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Große Denker neu besprochen – heute: Heidegger
2020 ist Hölderlinjahr! Und wer war ein leidenschaftlicher Hölderlinleser? Martin Heidegger. Ein guter Zeitpunkt also, um den großen Philosophen und sein noch größeres Werk erneut unter die Lupe zu nehmen. Wer wird dabei leider gar keine Rolle spielen? Hölderlin. Das ist schade, aber vielleicht nächstes Mal. Hölderlinjahr ist ja noch eine Weile.
Wenn man junge stramme Studieren Studenten fragt, für welche großen Philosophen sie sich interessieren, geraten die seltsameren unter ihnen schnell ins Schwärmen: der Name Immanuel Kant fällt häufig, Karl-Heinz Aristoteles wird immer mal wieder erwähnt, nur die ganz Mutigen nennen hin und wieder Hannah Arendt (Jüdin UND Frau, sehr exotisch). Doch fragt man nach Martin Heidegger, blickt man in schreckgeweitete Augen, einzelne fallen in Ohnmacht. Warum? Weil es berechtigt ist.
Heidegger hatte viele Spitznamen: das große Rätsel der deutschen Philosophie, der Fundamentologe aus dem Schwarzwald, der Mann mit dem strengen Mundgeruch – oder bei seinen Freunden einfach: der Martin. Seine Freunde waren nie besonders kreativ, dafür aber auch nicht so viele. Viele Legenden ranken sich um Heidegger: Er soll ein leidenschaftlicher Langweiler gewesen sein, den Weltrekord im Sein gebrochen haben und angeblich hatte er nur einen Hoden, ach nein, das war ja sein Kumpel.
Heidegger – nie aus der NSDAP ausgetreten, wegen der Unausweichlichkeit des Seins im Opportunismus oder so – war während des gesamten Nationalsozialismus im Widerstand, sogar Jahre darüber hinaus, da kannte er nichts. Immer wieder betonte er, Hitler mehrmals gefragt zu haben, ob sein Verhalten gegenüber den Juden wirklich nötig sei. Teilweise soll er sogar fast hörbar gesprochen haben, so berichten Ohrenzeugen.
In den Schwarzen Heften, Heideggers handgeschriebenen Tagebüchern, die nach seinem Tod veröffentlicht wurden, finden sich diese abweichenden Aussagen und Gedanken nicht. Druckfehler, vermuten seine Anhänger. Und der glühende Antisemitismus, der sich in diesen Werken findet? Tippfehler, die Forscher sind sicher. Verständlich wäre das, immerhin hat Heidegger Technik immer gehasst. Und deswegen auf der Schreibmaschine alles so schnell wie möglich "weggebolzt", Schreibfehler hin oder her.
Doch wegen Heideggers ominöser politischer Vergangenheit (einmal soll er sogar mit einem 68er gesprochen haben, bevor er ihm ein Bein stellte) interessiert sich heute niemand für ihn. Auch die doch eigentlich skandalträchtige Affäre mit der bedeutend jüngeren Hannah Arendt berührt keinen noch so geil-verzweifelten Schüler mehr. Dabei tauchen immer wieder pikante Details über die Beziehung auf: Die beiden sollen sich beispielsweise mehrmals geküsst haben, manchmal sogar mit Zunge.
Das Einzige, womit Heidegger heutigen Generationen noch im Gedächtnis geblieben ist, ist seine große Unverständlichkeit (er selbst sprach von der Unverständlichkeit, die sich an sich durch ihr Unverständigen an sich in die Welt einschreibt): niemand hat jemals einen Text von Heidegger verstanden, selbst diejenigen, die behaupten, sie hätten es wenigstens versucht, lügen. Noch nie hat jemand "Sein und Zeit" gelesen und ist zurückgekehrt. Noch nie hat jemand überhaupt "Sein und Zeit" gelesen. Das erkennt man schon beim flüchtigen Durchblättern daran, dass die komplette zweite Hälfte des Buches nur aus dem Satz "Wer das liest, ist doof" besteht. Ein klasse Witz zwar, aber warum findet sich darüber nichts in der Forschungsliteratur? Weil’s niemand bemerkt hat, eben.
Wissenschaftler, die sich wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt haben, bezweifeln mittlerweile sogar, dass es einen "Heidegger" überhaupt gab. Sie gehen davon aus, dass es sich um ein Codewort unter Intellektuellen handelt. Für was es steht, wollen sie aber nicht verraten, denn auch Wissenschaftler sind Intellektuelle und wären ja schön blöd, ihre geheimen Passwörter für die Swingerbar auszuplaudern.
Doch wenn wir nun wissen, dass niemals jemand wirklich Heidegger verstanden oder auch nur gelesen hat: warum zittern dann alle Geisteswissenschaftsstudierende so stark vor ihm, dass die Kohlensäure aus ihrer Club Mate entweicht? Woher wissen sie von seinen komplizierten, unlesbaren Texten? Handelt es sich um einen urban myth? Oder ergeben die in diesem Text aufgestellten Thesen einfach keinen Sinn? Letztendlich muss uns die Antwort auf diese Frage ein Rätsel bleiben. Weil sie zu kompliziert und verwirrend wäre. Genau wie Heideggers Texte. Schade, kann man aber nichts machen. Immerhin ein schöner Bogen zurück zum Thema.
Laura Brinkmann