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Die Sanktionierten: So leiden russische Oligarchen
"Warum föhnt ein russischer Oligarch einen Geldautomaten? Weil seine Konten eingefroren sind!" Mit derlei Witzen spottet derzeit die ganze Welt den einst in Saus und Braus lebenden Superreichen aus Russland. Dass auch sie Menschen mit Gefühlen sind, wird dabei oft vergessen. Wie kommen die Kaviarnascher mit der neuen Situation zurecht? Und was denken die Oligarchen mittlerweile über Putin? TITANIC hat drei von ihnen getroffen.
Ohne ihre Schadenfreude zu verhehlen, berichten westliche Medien über beschlagnahmte Luxusyachten und wertlos gewordene Aktienpakete. Nachgerade so, als wären plötzlich alle Sozialisten. Doch anders als deutsche Milliardäre, die in der Regel einfach nur geerbt haben, was ihr Opa mit Hitlers Hilfe den enteigneten Juden abgenommen hatte, haben russische Oligarchen tatsächlich etwas für ihr Vermögen geleistet: Sie haben jahrelang die Nähe Wladimir Putins ertragen. Genau dafür werden sie nun bestraft.
"Man fühlt sich wie ein Mensch zweiter Klasse. Wie ein Angestellter oder ein Mieter, für den plötzlich irgendwelche Gesetze gelten. Also kurz: Ich fühle mich wahrscheinlich so, wie Sie sich bisher jeden Tag Ihres Lebens gefühlt haben", sagt uns ein betroffener Oligarch, der seinen Namen nicht in diesem Artikel lesen möchte. Er heißt Wladimir Potanin. Und ist Vorsitzender einer ehemals milliardenschweren russischen Beteiligungsfirma. Das Unternehmen ist zwar immer noch Milliarden Wert, allerdings nur in Rubel.
Wir treffen Potanin in seinem Hotelzimmer im Schweizer Nobelörtchen St. Ionen. Es ist wortwörtlich sein Zimmer: Das Hotel gehört ihm. Noch.
Jeden Tag zieht Potanin von einem leeren Raum in den nächsten. In Nummer 1027 blickt er trübselig auf den Boden eines leeren Rotweinglases: "Den aus Frankreich oder Italien verkauft man mir ja nicht mehr. Das hier ist russischer Rotwein. So ziemlich das stärkste Nervengift, das wir haben. Trotzdem kann es meinen Schmerz nicht betäuben."
Zuvörderst durch den Börsenabsturz des Bergbaukonzerns "Nornickel" hat Potanin einen Wertverlust von mehr als 25 Milliarden Dollar erlitten – ein ganzes Viertel seines Vermögens. Als wir auf Potanins Namensvetter Wladimir Putin zu sprechen kommen, bricht der Russe das Interview ab, weil er zu betrunken ist. Vor unseren Augen übergibt er sich auf sein Prada-Bowlinghemd, schenkt sich nochmal nach und legt sich samt Glas und Kotzfleck ins Bett. Ein erbärmlicher Anblick.
Beim Abschied bittet er uns darum, nun doch nicht über unser Treffen zu berichten. Er habe es sich anders überlegt. Ein Bestechungsgeld könne er uns aufgrund der gegenwärtigen Situation jedoch nicht überweisen. Deshalb haben wir uns entschieden, das Gespräch auch gegen seinen Willen zu publizieren und dabei sogar noch hinzuzudichten, dass der Mann sich vollgereihert habe.
Immerhin kann Potanin sich damit trösten, nicht der einzige zu sein. Roman Abramowitsch ist neben Gerhard Schröder wohl der berühmteste Putinfreund. Während Abramowitsch (Spitzname: Грудь повешенного, auf Deutsch etwa: die hängende Herrenbrust) den Verlust von ein oder zwei Milliärdchen seelisch noch verkraften konnte, trifft ihn vor allem der Verkauf seines FC Chelsea. Dem einstigen Champions-League-Sieger wurde in Folge der Sanktionen gegen Abramowitsch untersagt, Eintrittskarten zu vergeben und neue Spieler zu transferieren. Die Sperre kommt zur Unzeit: Mit Timo Werner, Kai Havertz und Antonio Rüdiger sind gleich drei deutsche Nationalspieler im Kader, die man eigentlich mit talentierten Fußballern ersetzen wollte. Zudem steht die Drohung der britischen Regierung im Raum, neben Abramowitschs Konten auch Trainer Thomas Tuchel einzufrieren.
Überraschenderweise lädt uns Abramowitsch, der laut Medienberichten eigentlich gerade auf der Flucht ist, auf die schwäbische Ostalb. Da er nach wie vor den Fußball liebe, finanziell jedoch kleinere Brötchen backen müsse, habe er einen württembergischen Kreisligaverein ins Auge gefasst. "Die Schwaben können einfach am besten nachvollziehen, wie furchtbar es sich anfühlt, wenn man so viel Geld verliert. Die Leute hier jammern ja schon, wenn ihnen ein 2-Euro-Stück aus der Hosentasche in den Gully fällt", meint der 55-Jährige: "Allerdings beschränkt sich mein Engagement voraussichtlich auf die Alt-Herren-Abteilung des Clubs. Die aktive Lizenzspielerabteilung des TSV Waldhausen hatte zu hohe Gehaltsvorstellungen", erklärt der Privatjetbesitzer, der dank seiner Staatsbürgerschaften auch als reichster Israeli und Portugiese der Welt gilt beziehungsweise galt.
Aufgrund seines verschwenderischen Lebensstils schlägt Abramowitsch besonders viel Häme entgegen: Einer Untersuchung aus dem Jahr 2021 zufolge setzte der Milliardär allein in einem Jahr 31.000 Tonnen CO2 frei – das entspricht dem ökologischen Fußbadruck von etwa 4000 Durchschnittsdeutschen respektive 18.500 Indern. Jetzt sucht er verzweifelt nach kostengünstigen Möglichkeiten, den Planeten zu zerstören. Doch ohne Geld ist das schwer. Für den Anfang hat er sich eine alte Vespa gekauft.
Über seinen berüchtigten Förderer im Kreml will aber auch Abramowitsch nicht sprechen. "Nur so viel", flüstert der passionierte Hobbygeldwäscher: "Der Typ ist mindestens ein genauso großes Arschloch wie Frank-Walter Steinmeier!" Obwohl Abramowitsch nicht mehr in die EU einreisen darf, sitzt er im schwäbischen Vereinsheim und versucht sich mit seinen neuen Kameraden am Kartenspiel Binokel. "Hier im Remstal fahndet garantiert niemand nach mir", sagt er betont gelassen.
Als Abramowitsch seine drei Weizenbier bezahlen soll, weicht seine aufgesetzte Coolness rasch: "Oh Mann, hehe, ich hab meinen Geldbeutel vergessen! Schreib’s auf meinen Deckel, ich zahl’s nächsten Sonntag!", ruft er Richtung Theke. Weil er aber auf Russisch ruft, versteht ihn kein Mensch. Der Vorsitzende der Alten Herren verpasst dem vermeintlichen Zechpreller auf dem Weg nach draußen eine veritable Ohrfeige, zwei angetrunkene Reservespieler jagen Abramowitsch davon und schießen ihm zum Abschied einen Fußball an den Kopf.
Ein dritter "Oli", wie sich die Oligarchen innerhalb der Szene selbst nennen, ist Alexei Mordaschow. Der größte Einzelaktionär des deutschen Reiseunternehmens Tui litt ohnehin schon unter dem schlechten Tourismusgeschäft in Folge der Pandemie. Nun ist obendrein auch noch sein gesamtes EU-Vermögen gesperrt, er selbst aus dem Tui-Aufsichtsrat ausgeschieden und seine Yacht "Lady M" in Italien beschlagnahmt. Besonders peinlich: Durch die jüngsten Berichte weiß der gesamte Globus, dass das konfiszierte Schiff lediglich 65 Millionen Euro Wert war. Mordaschow: "Deshalb macht sich jetzt nicht nur die Weltgemeinschaft, sondern auch die restliche Oligarchie über mich lustig."
Zum Vergleich: Die Yacht "Solaris" von Abramowitsch hatte ihn mehr als eine halbe Milliarde gekostet und verfügt neben Helikopterlandeplatz und Swimmingpool auch über ein eigenes Raketenabwehrsystem. "Lady M war aber meine Lieblingsyacht", klagt Mordaschow auf dem Deck einer seiner anderen Yachten in einem Hafen vor Montenegro: "Mit welchem Recht nimmt man mir die einfach weg? Was kann ich für die Entscheidungen von Wladimir Putin? Die Leute haben ja keine Ahnung, wie lange und hart ich für diese Yacht habe arbeiten lassen."
Das langjährige Mitglied des Monte Carlo Yacht Clubs hat sich hierher zurückgezogen, um erst einmal durchzuatmen und die Lage zu sondieren. Im Moment weiß er nicht, was er überhaupt noch zu seinen Besitztümern zählen kann: "Mir bleiben nurmehr knapp über 20 Milliarden Offshore-Dollar auf Barbados, ein paar Villen in Italien und drei oder vier Ehefrauen", überschlägt der Magnat schluchzend, ehe er uns in seine Zukunftspläne einweiht.
Doch während wir in den Sonnenuntergang am Horizont des Adriatischen Meers blicken, kommt plötzlich Hektik auf. "Wir haben Ihr Boot umstellt", spricht eine ruhige, aber durch ein Megafon verstärkte Stimme. "Das ist eine Yacht und kein gottverdammtes Boot, ihr primitiven Provinzproleten!", brüllt Mordaschow zurück und wirft uns danach panisch einen schwarzen Koffer zu: "Der Inhalt ist für Sie, wenn Sie dafür die Klappe halten!" kreischt er, springt auf und hechtet über die Reling in die Wellen. Im Fallen ruft er den Ordnungshütern, die inzwischen an Bord gestürmt sind, noch einen Satz zu, der das Dilemma seiner Zunft auf den Punkt bringt: "Wir sehen uns in der Karibik, ihr Amateure!" Dann platscht der Oligarch zufrieden ins Wasser und taucht davon. Wir haben keine Ahnung, wo er sich heute aufhält. Wirklich nicht.
Cornelius WM Oettle