TITANIC Gold-Artikel
"Manchmal hat man auch als Wissenschaftler ein Brettspiel vorm Kopf" – Interview mit einem Spieleforscher
Die dunkle Jahreshälfte hat begonnen. Endlich wieder Zeit, in überhitzten Wohnzimmern daumendicke Spielanleitungen zu wälzen und hinterher Plastikfigürchen aus dem Staubsaugerbeutel zu pfriemeln. TITANIC hat auf der Essener Spielemesse mit dem Spieleforscher Prof. Dr. Martin Borken gesprochen.
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Borken: Na, wo ist die Kugel?
TITANIC (gelangweilt): Hier. (zeigt auf das Hütchen ganz links)
Borken: Bravo!
TITANIC: Funktioniert ein Hütchenspiel nicht eigentlich nur dann, wenn alle Becher die gleiche Farbe haben? Außerdem wollten wir doch heute eher über Brettspiele sprechen.
Borken: Stimmt, aber ich wollte sichergehen, dass Sie am Anfang ein Erfolgserlebnis haben, damit Sie das Interview positiv bewerten und motiviert fortsetzen.
TITANIC: Das klingt nach einer ausgefeilten Strategie.
Borken: Jetzt sind Sie dran! Wie lautet die erste Frage?
TITANIC: Warum spielen Menschen Brettspiele?
Borken: Manch einer kennt es bestimmt: Man ist abends bei einem Arbeitskollegen eingeladen und denkt sich nichts Böses. Kaum hat man aber die Schuhe ausgezogen, stellt man erschrocken fest: Hier gibt es nichts zu saufen und die nächsten dreieinhalb Stunden wird "gesiedelt" (Anm. d. Red: "Siedler von Catan" gespielt).
TITANIC: Also eher aus Zufall bzw. nach dem Motto "Gelegenheit macht Spieler"?
Borken: Puh, diese Frage ist etwas knifflig. Wissen Sie, die Spieltheorie ist hochkomplex. Kommt da eine Erkenntnis ins Taumeln, setzt schnell ein Dominoeffekt ein. Da kann schon mal ein ganzes Theoriegebilde einstürzen wie ein "Jenga"-Turm. Und dann steht man wieder auf dem Startfeld. Wenn einen dann auch noch Dutzende Würfelaugenpaare anstarren, hat man auch als Wissenschaftler schon mal ein Brettspiel vorm Kopf.
TITANIC: Aber Sie gelten doch als Experte auf Ihrem Gebiet.
Borken: Bei empirischen Studien ist es oft reine Glückssache, ob man brauchbare Ergebnisse bekommt oder nicht. Gerade in der Ereignisfeldforschung hat man leider manchmal einfach schlechte Karten, auch wenn man vorher irgendwann mal im "Fang den Doktorhut" gewonnen hat
Winterzeit, Brettspielzeit – in so manchem Wohnzimmer wird es voll
TITANIC: Okay, Themenwechsel. Spielen Alte anders als Junge? Welche Faktoren wirken sich auf das Spielverhalten aus?
Borken: Auf jeden Fall spielt der Beruf eine zentrale Rolle. Immobilieninvestoren, z.B., kaufen bei Monopoly ganze Straßen, Darsteller von Mittelaltermärkten wollen beim Schach immer Bauernkriege anzetteln.
TITANIC: Ist das nicht etwas einfach gedacht, um nicht zu sagen: platt?
Borken: Natürlich sind die Dinge in der Spielerwelt nicht immer schwarz-weiß wie ein Schachbrett, erstaunlich oft aber doch. Was haben Sie denn erwartet? Wir reden hier über Gesellschaftsspiele.
TITANIC: Haben Sie einen Tipp für Neulinge in der Brettspielszene?
Borken: Wer meint, er habe Ahnung von Brettspielen, weil er mal „Mensch ärgere dich nicht“ oder "Monopoly" gespielt hat, irrt. Richtig interessant wird es erst bei Spielen, bei denen man ein ganzes Wochenende braucht, um die Spielanleitung zu verstehen. Auch wichtig zu wissen: Analog und digital funktionieren im Spielermilieu durchaus auch in Kombination, nach dem Motto "Bytes und Bits und 'Malefiz'".
TITANIC: Kann es sein, dass sich Ihre Antworten manchmal ein wenig widersprechen?
Borken: Meine Strategie ist, auf jede Ihrer Fragen individuell zu reagieren.
TITANIC: Wie wird man eigentlich Spieleforscher?
Borken: Ich habe vieles ausprobiert. Eine Zeitlang würfelte ich in einer Experimentalküche die Zutaten zusammen, später jobbte ich als Anzugmodel. Mit den ganzen Assen im Ärmel war das aber auch nicht so das Wahre. Deshalb habe ich mich dann doch für ein Studium entschieden. Ab da hatte ich einen Lauf: Promotion, Habilitation, W3-Professur.
TITANIC: Ok, damit wären wir durch, vielen Dank!
Borken: Bonusfrage: Ist es zu hoch gepokert, wenn ich noch um eine Autorisierung bitte?
TITANIC: Leider ja. Das Aufnahmegerät hat nicht mitgespielt.
Julia Mateus