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Ein Erlebnis für die ganze Mitte

Nach dem neuerlichen rechten Terror ist linke Gewalt wieder in aller Munde. Nun versucht ein neues Projekt, finanziert vom Bundesinnenministerium und der "Mitte GmbH", einer gemeinnützigen Gesellschaft aus Vertretern der politischen Mitte, Spaß und politische Bildung zu verbinden – in gelenkten Bahnen versteht sich. Jessica Ramczik, selbst erlebnisorientierte Demonstrantin und Vergnügungsexpertin besuchte für TITANIC Deutschlands ersten Vergnügungspark, der sich linker Politik widmet.

Annaberg-Buchholz, einige Minuten südlich von Chemnitz. In 30 Tagen soll hier der weltweit erste Vergnügungspark zur politischen Bildung mit dem Schwerpunkt Linksextremismus eröffnet werden. Vorab dürfen Journalisten aus dem ganzen Bundesgebiet das Millionenprojekt begutachten. Ich bin eine von ihnen. Mich erwartet eine Mischung aus politischer Agitation, Reenactment und zeitgeschichtlichem Themenpark. Die Pressemappe verrät, dass man einen völlig neuen Blick auf "die Linken" werfen wolle – abseits von Rechtsruck, schlichten Fakten und trockener Politikwissenschaft. Alles hautnah und real. Einen bereichernden und erlebnisreichen Tag voller Erkenntnisse wolle man bieten. Die Worte "generationsübergreifend" und "Spaß" sind nicht nur einmal zu lesen.

Bereits kurz hinter den hufeisenförmigen Eingangstoren erwartet mich Großes. Der komplette Vorplatz des Parks besteht aus einem originalgetreuen 1:1-Nachbau des Connewitzer Kreuzes aus dem Jahr 2019. Sogar der kleine Gemüseladen steht da, wo er auch beim Original zu finden ist. Beim Betreten des Ecklädchens fällt auf, dass hier jedoch keine Orangen und Kartoffeln verkauft werden, sondern allerlei Infomaterial und Snacks. Mich begleitet Rolf Hergert, Pressesprecher des Parks. "Wir versuchen hier bis ins kleinste Detail einen linken Szenekiez nachzubilden. Hier zum Beispiel unser Vegan-Angebot. Gerade linke Kultur steht ja oft für Tierschutz. Wir bieten daher einen Fake-Tofu-Hotdog an. 65 Prozent Schweinefleisch. Schmeckt aber wirklich echt." Noch bevor ich eine irritierte Rückfrage stellen kann, ergänzt Hergert verschmitzt: "Jaja, sie werden sich vielleicht fragen, warum man dann nicht gleich fleischlos isst, aber wir orientieren uns da gerne an den Ansprüchen der Kunden." Die letzten beiden Worte flüstert er. Ich nicke. Die kleinen Hefte und Flugblätter die hier verkauft werden sehen tatsächlich aus wie Infoflyer, die ich wirklich kenne, sprechen aber eine eigene Sprache: "Aufruf zur Gewalt!", "Alle Männer in den Knast!", "Jede Abtreibung ist gut für das Klima.", "Ramelow-Ho-Ho-Ho-Chi Minh!" – Hergert fängt meinen Blick auf und fragt begeistert: "Täuschend echt, oder?"

Draußen wird es indessen laut. Ich trete ans Fenster des kleinen Shops. Aus der Nähe sind Sprechchöre zu hören: "Legt sie um, drescht sie blau, 2020 Antifa e.V." Ich kann mich nicht auf den ungelenken Reim konzentrieren, denn schon unterbricht Hergert wieder meine Gedanken: "Hier ist sechs mal am Tag Silvester." Gemeint ist die Connewitzer Silvesternacht. "Wir verfolgen mit Hilfe von Medienberichten und den Aussagen damals anwesender Beamter den Anspruch, die Silvesternacht detailgetreu nachzustellen." Während sich die Luft mit künstlichem Rauch füllt, laufen blitzschnell riesige Kreaturen auf die Kreuzung. Diese tragen Masken mit leuchtend roten Augen und halten Antifabanner in die Luft und sind eigenartig gepanzert. Einige sprühen mit Flammenwerfen um sich und schlagen auf die nun auftauchende Polizei ein. Die Polizistendarsteller werfen sich auf den Boden. Sie wirken neben "den Autonomen", so Hergert, sonderbar klein und schutzlos. Viele von ihnen sind über und über mit Kunstblut bedeckt und halten sich ein Ohr. Als zum großen Finale an Mad Max erinnernde Fahrzeuge von den Polizeifahrzeugen zurückgedrängt werden, stürzen sich Polizistenstuntmen brennend von Dächern und Trafohäuschen. Pauken und Posaunen erklingen aus Lautsprechern. Was für ein Heldentod! Vor der Tür wird verlegen geklatscht. Rolf Hergert packt meine Schulter. "Und?" fragt er. Ich mache ein unentschiedenes Gesicht.

"O Schreck, ein Autonomer!" – Gruselspaß ist hier garantiert.

Anschließend bewegen wir uns nach Kreuzberg. Natürlich ist hier nicht das echte Berliner Kreuzberg gemeint, sondern ein riesiges bewegtes Panorama, welches marode Straßenzüge, Abrisshäuser, aber vor allem Hausbesetzungen und brennende Barrikaden zeigt. Die wilden 80er. Nach kurzer Zeit verändert sich die überdimensionale Leinwand. Die Projektionen ruckeln ein bisschen, aber alles in allem wirkt das Ganze realistisch. Der Himmel klart zu einem freundlichen Blau auf, die Banner an den Fassaden verschwinden genauso wie die schwarz-roten Fahnen. Die Gebäude sanieren sich wie von Zauberhand, der Asphalt glättet sich, ein Modelädchen und eine Haustierfleischerei erscheinen. Es ertönt Kinderlachen und Vogelgezwitscher. Alles wirkt so friedlich und heil bis sich die Szene wieder wandelt. In riesigen brennenden Lettern erscheint das Wort MIETENDECKEL. Das Lachen ist nun Schreien gewichen, der Himmel färbt sich blutrot, Menschen rennen aus den Türen, Scheiben klirren, Rauch. Die Endlosschleife der riesigen Projektion ruckelt erneut und beginnt von vorn.

Es folgt eine Geisterbahn in deren Innerem es blitzt und knallt. "Nicht nur erschrecken, auch abschrecken!" brüllt Hergert hinter mir her, während ich den Szenen ausgeliefert bin. Überall schießen Figuren, die verdächtig an Bernd Riexinger erinnern, auf eindeutig reiche Menschen und ein diabolischer Bodo Ramelow stößt einen erschrocken dreinbilickenden Thomas Kemmerich in eine Art Fegefeuer. Ein Blumenstrauß landet mit einem dumpfen Schlag auf einem Grab auf dessen Grabstein das Wort Demokratie prangt. Ich nehme noch aus dem Augenwinkel wahr, wie ein Konzern verstaatlicht wird und unter dem Klang von Sirenen Löhne erhöht werden, und schon ist die Fahrt vorbei.

Ich streife durch den Park und gelange zu meinem liebsten Teil des Themenparks, dem Labyrinth. Herr Hergert weist mir in seiner Altherrenmanier den Weg zum Eingang. Dieser ist mit dem Wort GENDERWAHN beschriftet. Ich beobachte, dass diejenigen welche die Pfade "Mann" und "Frau" wählen, relativ schnell die Buchsbaum-umsäumten Wege wieder verlassen können und sich längst wieder einem neuen Fahrgeschäft oder dem Fotografieren ausgebrannter Mülltonnen widmen können. Ich habe verstanden und begebe mich auf einen anderen Weg. Ich irre durch die Gänge und begegne immer wieder geschlechtslosen Feenwesen. Jedenfalls steht "geschlechtslos" auf den Schildern, dass um ihre Hälse hängt. Sie lachen und nehmen mich an die Hand. Ich will schon bald keinen Weg mehr nach draußen finden. Es ist so schön hier. Irgendwann steht Herr Hergert wieder vor mir. Die Führung sei nun vorbei, teilt er mir mit. Keine Frage, ob es mir gefallen habe, nur ein harter Blick. Ich will noch wissen, ob er mir noch von den parkeigenen Hotelneubauten erzählen will. Hotel Hambi und Ressort Stammheim mit jeweils vier und drei Sternen seien jedoch noch nicht fertig gestellt. Er drückt mir schroff einen Zettel mit der Aufschrift "Schriftlicher Platzverweis" in die Hand und komplimentiert mich nach draußen.

 

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick