Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Besser-Essis
Man ist der Dinge manchmal müde, und wie müde, merkt man mitunter erst, wenn man von der Müdigkeit der Mitmenschen Mitteilung erhält. Der Freund und Kollege R., der noch richtig Kritische Theorie studiert hat, sogar in Frankfurt, hat im Alumni-Newsletter seiner alten Universität einen Aufmacher titels „EAT! Essen schafft Identität“ zur Kenntnis nehmen müssen. „Essen ist heute nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern Ausdruck eines Lebensgefühls, eine Botschaft.“ Und die lautet: „Wir sind Besser-Esser. Spaß, Genuß, Kultur. Gemeinsam kochen und essen als Event läuft gut. Besser-Esser wissen, was gut für den eigenen Körper und vor allem fürs Ego ist.“ Denn: „‚Essen ist Pop‘, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler, weil es als Ausdruck eines Lifestyles längst zu einem Medium der Individualisierung geworden sei.“ Was heute halt alles als Individualität durchgeht. „Wer es schafft, den perfekten Speiseplan zu erstellen, hat mehr als nur einen Lebensstil gefunden:‚Ernährungsentscheidungen schaffen Identität‘, sagt die Frankfurter Professorin für Literaturwissenschaft, Christine Ott.“ Als wäre die Unverschämtheit, mit der die Leute „ich“ sagen, nicht schon groß genug. „‚Man kauft heute nicht nur Lebensmittel ein, man kauft ein Konzept‘, sagt Ott. ‚Der Ernährungsstil demonstriert Lifestyle und die persönliche ethische, politische Haltung. (…) Es gibt den starken Wunsch nach ethisch und politisch korrektem Essen. Junge Menschen erleben hier, daß sie mit Ernährung etwas in der Welt ändern können.‘“
Nun ist die Herrschaft spätestens da in die Menschen eingewandert, wo von „perfekten Speiseplänen“ die Rede ist, und wenn junge Menschen beim konzeptuellen Besser-Essen überhaupt etwas erleben, was über das spätkapitalistische Dumm- und Zurichtungsformat „Event“ hinausgeht, dann die Mechanismen der konsumierenden Klassengesellschaft, die beim Essen nicht nur nicht aufhört, sondern sogar anfängt.
Denn Essen ist die Grundform des Konsums, und wer seine „Individualität“ durch ein „Beef“-Abo zu stärken sucht, der hat schon keine mehr. Nichts gegen den starken Wunsch nach ethisch und politisch korrektem Essen, den habe ich auch; aber wer mit Ernährung, per Konsum versucht, etwas in der Welt zu ändern, der sorgt dafür, daß alles so bleibt. In der verschärften Klassengesellschaft ist jeder Selbstausdruck, noch der gutgemeinte, eine klassenpolitische Ansage, und niemand, der im Bioladen einkauft, hat nicht mindestens Abitur. Vegetarismus und Veganismus, was immer sich zu ihren Gunsten vorbringen läßt, sind da zur distinktorischen Waffe geworden, wo die Bürgermutti bei der Kita-Besichtigung nicht deshalb lauthals nach fleischlosem Essen fragt, weil ihr die Tiere leid tun, sondern damit es jeder mitkriegt. (Es gibt längst auch zuckerfreie Kitas. Denn wo schon jeder Honk aufs Gymnasium darf, lassen sich die Prolos zuverlässig daran erkennen: daß es bei ihnen Zucker gibt und Fleisch und Fernsehen.) Die Wurst, hoffen Wohlmeinende, werde über kurz oder lang zur „Zigarette des 21. Jahrhunderts“, also etwas für Ausländer, Drogensüchtige und verbildete Randfiguren wie R., der Zigaretten raucht und Würste ißt; wenn er denn mal was ißt, vorbildlicher Konsumverweigerer auch hier.
„Einer Menschheit, welche Not nicht mehr kennt, dämmert gar etwas von dem Wahnhaften, Vergeblichen all der Veranstaltungen, welche bis dahin getroffen wurden, um der Not zu entgehen, und welche die Not mit dem Reichtum erweitert reproduzierten.“ Adorno, 1945
Sollen in Zeiten, wo in acht von zehn Restaurants die Soßen aus dem Tetrapack kommen, die Schulen – alle Schulen – ruhig zeigen, daß Kochen eine Kulturleistung ist, und wer den „Veggie-Day“ verhöhnt, der werde einen Tag lang in den Schlachthof geschickt. Darüber hinaus herrsche bitte die Einsicht, daß „ausdrucksuchende Rudereien“ (Henscheid) Rudereien sind und nichts, was man ernst meint, zum Lifestyle werden darf. Adorno, falls man das selbst in Frankfurt schon nicht mehr weiß, auf die „Frage nach dem Ziel der emanzipierten Gesellschaft“: „So illegitim die unvermeidliche Frage, so unvermeidlich das Abstoßende, Auftrumpfende der Antwort, welche die Erinnerung an das sozialdemokratische Persönlichkeitsideal vollbärtiger Naturalisten der neunziger Jahre aufruft, die sich ausleben wollten. Zart wäre einzig das Gröbste: daß keiner mehr hungern soll. Alles andere setzt für einen Zustand, der nach menschlichen Bedürfnissen zu bestimmen wäre, ein menschliches Verhalten an, das am Modell der Produktion als Selbstzweck gebildet ist. In das Wunschbild des ungehemmten, kraftstrotzenden, schöpferischen Menschen ist eben der Fetischismus der Ware eingesickert, der in der bürgerlichen Gesellschaft Hemmung, Ohnmacht, die Sterilität des Immergleichen mit sich führt.“
Ich brauch’ jetzt einen Kaffee, und ob er fair & bio ist, behalte ich für mich.
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