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Maroad Trip durch die USA: Einblicke in Amerikas verfallene Infrastruktur
TITANIC hat sich im Land der unbegrenzten Unzulänglichkeiten einmal umgesehen. Ein Bericht von einem ziemlich ungemütlichen "Adventure Trip".
Woran Donald Trump und unzählige Vorgänger im Amt gescheitert sind, daran versucht sich jetzt Joe Biden: die Sanierung der vollkommen maroden Infrastruktur der USA. Das ist insofern bemerkenswert, als die Verkehrsadern der einzig verbliebenen Supermacht mindestens so verkalkt sind wie die Blutbahnen des amtierenden POTUS. Ein gigantisches Projekt, das sich da vor ihm auftürmt, bzw. über ihn hereinbricht, sollte der Kongress ihm das Geld dazu bewilligen.
Schon der Anflug auf La Guardia, den Airport von New York, ist ruppig. Heftige Turbulenzen schütteln die Maschine durch wie eine Büchse Budweiser beim Rodeo-Ritt. Eingehüllt von dichten gelben Wolken stoppt der Flieger abrupt, mitten in der Luft! WTF?!, wie kann das sein? Sind wir etwa vor einer Schallmauer zum Stehen gekommen, gar auf einem Luftkissen gelandet? Mitnichten! Es stellt sich heraus: Wir sind längst gelandet, die "Luftwirbel" entpuppen als ein holpriger Ritt auf einer mit Schlaglöchern und Erdklumpen übersäten Landepiste, die Wolken als aufsteigender Staub! Über die fast senkrecht stehende Gangway rutschen wir runter, begeben uns flugs zur Gepäckausgabe. Das Förderband besteht noch aus nach dem Krieg nicht mehr benötigten, verschweißten Ersatz-Panzerketten, Typ Sherman, ist ca. 75 Jahre alt! Neulich sei das mal gerissen und habe in der Folge Dutzende Koffer und Taschen über den ganzen Terminalbereich verteilt, sagt uns ein Mitarbeiter, der gelangweilt in einer heruntergekommenen, graffitiverschmierten Ecke steht. "Da, wo Sie eine alte, zerfetzte Ausgabe der USA Today von 1985 sehen, befindet sich ein Loch im Glas. Na ja, den letzten Rucksack haben wir noch Monate später in einem Krater auf der Landebahn 4 entdeckt", grinst er. Am Ausgang winken wir nun eines dieser berühmten Yellow Cabs zu uns, die Schienen der Zubringerstrecke sind schon lange komplett verrostet, und machen uns auf den Weg zum "Big Rotten Apple".
Während wir mit 180 Meilen über die Straße "fliegen", damit wir nicht in die auf der Fahrbahndecke klaffenden kleinen Canyons fallen, lesen wir im Reiseführer, dass die New Yorker Droschken ihre berühmte nikotingelbe Farbe der Tatsache verdanken, dass sie nach langer Dienstzeit regelrecht vergilbt sind. Im Hotel angekommen, gönnen wir uns erst mal einen Schluck verbleites Bier aus der Leitung. Nun, es sieht zumindest danach aus: naturtrübes Braun, mutmaßlich voller Schwermetalle, manche sagen auch sarkastisch "Frack", in Anlehnung an die beliebte Droge, die überall im Grundwasser lauernden Chemikalien.
Am nächsten Tag sind wir dann endlich "on the road", oder zumindest auf dem, was davon noch übrig bzw. zu erkennen geblieben ist. In regelmäßigen Abständen machen wir Station an einer der - vergleichbar mit den Burgruinen Europas, nur weniger romantisch - den Highway säumenden Raststätten, um uns in den ausliegenden Zeitungen über die neuesten eingestürzten Brücken zu informieren. Katastrophenmeldungen über Infrastruktur können sich von der Anzahl locker mit dem Immobilienteil der Wochenendausgabe einer großen deutschen Gazette messen. Im Rust Belt fallen uns bei Detroit respektive "Destroit", wie Einheimische liebevoll sagen, bei einer rostigen Dose Coke und einer Rostbratwurst die ganzen roten "Skulpturen" am Straßenrand auf. Das sei keine Kunst, sondern es sind alte Industrieanlagen, klärt uns der Tankwart mit einer kaputten Brücke und noch drei Zähnen im Mund auf, während er die zahlreichen Beulen an unserem Hummer mustert. Im Grand Canyon sei sogar so eine wunderschöne, bogenförmige Gesteinsformation eingebrochen, "Sparmaßnahmen der Vorgängerregierungen". Selbst der berühmte Mount Rushmore firmiere bei Touristen nur noch als "Mount Crushmore". Und er gibt uns noch einen Tipp. In North Dakota finde man wild über das Land verstreute Häuser, die eher an die Südstaaten erinnern. Das sei kein Zufall, die wären von Tornados dorthin verfrachtet worden. Da stehe nur noch jeder zweite Tornadelbaum an der Alley. Natürlich seien die Häuser für den hohen Norden ein bisschen zu dünnwandig und zudem natürlich ohne für die Gegend gültige Baugenehmigung errichtet. Aber ob das Gebiet nun infrastrukturell neu erschlossen sei oder nicht, wer bemerke schon den Unterschied? lacht er laut.
Das wollen wir uns auf jeden Fall ansehen, nur leider wird es bald dunkel und der Strom kann jederzeit ausfallen hier im Landesinneren, weit weg von der Heimat der West- und Ostküsten-Eliten. Ein paar tausend brachliegende Telegrafenmasten weiter stehen wir endlich vor dem Pazifik, die kalifornische Küste ist endlich erreicht, so denken wir. Doch dann hören wir im Radio, es sei gerade ein Staudamm aus der Zeit des New Deal gebrochen und sämtliche Funklöcher der Umgebung mit Wasser voll gelaufen, weshalb wir einen Umweg bis zum Golf von Mexiko machen müssten. Doch für die nagelneuen Anrainer ein Segen, kann man das Wasser jedenfalls bedenkenloser genießen, als das aus der Leitung! Mithilfe einer improvisierten Seilbahn, eine ausgefallene Überlandleitung nutzend, schaffen wir es dann doch noch mit dem Auto überzusetzen. Am stockdunklen Las Vegas vorbei, glücklich, kein Geld verlieren zu können, selbst, wenn wir es gewollt hätten, gelangen wir schließlich doch noch nach Los Angeles. Der Wagen ist total ramponiert, als wir ihn am Strand parken, während eine rostrote Sonne im Meer versinkt wie New Orleans nach Hurrikan Katrina. Ein leichtes Erdbeben lässt den Boden erzittern, das Auto fällt unter krachendem Lärm in sich zusammen. Wir machen uns auf die Suche nach unserem Drei-Sterne-Hotel, nur leider ist die Leuchtreklame ausgefallen. Alles, was wir sehen, ist der kleine und große Wagen am Himmel. Wir müssen wohl warten, bis der Blackout vorüber ist oder es wieder hell wird!
Burkhard Niehues