Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: We win
Der „Kremlkritiker“ (Frankfurter Allgemeine), „charismatische Dissident“ (Frankfurter Rundschau) und evtl. „neue Vaclav Havel“ (ebd.) Michail Chodorkowski ist vom russischen Präsidenten Putin aus zehnjähriger Straflagerhaft entlassen worden, und zwar nach heldenhaftem Einsatz von v.a. Hans-Dietrich Genscher, was, wenn wir's ein bißchen vergröbern, die Meldung ergibt, ein Gauner sei nach Vermittlung eines Halunken von einem Spitzbuben begnadigt worden; denn man muß kein Fan des Autokraten Putin sein und dem Genscher den Einsatz für einen ethnisch sortenreinen Balkan nicht nachtragen, um darauf zu bestehen, daß es den guten Oligarchen nicht gibt, schon gar nicht als Super-Dissident. Wir danken den „Nachdenkseiten“ für die fügliche Zusammenfassung des Sachverhalts: „Michail Chodorkowski gehört zu jenen Oligarchen – präziser: Räuberbaronen –, die sich in der Transformationsphase nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit unlauteren und illegalen Methoden bei der Privatisierung ehemaliger Staatsbetriebe ein sagenhaftes Vermögen ergaunerten. Chodorkowski gründete dafür 1989 die ,Bank Menatep‘, deren Hauptaufgabe die Privatisierung großer Staatsunternehmen war … Menatep riß sich im Rahmen der Privatisierung die Filetstücke der russischen Ölindustrie selbst unter den Nagel. So konnte Chodorkowski mit dem eher bescheidenen Einsatz von 42 Mio. US$ das Unternehmen Jukos zusammenschmieden, dessen geschätzter Wert 42 Mrd. US$ – also das Tausendfache – betrug. Daß er dabei zahlreiche Gesetze gebrochen hat, bestreitet auch heute niemand ernsthaft … Daß die Verhaftung Chodorkowskis politisch motiviert war, ist vollkommen korrekt. Dabei ging es jedoch weniger um dessen oppositionelle Arbeit, sondern vielmehr um Chodorkowskis Plan, westlichen Unternehmen den Zugriff auf Rußlands Ressourcen zu ermöglichen. Heute sind die Einnahmen aus dem Gas- und Ölexport der mit Abstand größte Einnahmenposten der russischen Volkswirtschaft. Ohne diese Einnahmen wäre das Land womöglich kollabiert und zum Armenhaus Eurasiens geworden. Aus Sicht des russischen Volkes war Putins Vorgehen gegen Chodorkowski und Co. richtig – aus Sicht der westlichen Unternehmen und der Finanzmärkte war es falsch.“
„Wenn wir den Krieg gewonnen hätten, / mit Wogenprall und Sturmgebraus, / dann wäre Deutschland nicht zu retten / und gliche einem Irrenhaus.“ Kästner, 1930
Wie sowieso aus Sicht der guten Deutschen, die nach Auschwitz, laut Tagesschau „eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte überhaupt“ (nebst nämlich Bautzen und dem unrechtmäßig verlorenen WM-Endspiel '66), Tag für Tag die Pflicht reklamieren, der Welt mitzuteilen, was das Menschenrecht sei und was nicht, zumal den alten Kriegsgegnern USA (Stasi 2.0) und Rußland (Lagerhaft für Steuersünder), die sich in Nürnberg noch so aufgeblasen haben. Auch so läßt sich Geschichte entsorgen, und die deutsche Seele ist mittlerweile so randvoll rechtschaffen, daß es uns noch aus den Schnurren im Vermischten entgegensuppt: „Er“ – Jürgen Prochnow als vorbildlich anständiger „Kaleu“ im Nazifilm „Das Boot“ – „ist der dunkle Kommandant für die Drecksarbeit“, die, da hätten die Angeklagten im Auschwitzprozeß, der vor 50 Jahren begann, zugestimmt, halt auch einer machen muß. „Der Kaleu war der zerrissenste Kapitän, insofern ist er ... bis heute der deutscheste“ (SZ).
Wie nationale Gesinnung nicht nur die Wahrheit, sondern auch die Muttersprache auf den Grund schickt; und sich das so furchtbar anständige Deutschland jeden Tag ein bißchen schwerer ertragen läßt.
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