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"Herr Scholz darf meine Blazer tragen" – Das Abschiedsinterview mit Angela Merkel
Im Jahr 2005 wurde Angela Merkel Bundeskanzlerin. Demnächst ist Schluss. Uns verrät sie, was ihr in ihrer Amtszeit am meisten zu schaffen gemacht hat, worum sie Olaf Scholz beneidet und was sie mit ihren Blazern vorhat.
TITANIC: Frau Bundeskanzlerin, ...
Merkel: Bitte nicht so förmlich. Sie können ruhig Kanzlerin zu mir sagen.
TITANIC: Nach 16 Jahren endet nun Ihre Kanzlerschaft. Freuen Sie sich auf die Zeit danach?
Merkel: Naja, geht so. Ich hätte gerne noch einiges bewegt. Ich habe noch sehr viele tolle Visionen und Ideen für große Projekte. Leider haben die 16 Jahre dafür nicht ganz gereicht. Andererseits: Irgendwann ist auch mal gut. Demokratie bedeutet ja, dass auch mal andere zeigen dürfen, dass sie es nicht besser können. In diesem Sinne wünsche ich der nächsten Bundesregierung alles Gute!
TITANIC: Was hätten Sie gerne noch erreicht?
Merkel: Das eine oder andere ist in meiner Amtszeit liegengeblieben, das will ich gar nicht beschönigen. Im Kanzleramt müssen beispielsweise noch mehrere Glühbirnen gewechselt werden. Ich fürchte, dafür bleibt mir keine Zeit mehr. Das muss dann mein Nachfolger übernehmen.
TITANIC: Sie haben in ihrer Amtszeit vier US-Präsidenten erlebt. Können Sie die noch alle aufzählen?
Merkel: Puh, das wird schwierig. Als erstes fällt mir Barack Obama ein, klar. Ich würde nach meiner Kanzlerschaft gerne mit ihm in der Uckermark angeln gehen. Aber da hat sicher mein Mann etwas dagegen. Ich muss mit ihm immer wandern. Auf Dauer ganz schön öde.
TITANIC: An welchen US-Präsidenten können Sie sich noch erinnern?
Merkel: An den verrückten George Bush, aber eigentlich nur deshalb, weil er sich mal während eines Gipfels an einer Brezel verschluckt hat. Das war vielleicht lustig, hehe.
TITANIC: Und an Donald Trump denken Sie wahrscheinlich nicht gerne zurück, oder?
Merkel: Donald wer?
TITANIC: Donald Trump.
Merkel: Entschuldigen Sie bitte, ich habe jetzt nicht alle Namen von Politikerinnen und Politikern parat, die mir in all den Jahren vielleicht ein- oder zweimal über den Weg gelaufen sind. Die Namen haben mir sowieso schon zu schaffen gemacht.
TITANIC: Wie meinen Sie das?
Merkel: Ich musste ständig neue Namen lernen. Das hat mich von wichtigen Reformen abgehalten. Wenn ich mir zum Beispiel nicht dauernd die neuen SPD-Vorsitzenden hätte einprägen müssen, dann wären wir heute mit der Digitalisierung viel weiter. Aber so wurde ich immer abgelenkt. Da saß ich also im Kanzleramt und rechnete hochkonzentriert eine neue Reform durch, und dann: Zack – SMS aus dem Willy-Brandt-Haus: Wir haben einen neuen Vorsitzenden! Da musste die Reform natürlich warten.
TITANIC: Ihr Nachfolger im Kanzleramt wird vermutlich Olaf Scholz. Welche Fehler darf er aus Ihrer Sicht nicht machen?
Merkel: Wenn ich eines gelernt habe in all den Jahren: Es ist immer besser, nicht mit der eigenen Partei zu regieren. Aber Herrn Scholz muss ich diesbezüglich keine Ratschläge erteilen. Wenn das jemand weiß, dann er.
TITANIC: Gibt es etwas, worum Sie Scholz beneiden?
Merkel: Oh ja! Dass er in seinem Kabinett ohne einen Verkehrsminister von der CSU auskommt.
TITANIC: Was passiert eigentlich mit Ihren Blazern? Ins Museum wollen Sie die ja nicht geben.
Merkel: Das wäre ja noch schöner! Ich habe etwas anderes vor.
TITANIC: Und das wäre?
Merkel: Herr Scholz darf meine Blazer tragen, gerne zu allen Terminen, aber vor allem zu den besonderen. Zum Beispiel, wenn die Queen oder Robin Alexander auf einen Tee im Kanzleramt vorbeikommen. Oder dann, wenn eine neue Autobahn eröffnet wird. Oder aber, wenn eine Ministerin oder ein Minister mal wieder wegen einer Doktorarbeit zurücktritt. Hach, das waren immer lustige Termine.
TITANIC: Und Herr Scholz soll all ihre Blazer bekommen?
Merkel: Nun ja, fast alle. Auf einem ist ein Erdbeermarmeladenfleck, der geht leider nicht mehr raus. Den Blazer muss ich wegschmeißen. In einem anderen ist ein Loch. Den kann ich natürlich auch nicht hergeben. Aber die anderen soll er bekommen, ja.
TITANIC: Was bezwecken Sie damit?
Merkel: Ich möchte gerne eine neue bundesrepublikanische Tradition einführen. Und zwar, dass der Kanzler oder die Kanzlerin meine Blazer trägt und sie dann immer weitergibt. So ähnlich, wie das in den Vereinigten Staaten mit dem Atomkoffer ist. Oder wie in Bayern mit der Liste mit Wurstrezepten.
TITANIC: Frau Kanzlerin, vielen Dank für das Gespräch.
Merkel: Gerne. Tschö!
Dimitri Taube