Artikel
Pro und Kontra Schulöffnungen
Das ständig wiederkehrende Thema nun endlich mal eingeordnet – die Onlineredaktion diskutiert.
Pro
Paula Irmschler
Dieser Tage denke ich oft "Non scholae, sed vitae discimus" – Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Ich denke es selbstverfreilich im Original, in Latein, und dahinter steckt, dass ich früher in der Schule neben Französisch-, Englisch- und Russischunterricht noch freiwillig einen Lateinkurs belegt hatte. Freiwilligkeit ist heutzutage eine seltene Tugend. Man tut nur noch wie einem geheißen, nur noch das Minimum. Und damit sind wir genau bei dem Problem angekommen, um das es geht. Der Mensch ist ein Herdentier. Wir wollen zusammen sein, ob beim Austernessen, Polospielen – oder im Klassenraum. Der Mensch will vorankommen. Der Mensch will lernen. Wenn jetzt gefordert wird, die Schulen geschlossen zu lassen oder wieder zu schließen (ich bin mir nicht sicher, wie da der aktuelle Stand ist, da ich seit Jahren keinen Fernseher mehr besitze), dann ist das widernatürlich. Lehre lässt sich nicht in Ketten legen, Wissensbegierde wird sich ihren Weg bahnen, Heranwachsende brauchen das Miteinander. Auch, wenn sich das viele Leutchen auf Twitter mit ihrer Kommaallergie nicht vorstellen können. Ich bin früher gern aufgestanden, fünfzehn Kilometer über unser Anwesen bis zum Chauffeur gelaufen und in meine Schule, die St. Augustin Private School of Intellectualism and Finances, gefahren. Wir hatten genug Raum, uns auch aus dem Weg zu gehen: Ob in der großen Bibliothek im Schloss, in der Schwimmhalle, oder in den Ruhekabinen. Für frische Luft sorgte das Meer. Ich verstehe nicht, weshalb das alles heutige Schüler nicht hinbekommen sollten. Auch die Eltern sollte man entlasten von diesem Homeschooling-Irrweg. Sie haben genug zu tun an der Börse und mit den Immobilien. Das größte Virus ist, ja, ich sage es jetzt einfach mal: die Dummheit. Abyssus abyssum invocat.
Kontra
Fabian Lichter
Wenn ich das Wort Schulöffnung nur höre, krieg ich schon so einen Hals. Lasst die Penne zu!, sag ich da und pinkel zur Verdeutlichung gleich mal auf die Fußmatte vom Rektorzimmer. Alles, was ich vom Leben weiß, hab ich sicher nicht im Unterricht gelernt. Stichwort Raucherecke, Stichwort Schule des Lebens, Stichwort alternative Nachrichten bei Telegram. Seien wir ehrlich: Wir leben im Jahr 2021 – wer braucht heute noch Bildung? Wenn in meinem Umfeld jemand stolz davon erzählt, einen Abschluss erlangt zu haben, denke ich mir nur: "Schön für dich, wirst schon noch sehen, was du davon hast. Die Wahrscheinlichkeit, dass du gleich eine fängst, liegt übrigens bei 100 Prozent, Kollege, und dafür brauch' ich kein Mathe, du Null." Aber Spaß beiseite! Neulich hab ich meinen alten Deutsch-Pauker, mittlerweile pensioniert und dreifach burnouttherapiert, besoffen anner Straßenecke überm Mülleimer hängen gesehen. "Siehst du, das ist das Leben!" hab ich ihm nachgerufen, "endlich hast du es kapiert!" Aber manche müssen für derlei Lebensweisheiten eben ein paar Extrarunden im Bildungssystem drehen. Was soll man dazu sagen außer: Carpe Diem, wie der Spanier sagt, oder auf Deutsch: Haha!