dazu!" berichtet der Verpackungsfreund, seine Augen glänzen dabei mit den monumentalen Blechbüchsen um die Wette.

In seinem Geschäft verkauft Winfried Schröder nur Produkte, die gut verpackt sind, da ist er konsequent. Aber nicht in normalen Verpackungen. Schröders Sortiment ist handverlesen. Herkömmliche Supermarktprodukte kommen ihm nicht in die Einwegtüte. "Nur extra ganz doll verpackt", das sei ihm wichtig. Am besten doppelt und fünffach. "Einzeln eingeschweißt, und darüber dann noch mal irgendwas. Und dann noch was", erläutert Schröder, "so wie die russischen Matrjoschkas". Dann mache auch den Kund*innen das Auspacken mehr Spaß. Angeliefert werden die Waren vom Großhändler noch mal zusätzlich in Kunststoffsäcken verpackt, "das Konzept muss sich ja schließlich durchziehen".

Ron Harrison, New York 1978, Pionier der Szene

Mit seiner Leidenschaft ist Winfried Schröder nicht allein. Die bundesdeutsche Most-Waste-Bewegung gewinnt seit Jahren an Fahrt. Nachbarschafts-Lädchen wie "Die Mogelpackung", "Der Sache wegen", "Moin verpackt!" oder "Viel Drum Rum" sprießen in Freiburg, München oder Kiel munter aus dem Asphalt. Gründe dafür gibt es viele. Da wären zum einen hygienische, erklärt Schröder. Schutzfolien seien das A und O. "Ja, will man denn unverpackte Ü-Eier oder loses Apfelmus kaufen?" lacht Schröder. Und dann sei da noch das Ästhetische: "Das Auge kauft mit!" Schon seit Kindesalter interessiert er sich glühend für Verpackungsdesign. Sein Lieblingsmaterial: Plastik. "Aber Plastik ist ja nicht gleich Plastik", betont Schröder, da existiere ja eine immense Bandbreite an spannenden Stoffen von Polyethylenterephthalat über Polyethylen bis Polyvinylchlorid. Schröders großes Idol ist der Verpackungskünstler Christo, aber auch die Gestalter von Nestlé und Pepsi & Co. haben es dem Hanseaten angetan. Oder die sagenhaft verpackten Hello-Fresh-Boxen: "Da ist sogar die Prise Salz extra eingetütet, nur geil!" Aber auch Weißbleche, Styropor, Asbest und Aluminium zählen zu seinen Steckenpferden. "Alu, da könnt ich mich reinlegen!" ruft Schröder, was er in der Mittagspause im Lagerraum mit einer gut ummantelten Bifi gerne auch tut.

Ob er kein Problem damit habe, dass Aluminium schlecht biologisch abbaubar ist und sich jahrhundertelang in der Natur hält? Winfried Schröder überlegt. "Hallo, wir sind Menschen, hoch entwickelte Primaten", sagt er dann. "Wir wollen Spuren hinterlassen. Wenn wir sterben, ist sonst nichts mehr von uns da." Und überhaupt, die Natur sei ja selbst der größte Heiopei, argumentiert er nicht dumm, mache es doch genauso. Vor allem die Früchte. Jede Fruchtschale, aber auch jede Kokosnuss, jede Artischocke, jede leckere Auster trüge ja ihre eigene, hochkomplexe Verpackung bereits mit sich herum.

Süßwaren im VERPACKT-Laden

Bimmelim! Eine Kundin mit Dutt und Zwillings-Buggy betritt den Laden und erkundigt sich nach einzeln eingeschweißten Bananen, nicht kompostierbaren Hundekotbeuteln und großen Luftpolstertaschen als Einmal-Kopfkissen. Jeden Mittwoch kommt die Vierfachmutter mit dem Campingbus aus dem 130 Kilometer entfernten Wendland angefahren, um hier einzukaufen. Bei herkömmlichen Supermärkten, berichtet sie, kaufe sie nicht mehr. Da sei ihr alles zu wenig verpackt. Man habe nun mal seine Ideale. Genau wie Winfried Schröder. Der bekennende Kosmopolit schaut  beim Wareneinkauf gern über den eigenen regionalen Tellerrand hinaus: Orangen aus Uruguay, Brombeeren aus der Mongolei oder nicht wiederverwendbare To-go-Becher aus dem Togo ordert er immer wieder. Jedes weit gereiste Produkt erzähle eine spannende Geschichte, so wie ein finanzstarker Abiturient auf Weltreise. Die Zwillingsmutter leg alle zehn Artikel auf die Ladentheke. Schröder verpackt jeden einzelnen nochmal extra in einer Geschenkbox aus Polyurethan und laminiert den Kassenbon.

"Moment noch!" sagt Schröder am Ende und greift in die Schale mit den bonbonfarbenen Styroporkügelchen, drückt den Zwillingen je ein Dutzend in die Fäuste. "Für die lieben Kleinen!" zwinkert er, dann greift er unter die Theke und schiebt der scheidenden Kundin noch ein paar verbotene Plastikstrohhalme in einer blickdichten PET-Flasche zu. So viel Kundenbindung muss sein.

 

Ella Carina Werner

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt