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Pro und Kontra Eigenheim

Verlust von Verdienstmöglichkeiten, Wohnungsmangel, kaum Altersvorsorge: Das Leben für Arme ist schwer, gerade jetzt. Doch kann wirklich, wie so oft beschworen, der Besitz eines Eigenheims die Lösung sein? Wir diskutieren Pro und Kontra.

Pro

Leo Fischer, 52, hat durch umsichtiges Wirtschaften und einige kluge Investments mehrere Mietshäuser in Heidelberg geerbt.

Eigener Herd ist Goldes Wert: Gerade jetzt, in der Corona-Zeit, spüren wir dieses Sprichwort besonders stark. Denn es stimmt: Ein Eigenheim ist immer auch Zufluchtsort, Rückzugsort vor dem Drangsal des Alltags, vor Viruskeim, Seuchenherd und Zinsschwankungen. Ein eigenes Haus, das bedeutet: kein Treppenhaus, das man sich mit infizierten Nachbarn oder Sozialneidern teilen muss; keine papierdünne Wohnungstür, die von Plünderern mühelos eingetreten werden kann; kein Risiko wie etwa bei anderen Anlageformen. Und sollte man dennoch einmal erkranken - nirgendwo wird man besser gesund als in den eigenen vier Wänden im Maisonette-Stil, mit freistehender Küchenzeile, Terrakotta-Optik im Gästebad und einer Flinte auf dem Balkon. Das sind Lebenserfahrungen, die einem an der Schule keiner beibringt. Jedenfalls in keiner, die Leute wie Sie bezahlen können.

Der Herbst kehrt ein in Deutschland, doch für Immobilienfüchse wie mich ist durchaus noch nicht die Zeit zum Winterschlaf gekommen! Wer jetzt ein Haus hat, wird bald ein zweites haben - die Explosion bei den Mieterträgen macht es möglich! Aber nicht vergessen: Der Herbst ist auch eine goldene Jahreszeit für Parasiten. Falls ihr Eigenheim durch einen blöden Zufall von sogenannten “Mietern” (Jura-Sprech) befallen sein sollte: Klagen auf Eigenbedarf haben derzeit wieder besonders gute Chancen (z.B. Landgericht München, “Oma in die Gosse”).

Ich weiß, was Sie jetzt sagen werden: Woher das Kapital dafür nehmen? Fassen Sie Mut! Wenn Sie können, suchen Sie baldmöglichst das Gespräch mit Ihrer Bankberaterin, um den Traum vom Eigenheim noch in diesem Jahr zu erfüllen. Sie hat bereits maßgeschneiderte Finanzierungskonzepte für Sie vorbereitet, die Sie für den Rest Ihres Lebens beschäftigen werden. Dafür haben Sie dann die Sicherheit, dass die Kinder irgendwann einmal die Hütte weit unter Wert abstoßen können. Die Kinder der Bankberaterin.

In Krisenzeiten rücken die Deutschen wieder enger zusammen. Für uns bedeutet das: Nachverdichtung in der Peripherie! Setzen Sie auf den alten Kasten noch ein zugiges Penthouse obendrauf. Irgendeinen Dummen werden Sie schon finden, der da einzieht. Garantiert.

Kontra

Paula Irmschler, 24, ist Redakteurin im Feuilleton einer großen Tageszeitung. Ihr Buch "Enttäuscht euch!" erscheint im Franzosen-Verlag.

Mein Weg verlief total klassisch: Aufgewachsen in München, Abitur an der International Financial School Of International Finances, Auslandsstudium an der Pariesienne de la Bonne Universitâire – und schließlich sollte der Rückzug kommen, um das Leben im ersten eigenen Haus, zentrale Lage, mit meinem Freund und seinem Haus, direkt auf der Straße gegenüber, zu beginnen. Wir haben es alle so gemacht und nie hinterfragt. Für eine ganze Generation war das die einzige Vorstellung von Leben. In ein paar Jahren würde noch das Häuschen im Grünen dazukommen und das in der Stadt vermietet und das wäre es dann. Klappe zu, happily ever after. Aber mir reichte das nicht. Ich spürte, da ist etwas falsch dran, nicht die ganze Wahrheit, nicht genug.

Durch eine Reportage, die ich für die Zeitung schrieb und die mich auf eine Reise schickte, begriff ich: Die Welt besteht nicht nur aus München und Paris, sondern auch aus Madrid und London. Bei der Reportage ging es um die Fashion Week. Ich habe mir also die Nase gepierct und bin los. Ich sprach mit Menschen, für die das Leben nicht so einfach und aufgeräumt war wie für mich und alle anderen aus meiner Generation. Es gab auch Menschen, die immer unterwegs waren, nur aus Koffern lebten und wenig Platz für ihre Kosmetika hatten. Ich lernte eine ganz neue Welt kennen: die der tollen Hotels. Sie hatten eine starke Anziehungskraft auf mich, und mittlerweile reise ich nur noch umher, teilweise mit Rucksack. Ein herrliches Leben, für das man sich lieber entscheiden kann. Traut euch! Kommt raus aus eurer Comfort-Zone. Und es heißt nicht, dass ihr gar keinen Lebensmittelpunkt haben könnt. Ich selbst bin zum Beispiel Mieterin. Ein paar Tage im Jahr verbringe ich in Frankfurt in einem Penthouse auf dem Haus eines netten urigen Kauzes namens Leo F.

Und das meine ich auch mit meinem Buch. Enttäuscht ist hier gemeint in dem Sinne, dass man sich ent-täuscht, also sich von Täuschungen löst. Etwas kompliziert, aber doch irgendwie ganz logisch, wenn man mal drüber nachdenkt. Ich muss wieder los, das Leben ruft.

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg