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"Organe sind immer ein blutiges Geschäft" – Jens Spahn im Interview
In Deutschland fehlen die Spenderorgane. Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit, möchte das mit einem neuen Gesetz ändern. Mit TITANIC sprach er über Wildunfälle, das Mittelalter und seine Freundschaft mit dem Tod.
TITANIC: Herr Spahn, mit Leidenschaft treten Sie für die sogenannte Widerspruchslösung ein, die besagt, dass künftig jeder Mensch qua Gesetz Organspender sein soll, wenn er keinen Widerspruch einlegt. Kritiker sagen, das ist ein zu starker Eingriff in die Privatsphäre.
Spahn: Ich zwinge ja niemanden zu irgendetwas, ich nehme mir einfach seine Organe. Sofern er nicht zu Lebzeiten widersprochen hat. Das ist doch ein Unterschied, der ans Eingemachte geht, wenn Sie mir dieses Wortspiel an dieser Stelle gestatten.
TITANIC: Gestattet. Fällt es Ihnen leicht, über den Tod zu reden?
Spahn: Seltsamerweise ja. Ich finde, der Tod gehört zum Leben. Wenn man mal bedenkt, dass jeder stirbt, halte ich es für Quatsch, ihn aus unserer Gesellschaft zu verbannen. Er muss rein. Rein in die Schulen, rein in die Kitas, rein in die Säuglingsstationen. Man kann sich nicht früh genug vom Leben verabschieden.
TITANIC: Das heißt, Sie haben ihren Umgang damit gefunden?
Spahn: Ich bemühe mich, ihn willkommen zu heißen, ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm aufzubauen, und ob sie es glauben oder nicht, wir mögen uns mittlerweile ganz gern. Ich habe neulich mit dem Dienstwagen bei Cottbus ein Reh zu Brei gefahren, da habe ich mich gefreut und es bestimmt noch eine ganze Stunde lang beobachtet.
TITANIC: Woher kommt diese Leidenschaft für Ihren Beruf?
Spahn: Ich weiß nicht, auf einmal war eben dieses Organthema da. Da hat es Boom gemacht in meinem Kopf, das hat mich begeistert. Da habe ich gesagt: "Dafür setze ich mich jetzt ein!" Ich will, dass die Menschen über ihre Innereien nachdenken, will sie berühren, tief drinnen, will das Beste aus ihnen rausholen.
"Das holen wir auch noch raus!" – Spahn ist sich nicht zu fein, auch selbst Hand anzulegen
TITANIC: Sie meinen …
Spahn: Die Nächstenliebe, genau. In der Bibel steht ja dieser Spruch von wegen "halte deinem Nächsten beide Backen hin". Das gilt natürlich auch für Nieren, Lungenflügel oder Lebern.
TITANIC: Aber ein Mensch besitzt nur eine Leber.
Spahn: Sie vielleicht.
TITANIC: Das heißt, Sie …
Spahn: Aber natürlich! Als Berufspolitiker ist mein Körper besonderen Strapazen ausgesetzt. Und wenn man direkt an der Quelle sitzt …
TITANIC: Ist das nicht irgendwie … morbid?
Spahn: Organe sind immer ein blutiges Geschäft, aber das ist eine Mandel-OP auch. Wissen Sie, dass man Blutungen im Mittelalter mit glühenden Eisen gestoppt hat, in dem man die Haut zusammenschmorte? Das funktioniert.
TITANIC: Aha.
Spahn: Ja, so war das.
TITANIC: Wie reagieren die Leute auf Ihre Pläne?
Spahn: Äußerst positiv, ich erkläre ihnen ja immer, worum es geht. Es geht nicht um mich oder ein Stück Papier. Es geht um die Menschen. Nehmen sie mal den hart arbeitenden Familienvater, der ein krankes Herz hat. Plötzlich beginnt es, zu stocken, er fällt vom Gerüst – der Mann ist ein Gerüstbauer – und landet auf dem Hinterhof. Da kommt dann eine Eisenstange vom Gerüst hinterhergefallen und durchbohrt auch noch seinen Dünndarm. So. Jetzt hat der Mann aber eine Familie und die kann sich nicht selbst ernähren, die haben auch keine Ersatzorgane im Kühlfach. Da kann die Medizin diesem Mann helfen, aber eben nur, wenn die Menschen ein Herz haben. Herz jetzt im übertragenen Sinne.
TITANIC: Das wünschen wir uns natürlich alle …
Spahn: Ja … Nanu, Sie schauen irgendwie so blutleer aus. Geht es Ihnen nicht gut?
TITANIC: Wie? Doch doch, alles in Ordnung. Herr Spahn, die Zeit ist leider schon wieder abgelaufen. Bitte gehen Sie jetzt, und danke für das Gespräch.
Spahn: Ja ja, irgendwann ist unser aller Zeit einmal abgelaufen. (lacht) Danke auch und auf Wiedersehen.
Fabian Lichter