Inhalt der Printausgabe

Heinz Strunk
Intim­scha­tulle 52

»Polin mit Hut«

1.6. Erste Hitzewelle rollt über das Land. Arbeit am Schreibtisch deshalb umso quälender. Apfel Mülleimer. Nachmittags TV. Sebastian Vettel auf Welt.de zum Tod von Niki Lauda: »Er wird ein großes Loch hinterlassen, das keiner füllen kann.« Rennfahrersprache.

Abends trotz Saharawetter (oder gerade deshalb?) mörderische Appetit-Attacken: Fischstäbchen, Bio-Kartoffelklöße, Kräuter-Sardinen-Creme, eine kleine Dose Bouillabaisse, Studentenfutter, Schokolade. Komme mir vor wie ein Müllschlucker. Paralysiert noch TV (ARD): »Glaube, Liebe, Couscous«. Helmut Zierl spielt in dieser Verwechslungskomödie einen Pfarrer, in dessen Dorf Ausländer untergebracht werden sollen. Ulkiger »Culture-Clash«!

2.6. Alkoholfragebogen Teil zwei: 1) Gehen Ihnen Personen, die keinen Alkohol trinken, schnell auf die Nerven? 2) Ist Ihnen egal, wieviel Alkohol kostet? 3) Würden Sie Alkohol auch zu sich nehmen, wenn er ausschließlich in Pulver- oder Tablettenform gereicht würde? 4) Verstecken Sie Alkohol und finden ihn dann oft nicht wieder? 5) Fühlen Sie sich bei dem Gedanken an alkoholfreie Getränke unwohl?

3.6. Julia Engelmann zu Gast im ARD-Morgenmagazin. Nennt ihre Musik, ihre Texte, Bücher und Gedichte melankomisch. Moderator Ingo Nommsen nickt. Man muss zwar um die Ecke denken, aber da könnten er und seine Zuschauer sich was drunter vorstellen. Doch dann macht sie den guten Eindruck gleich wieder durch einen »Witz« kaputt: »Frauenfußball ist wie Pferderennen mit Eseln.« Ingo Nommsen, verlegen, ratlos, schämt sich für den Gast.

4.6. Schatullenumsonstservice: Falls Sie zufällig Baum heißen und ein Fischereigeschäft betreiben: Fischereigeschäft Baum – wie ein Baum in der Brandung.

5.6. Witzig: Jean-Claude Juncker soll nach seinem Ausscheiden als EU-Ratspräsident Händler bei »Bares für Rares« werden. Moderator Horst Lichter dazu: »De Jean Clood bei unser kleine Sendung. Da pack ich mir an de Kopp. Aber et hätt noch emmer joot jejange. Viel wisse mer nit über de neue Kollege. Nur dat er angeblich is wie son Kotelett: von beide Seiten bekloppt, haha. Ach Quatsch, aber jelenkisch is er wie sonne Ihsebahnschien. Haha. Ach Quatsch. Aber eins is klar: de hätt de Kopp nur zum Haarewäschn. Haha. Ach Quatsch. Der Jean Clood is een janz abstrakte Mensch. Da laachste disch kapott, dat nennt man Camping. Oder wie war dat gleich noch mal? Weeß nech mehr. Kennste de Kölsche HIV? Hab ich verjässe! Haha. Ach Quatsch.«

6.6. Gewitter mit Sturm. Aß abends stark, trotz Müdigkeit (Zitronensalat, Lendenschnitten in Rahmtunke). Tagsüber Arbeit am Roman, doch zweifelhaft. Wahrscheinlich Apfel Mülleimer. Abends noch eine halbe Stunde in Grillparzers Tagebüchern gelesen.

7.6. Geheimnisvolle Annonce in der »Hamburger Morgenpost«, Rubrik erotische Treffpunkte: NUR HEUTE. POLIN MIT HUT.

8.6. Ein dickes Ding: Die Zahl der Übergewichtigen soll sich weltweit bis zum Jahr 2030 auf über 3 Milliarden mehr als vermoppeln.

9.6. Fundstücke aus den Tagebüchern Richard Burtons: 1) »Gerahmte Tarantel geschenkt bekommen. Da wir zweifellos sehr viele schöne Dinge besäßen, sei etwas Hässliches vielleicht eine nette Abwechslung.« 2) »Folter, Fessel und Knebel verbinde ich unfairerweise automatisch mit Homosexualität.« 3) »Mein ganzes Leben war eine fantastische Komposition.«

10.6. Im TV WWM (Wer wird Millionär?). Inspiriert mich zu einem Text:

Wer fliegt spätestens bei 200 Euro raus? – Oma.
Wer verbraucht bei einer einzigen Frage alle Joker? – Oma.
Wer hat sich soviel Zeit mit den Antworten gelassen, dass Günther Jauch sauer wurde? – Sonja Ebers.
Wer hat als erstes eine Million Mark gewonnen? – Professor Freise.

Wer hilft nur, wenn er Bock hat? – Günther Jauch.
Wer stalkt andauernd anonym bei Elite Partner rum? – Günther Jauch.
Wer bespricht Anrufbeantworter, wenn man ihm nur genug Kohle hinlegt? – Günther Jauch.
Wer postet auf Facebook sein Essen/hat immer die geilsten Insta-Storys? – Günther Jauch.

Wer wurde noch nie zum Promi-Spezial eingeladen? – Jogi Löw.
Wer würde auch nicht kommen, weil er Angst vor den Fragen hat? – Jogi Löw.
Wer hat dauernd kein Geld? – Jogi Löw.
Wieviel müsste man ihm hinlegen, damit er sein Toupet absetzt? – Eine Million.

Wieviel kann man bei »Wer wird Millionär?« maximal gewinnen? – Eine Million.
Wieviel Geld würdest du gerne haben? – Eine Million.
Was kostet ein Werbeblock bei RTL? – Eine Million.
Wieviel kriegt Günther Jauch pro Sendung? – Eine Million.

11.6. 1) Ich möchte mal ein paar Tage faulenzen, leider weiß ich nicht, wie man das macht. 2) Knifflige Frage (Sloterdijk-Style): Kann man etwas in den realen Papierkorb werfen und virtuell wieder rückgängig machen?

12.6. Durchfall.

13.6. Tagsüber am Roman gearbeitet, nicht so schlecht wie sonst. Abends Trüffel-Leberpastete an Salat Waldorf, Ennstaler Lebkuchen. Sherry, Rotwein, Cognac Hennessy. Guter Durchschlaf.

14.6. In- & Out-Liste Juni. In: Einen ganzen Tag lang mal nichts trinken, frische Schnittblumen, auch kurze Strecken mit dem Pkw zurücklegen. Out: Vorsorgeuntersuchungen, eingewachsene Speisereste, Zahnfleischbluten.

Abends Hammelbraten mit Senf. Lecture »on da roof«. Imre Kertész: Der Betrachter. Wadenwickel wg. »Burning Feet«.

Experte während einer Befragung.

15.6. BRAINSTORMING. Mein Motto: Risotto // Verlobte ohne Klopapier.

16.6. Google Suchverlauf: Michael Schanze gewicht – Freibad blankenese – Mira matus – sigala – grace capristo – robert schneider – traumfrau gesucht – könig der möwen kampnagel – skurrile Schlagzeilen – mercedes bornkampsweg öffnungszeiten – lied an der Strandpromenade – anne sophie briest – handwerkerbörse hamburg – friedel geratsch – faisal kawusi – rapper sänger der wolf – franklin tv moderator – hans joachim schädlich – drachenlord.

17.6. Heute nichts.

18.6. Die gute Nachricht: Bei meiner Beerdigung darf geraucht werden! Sigmund Freud hat dreißig Jahre nicht geraucht und fing wieder an, weil er sich nicht konzentrieren konnte.

19.6. Thüringer Bratwurstmuseum in Holzhausen besucht.

20.6. Mittags ins Café 2 Talk. Schlagzeilen in den ausliegenden Zeitungen: BLINDE ELEFANTENDAME TANZT ZU KLAVIERMUSIK // ISLAMIST KLONT DEUTSCHEN HUND // MANN (28) ZÜNDET BEHÖRDENMITARBEITER AN – ZWANGSEINWEISUNG.

21.6. Tagsüber Arbeit am Roman. Abends Markklößchensuppe, Wildschwein-Keule auf Jägerart, Cola-Rum. Schüßler Salz Nr. 12 gegen heiße Füße.

22.6. Alltagsfrage: Warum liegen neben der Autobahn eigentlich so oft Schuhe?

23.6. Trüffelleib, Mundnässe. Was soll’s! Arbeite nach dem Frühstück (zweifach getoasteter Rosinenfladen, Waffles) im neuen Schlafrock. Raben beobachtet: fett und glatt, blank wie frisch geputzte Schuhe.

24.6. Gutes Wort: Giftfestigkeit. Meine liegt bei etwa 2,6 Promille.

25.6. Tagsüber nichts. Abends Salzheringe mit Kartoffelbrei, später Screwdriver und TV, Dramödie »Pastafaris in love«.

26.6. TV-Hammer! Bereits wenige Wochen nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik winkt Andrea Nahles (SPD) ein neuer Job. RTL 2 bringt ein Nachfolgeformat ihres Quotenknüllers »Die Wollnys – eine schrecklich große Familie« mit Sylvia Wollny als polternder Familienpatriarchin an den Start: In »Die Nahles« steht die »sympathische Schreckschraube mit Herz, Hirn und Schnauze« (Robert Habeck) im Mittelpunkt. Und die hat »Bock« auf den Ausflug auf unbekanntes Terrain, wenn auch der Drehort Nahles’ Wohnort Weiler ist, wo sie auf dem Bauernhof ihrer Urgroßeltern lebt.

In Folge 1 »Der Benzinrasenmäher« steht der uralte Benzinrasenmäher »Stihl RM 443« im Mittelpunkt, mit dem die Spitzenpolitikerin a.D. ihren riesigen Garten bestellt. Allerdings ist der 3,7 PS starke Oldtimer eine CO2-Dreckschleuder und in Zeiten des Klimawandels alles andere als en vogue. Trotzdem hält die 48-Jährige erbittert am ohrenbetäubend lauten Mähdinosaurier (»Der hat sogar noch mehr Dezibel als ich!«) fest und bringt damit ganz Weiler gegen sich auf. Der crazy Grund für ihr Handeln: Der »Stihl 443« war ein Geschenk Egon Bahrs (SPD-Legende), das sie kurz vor dessen Tod 2015 anlässlich ihrer Ernennung zur Ministerin (Arbeit und Soziales) erhielt. »Der Mäher bleibt!« skandiert die Nahles unermüdlich ihren Schlachtruf. »Dat kannste dir aber sowas von am Arsch abfingern.« Kann sie doch noch überzeugt werden, den Rasenmäher der Umwelt zuliebe zu entsorgen? »Die Nahles« dürfte der spannendste Quereinstieg ins TV-Business des Jahres sein.

27.6. Karriereschatulle: Beethoven war taub, Dostojewski Epileptiker und Marilyn Monroe stotterte – na und?! // Das Wort »nein« wird dich reich machen, denn sagt der Kunde sofort »ja«, verkaufst du nicht, sondern verteilst. // Wenn du einen Riesen siehst, so frage dich zuerst, ob es sich nicht um den Schatten eines Zwerges handelt.

28.6. Gegen 10:00 hoch, Rumpfbeugen, Seitstütz. Cornflakes, Zimtbagels, Thee, dann die Zellentür aufschließen und einchecken für die Strafe des neuen Tages: Schriftsteller, freiwilliger Gefangener der Muse. Mittags Auflauf von Mandeln und Pistazien, den Nachmittag verdämmert mit der Dreier-DVD-Box »Tief stehende Sonne – magische Naturphänomene«.

29.6. Sodbrennen. Trotz herrlichsten Sommerwetters vergrippt. Ekzem am Ohr sehr schlecht, zusätzlich Katarrh der Nebenhöhlen.

30.6. Aus den Tagebüchern bis 2001 von Fritz J. Raddatz: 1) »Marmor ist verkalktes Muschelgestein. Das ist von mir geblieben: Kalk und Muschel, fein gemahlen.« 2) »Während ich früher jedes Kornfeld mit den Augen streichelte, sehe ich das jetzt zwar alles, aber nehme es gleichsam nicht wahr. Es dringt quasi nicht in meine Seele.« 3) »Irgendwo ist einer – ich warte auf ihn.«

Nachmittags mal wieder in den Zoo. Sehr schöne Schimpansendressuren. Werde von hinten angequatscht, tue so, als hätte ich es nicht gehört, husche davon, ohne mich umzudrehen. Je älter, desto misstrauischer wird man.

Nach Notat im Bett.

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg