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Ratzefummeln in Remscheid – Pläne gegen den Lehrermangel

Leider total verwaist: Deutschlands Schüler 2019

Alarm: Die Schulzeit beginnt und an Deutschlands Lehranstalten fehlt es an qualifiziertem Personal sowie vielfach an Lehrern. Doch die Bundesländer sind nicht auf den Kopf gefallen und kreieren mit reichlich Improvisationstalent ihre eigenen Lösungen. Eine Reportage.

"S und T wird nie getrennt ...", kräht es durch den Klassenraum der Alpengrundschule Berchtesgaden-Ost, dass die Schüler der Klasse 2b flugs mit einstimmen: "Auch wenn das ganze Schulhaus brennt!" "Na bitte, geht doch, ihr Doofköppe", donnert Adolf-Wilhelm Hindenburg. Der staatlich ausgebildete Volksschullehrer ist 93 Jahre alt. Sein Holzstock dient ihm nicht nur als Gehhilfe, sondern auch als Waffe im täglichen Kampf mit den "Höllenbraten", wie er seine Zöglinge seit dem Referendariat 1952 liebevoll nennt. Andere Regionen klagen über Hunderttausende offene Stellen, insbesondere an Grundschulen. Oberbayern nicht. "Offene Stellen hab ich nur an den Beinen", ulkt der gefragte Greis, während er seinen Tageslichtprojektor von einem Klassenraum zum nächsten wuchtet.

Die bayerische Erfolgsformel: ehemalige Lehrkräfte verpflichten, vor allem aus den Jahrgängen 1920 bis 1935. Als pensionierter Studienrat sei man "Reservist", lebenslang. "Einmal Staatsdiener, immer Staatsdiener", krakeelt Hindenburg sehr zufrieden, nicht zuletzt aufgrund seiner mit dem Alter ansteigenden Beamtenbesoldung. Zurzeit sind es monatlich 13 600 Euro. Sicher, als der siebzehnfache Urgroßvater im Schuljahr 2018/2019 nach langer Auszeit wieder einstieg, hatte er zunächst ein wenig Bammel. Mit neumodischen Ideen wie Gruppenarbeit, gewaltloser Kommunikation und Gymnasialempfehlungen auch für Mädchen konnte er nicht viel anfangen, auch Englisch in der Grundschule ("Ist das nicht die Feindsprache?") bleibt ihm bis heute fremd. Nur die Methode der "Binnendifferenzierung", um auf jeden Schüler individuell einzugehen, gefällt dem ehemaligen Fahnenjunker sehr, "vor allem auf dem Gebiet der Strafen." Kopfnüsse, Ohren langziehen, mit dem Lineal eins, zack, auf die Fingerknöchel, "jeder nach seinen Bedürfnissen, hehe." Auch jahrgangsübergreifendes Eckestehen hat Hindenburg im Repertoire. Inhaltlich sind seine Schwerpunkte das ABC, Herrenvölkerball und der Schrecken des Kommunismus. Das pädagogische Konzept seiner Generation – "Fordern und Fordern" – kommt im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus sowie auch bei der heimischen Elternschaft bestens an.

Das waren noch Zeiten: Lehrerzimmer um 1960.

Die norddeutschen Bundesländer versuchen hingegen, mittels Quereinsteigern die eklatanten Lücken in den Lehrerzimmern zu füllen. "Bei uns darf jeder ran", versichert Hamburger Bildungssenator Ties Rabe, "genau wie beim Poetry Slam." Der Vorteil: Wer vorher in anderen Branchen tätig war, bringt jede Menge interessante Berufserfahrung mit. Ganz neue, spannende Schulfächer wie "Bergbaukunde" oder "Print-Journalismus" entern so den Lehrplan. Auch ein ganzes Kollegium arbeitsloser Baumschullehrer aus dem Harz konnte bereits integriert werden, "das pädagogische Know-how hatten die ja schon drauf, und mit dem Aufziehen junger Pflänzchen Erfahrung", zwinkert Senator Rabe.

Anreize schaffen, mittels groß angelegter Kampagnen neue Lehrkräfte locken, ob mit Testimonials wie Dr. Specht oder Lehrer Lämpel, ist das Gebot der Stunde. Infobroschüren werben mit pfiffigen Argumenten, um Menschen zum Branchenwechsel zu verführen: "Lust auf mittags frei, #agenturfuzzis?", "Deutsche Frauen, tut es für eurer Volk!" oder im ländlich geprägten Mecklenburg: "Traumjob Lehrer: Mehr Knechte als ein Gutsherr." Wenn nicht gar herrlich frech: "Für die Grundschule reicht's."

Eine Ursache des Lehrermangels: "Die hohe Durchfallquote – vor allem auf den Lehrertoiletten", ächzt eine geplagte Schuldirektorin aus Hannover. Gründe für den hohen Ausfall an Lehrkräften gibt es aber auch andere, zum Beispiel keinen Bock. Deshalb setzt Nordhrein-Westfalen gerade auf auf die Zwangsrückführung abgetauchter Lehrer, welche deutschlandweit etwa 150 000 ausmachen. Razzien in Psychiatrien und Burnout-Kliniken zeigen erste Wirkung, und auf der beliebten Lehrerinsel La Gomera konnte kürzlich ein 47-köpfiger Studienratstrupp beim Nacktwandern dingfest gemacht werden.

In Rheinland-Pfalz wiederum glaubt man an technologische Innovationen. An der Kreidetafel laufen von China inspirierte Experimente mit Mischformen aus Menschen und Lehrkräften aus der tierischen Häschenschule, gern mit Monokel und Frack, sowie mit Androiden. Diese haben integrierte Sprachprogramme. Wichtige Fachausdrücke wie "Ratzefummel" und Gesprächsbausteine wie "Herr Lehrer, geht das? - Natürlich, wenn es Beine hat" oder "Du bist wie ein Kotelett – von beiden Seiten bekloppt" sind bereits einprogrammiert.

Ganz andere Töne vernimmt man dagegen dieser Tage aus Berlin: Dort ist seit Beginn des neuen Schuljahrs vermehrt von tödlichen Badeunfällen die Rede, weil immer weniger Schüler schwimmen können, sowie von unerfreulich verlaufenden Masern-Erkrankungen. Zufall? Oder Teil des neuen Zukunftsplans von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD)? "Weniger Kinder, weniger Lehrer", heißt es jedenfalls orakelhaft in den geheimen "Papers" ihrer Landesregierung, die in anderen Landesministerien bereits Anklang finden. Das würde auch Adolf-Wilhelm Hindenburg in Oberbayern gefallen: "Die Schwachmatikusse gehören alle ausgemerzt!"


Ella Carina Werner

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt