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Flaute in der Schokobranche

Wer immerzu von der "Spaltung der Gesellschaft" spricht, dem ist eines noch nicht aufgefallen: Ausnahmslos alle Menschen lieben Schokolade! Doch durch die Coronapandemie ist die Industrie zur Bruchware geworden. Der Grund: Da man gerade seine Lieben kaum sehen kann, kauft niemand Schokohasen, Nougateier oder diese komischen Päckchen kleiner Schokotafeln, von denen niemand weiß, was die sollen. Wie will die Branche in diesen schweren Zeiten klarkommen? TITANIC hat naschnachgefragt.

Neue Zielgruppen

"Eine alte Marketingweisheit lautet: 'Kunden verlieren ist nicht so schlimm, wenn man es schafft, sehr schnell sehr viele neue zu gewinnen, die besser bezahlen!' An diesen simplen Trick versuchen wir uns auch in dieser Krise zu halten", erklärt Dr. Lindt (nicht verwandt), Vorsitzender des Deutschen Instituts für Qualitative Süßwaren und Bountyriegel, und zieht seine Zunge gekonnt aus einem Nutellaglas, ohne sich am Stanniolpapier zu verletzen. Deswegen ist das Ziel der Branche, neue Abnehmer anzusprechen. Nachdem dies auf der Straße nicht funktioniert hat ("Naaaa, darf ich Sie mit einer süßen Innovation verführen? Ich meine aber nicht mich selbst, hihi! Bitte rennen Sie nicht weg, warten Sie doch. Ist das Pfefferspray? Aaaa!"), wollen die "Süßis" (irritierende Selbstbezeichnung der Deutschen Süßwarenhersteller) nun den gesellschaftlichen Wandel für sich nutzen: "Letztens hat mich jemand auf der Straße als 'Gutmensch' bepöbelt, weil ich an einem Obdachlosen vorbeigegangen bin, ohne nach ihm zu treten", berichtet Lindt. Diese Interaktion brachte ihn auf eine neue Idee: "Wir Schokoladenhersteller haben die letzten Jahre durch Pappverpackungen, Biosiegel und gefälschte Fairtrade-Zertifikate auf das völlig falsche Belgische Meeresfrüchte-Seepferdchen gesetzt." Anstatt Produkte herzustellen, durch die wohlsituierte Kreuzberger Erben sich ein gutes Gewissen erkaufen können, sollen nun eher die wohlsituierten Kreuzberger Erben angesprochen werden, die kein Bock auf schlechtes Gewissen haben. Um die eigene Abneigung gegenüber dem Gutmenschentum besser zu zeigen, kann zukünftig nach Schokoladen mit echtem Kinderarbeitssiegel gegriffen werden, deren Plastikverpackung garantiert, dass mindestens eine Schildkröte erstickt. Natürlich auch zu einem gewissen Preis: "Unseren Kunden ist es sehr wichtig, nicht mit Leuten verwechselt zu werden, die sich keine Gutmenschenprodukte leisten können. Es soll klar werden, dass es sich um einen ganz bewussten Verzicht, um einen Lifestyle handelt."

Innovative Produkte

Doch neue Kunden zu gewinnen, reicht nicht. Um diese auch bei der Zuckerstange zu halten, müssen andere Produkte her. "Wir setzen da ganz auf die Zeichen der Zeit", sagt Lindt, während er die Nuss aus einem Toffifee knabbert und den Rest wegwirft. So kommen bald OP-Masken auf den Markt, die von innen mit einer feinen Schicht Schokolade überzogen sind. "Das ist schmackhaft und praktisch. Und sorgt für viele Gespräche mit den Mitmenschen, wenn die Schokolade im Sommer schmilzt. Die sagen dann zum Beispiel: 'Entschuldigung, Sie haben da was im Gesicht!'" Außerdem ist geplant, Wattestäbchen für den Coronaschnelltest aus Schokolade herzustellen, damit diese zum Trost für das unangenehme Erlebnis direkt verspeist werden können. Neben pandemiespezifischen Produkten sollen aber auch technische Neuigkeiten entwickelt werden. Lindt: "Wir arbeiten gerade zum Beispiel an einer digitalen Schokolade. Aber das stellt sich als schwierig raus. Ich meine: Digitale Schokolade? Was soll das überhaupt sein? Wie soll das funktionieren? Sagen Sie mir bitte sofort Bescheid, wenn Sie eine Idee haben!"

Verkaufsstrategie

Doch alle innovative Verzweiflung hilft nichts, wenn es nicht auch neue Ideen zur Verteilung gibt. Denn in den Supermarkt gehen die Menschen gerade ungern. "Einkaufen stresst die Leute. Die wollen nur kurz in den Laden, das Nötigste kaufen, nichts Neues ausprobieren, die Kassiererin anpampen und dann schnell wieder raus", erklärt Lindt, während er angewidert in ein Bounty beißt und sich sofort übergibt. Deswegen müssen die Produkte zu den Verbrauchern gebracht werden. "Wir planen eine große Offensive und wollen jedem Bundesbürger (Frauen müssen eh mehr auf ihr Gewicht achten) ein Paket unserer Leckereien in den Briefkasten werfen. Wir hoffen, dass die darauffolgende Wespenansammlung die Menschen neugierig auf unsere Produkte macht. Nach dem Motto: Wenn das den Tieren so schmeckt, wird das wohl auch gut sein." Sollte diese Strategie wider Erwarten nicht funktionieren, hat der Branchenverband noch andere Pläne geschmiedet. So könnten die Schokoladen – zum Beispiel über Großstädten – mit dem Flugzeug abgeworfen werden. "Das hab ich mal in einem alten Film gesehen", mümmelt Lindt zufrieden und schält ein Snickers. Ansonsten wird überlegt, die Schokolade über Lieferando anzubieten. "Das sähe auch sehr süß aus, wenn die Fahrradkuriere nur so ganz kleine Rucksäcke für eine Hundertgrammtafel hätten", gibt Lindt zu bedenken.

So oder so: Die Schokolade hat einen langen Weg zurückgelegt von ihren Anfängen als Essen reicher Leute bis zu ihrem jetzigen Dasein, langsam verschimmelnd auf dem Kopfkissen in gerade geschlossenen Hotelzimmern. Sie wird sich auch diesen neuen Herausforderungen flexibel, innovativ und kommunikativ anpassen. "Das haben Sie schön gesagt", meint auch Lindt, bevor er auf einem Smartie in den Sonnenuntergang rollt.

Laura Brinkmann

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg