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"Ich beobachte mit Sorge, was sich da zusammenbraut"
Theo Waigel, ehemaliger Finanzminister und Ehrenvorsitzender der CSU, ist gerade 80 Jahre alt geworden und meldet sich dieser Tage mit einem Buch und mahnenden Worten zurück. TITANIC hat ihn zum Interview getroffen.
TITANIC: Herr Waigel, Sie gelten als Vater des Euros und sind Namensgeber der Währung, die heute fast jeder Europäer in seiner Brieftasche bei sich trägt. Wie fühlt sich das an?
Waigel: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich das nicht mit Stolz erfüllt. Ich habe die Idee des Euros lange begleitet, habe zusehen dürfen, wie sie wuchs und wuchs und wuchs und wuchs und wuchs und … –
TITANIC: Schön! Das klingt schön … Herr Waigel, Hand aufs Herz – vermissen Sie die Zeiten als Minister heute manchmal?
Waigel: Nein, das nun auch nicht. Es war eine aufregende Zeit, zweifellos, aber irgendwann muss man einen Schnitt machen, abkappen. Sonst wächst einem die Verantwortung noch über den Kopf, bis man schließlich kaum noch klar sehen kann. Natürlich, manchmal zupft da schon etwas an mir, etwas, das mich wieder eingreifen lassen möchte, Ordnung schaffen möchte, aber diesem Drang weiß ich mich zu widersetzen. Dann gehe ich in meinen geliebten Garten und schneide die Hecken, stutze die Büsche und zwicke im Gestrüpp herum. Aus mir unbekannten Gründen beruhigt mich das ungemein.
Waigels Rasen ist stets frisch getrimmt
TITANIC: Was sagen Sie zu all denen, die den Euro kritisieren, sich gar die D-Mark zurückwünschen?
Waigel: Das ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr, die da hervorsprießt und ich beobachte mit Sorge, was sich da zusammenbraut. Reaktionäre Ideen wuchern und verhaken sich mit einer gefährlichen Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Da wächst zusammen, was zusammengehört. Als Europäer müssen wir das im Blick behalten, ehe diese Ideen weiter Wurzeln schlagen und das freundliche Antlitz Europas von diesen Auswüchsen überschattet wird. Das durchkämme ich unter anderem auch in meinem neuen Buch.
TITANIC: Brauen – Verzeihung – brauchen wir einen neuen europäischen Geist?
Waigel: Unbedingt. Sehen Sie, wenn man heutige Debatten zur Entwicklung Europas verfolgt, dann geht es dort vor allem um eines: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Ich will nicht bestreiten, dass Wachstum wichtig ist, ich halte es auch für äußerst gefährlich, Wachstum zu beschränken oder zu steuern, aber sich derart darauf zu versteifen, das ist doch eine haarige Sache.
TITANIC: Sie warnen immer wieder vor der Gefahr des Populismus in der heutigen Politik, sehen darin eine gefährliche Tendenz in Richtung Vergangenheit. Was kann man tun, um solchen Entwicklungen entgegenzuwirken?
Waigel: In diesen Dingen hilft nur eines: Gesicht zeigen!
TITANIC: Herr Waigel, vielen Dank für das Gespräch.
Waigel: Nicht dafür.
Fabian Lichter