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Die Hochkultur im Untergrund

Nach Untergrund-Restaurants, Untergrund-Partys, Untergrund-Friseuren jetzt auch noch ein Untergrund der hohen Künste? Ja, wenn wir's euch doch sagen! Von der illegalen Pandemie-Oper im Wald bis zur geheimen Corona-Galerie in der Kanalisation: TITANIC deckt auf …


Wo Wagner im wilden Walde wummert

"Ohne diese Klangerlebnisse spüren wir einen ständigen Phantomschmerz der Oper!" Willibald Wutzner und Brunhild Berst lieben Richard Wagner. Nie haben sie den Besuch einer seiner Opern bayreuth. Um das vermisste Live-Feeling zurückzuholen, planen sie nun ein verbotenes Konzerthaus – gut versteckt in einem Waldstück in Oberfranken.  Aufgeführt wird dort "Der Ring des fliegenden Walkürenhäusers von Nürnberg und Isolde", ein 197-stündiges Cross-over sämtlicher Wagneropern. "Da braucht man schon Sitzfleisch", gesteht Berst, "aber gerade in der Pandemie bingt man ja die ganze Zeit alles. Warum dann nicht auch Wagner?" Wer glaubt, ein verborgenes Opernhaus zu errichten, sei eine logistische Meistersingerleistung, der irrt. "In Wahrheit braucht man nicht viel. Das hier zum Beispiel ist unsre ganze Soundanlage!" Stolz klopft Wutzner auf den Brustkorb des zwei Meter großen Heldentenors Sergej Breitinger, der gerade ein Glas "Hohes C" trinkt. "Dagegen ist jeder geheime Rave lautstärkenmäßig ein Kindergeburtstag. Wobei man zugeben muss, dass Kindergeburtstage entsetzlich laut sind. Mein Gott, wie die Bälger kreischen können!" Ansprechen möchte die Wald-Oper ein möglichst breites Publikum aus wohlhabenden Großbürgern. Das Preissegment der Eintrittskarten ist dementsprechend groß. Es reicht von der sehr teuren Baumkronen-Loge bis zum immer noch echt teuren Stehplatz hinter einem Birkenstamm. Der Vorverkauf läuft jedenfalls prächtig. "Wir ziehen vor allem pensionierte Akademiker mit starken Rechtstendenzen an. Wer hätte das gedacht bei Wagner?"

Veranstaltungsort: dort im tiefen Tann
Ticketpreis: von 30 Karat Rheingold aufwärts 
Einlass: bei Götterdämmerung


Auktionen in den Kanalisationen

"Städtischer Abwasserkanal b32/VI, zweites Rohr von rechts, gegenüber der Klärschlammgrube Ost": So lautet die derzeit wohl angesagteste Adresse am Berliner Kunstmarkt. Galeristin Hannelore Gatsch hat hier einen Verkaufsraum mit dem ironischen Namen "Höhlenmalerei – Kunst mit Tiefgang" aufgebaut. Eröffnet wird kommenden Samstag. "Corona hat alles auf den Kopf gestellt – außer die Besitzverhältnisse", weiß Gatsch. "Den Vermögenden ist es heute umso wichtiger, sich als Wertanlage den einen oder anderen Picasso in die Matratze einzunähen." Die Anonymität der Online-Auktionen könne jedoch das echte Kauferlebnis nicht ersetzen. "Da sieht man ja nicht mal die leidenden Gesichter der Leute, die man überboten hat!" Der Aufbau einer ordnungswidrigen, aber erstklassigen Kanalisationskunsthandlung machte immer wieder Schwierigkeiten. Vor allem die Vorbereitungen zum großen Opening seien herausfordernd: "Schleust ihr mal Hunderte Lachsbrötchen und Rotweinkisten durch das Kanalisationsnetz! Und diese hohe Luftfeuchtigkeit … Ein Grauen für die Kaviar-Toppings auf den Trüffelpasteten!" Schadet dieses Raumklima nicht auch den Bildern? "Ja, genau: Weil es beim Kunsthandel um die Bilder geht", lacht Gatsch. 

Veranstaltungsort: Städtischer Abwasserkanal b32/VI, zweites Rohr von … Ach, das hatten wir ja bereits
Einlass: sobald sich im Klärbecken der Faulschlamm abgesetzt hat

Lyrikabend im Kleingartenverein "Blumenbande Groß-Klotz"

Jan Ernesto von Hafenpracht ist nur sein Künstlername. Bürgerlich heißt der junge Nachwuchslyriker Ernst Eugen von Hohenpreis. "Lesungen sind mir unglaublich wichtig. Da erwacht meine Poesie erst zum Leben", deklamiert von Hafenpracht Aerosole um sich werfend und gesteht gleichzeitig: "Auch wenn ich zugeben muss, dass die Publikumsauslastung meiner Auftritte schon vor der Pandemie dem rigidesten Hygienekonzept Genüge getan hätte." Doch wo früher höchstens zwei Besucher:innen (inkl. seiner Eltern) zuhörten, ist das Interesse mittlerweile explodiert. "Fünf Leute waren es bei meiner ersten illegalen Lesung! Davon waren allerdings drei Polizisten, die die Veranstaltung auflösten – und die andern beiden meine Eltern." Damals las er im Hobbykeller des Vaters. Die Wegbeschreibung in den Untergrund des elterlichen Anwesens hatte er in Gedichtform verfasst. "Wenn ich kurz einen Auszug daraus lesen dürfte: 'Kommen. / Kommen heißt gehen. / Ankommen. / Zu mir ankommen? / Dann gehe, gehe den Gang. / Kellertreppen lauern. / Nimm die erste Stufe. / Die zweite Stufe. / Die nächste Stufe. / Es folgt: Stufe. / Stufe nach Stufe. / Die Stufenstufe. / Schon ist es die zehnte / – Stufe. / Oder halt! / … / Doch den Lift?'" Um eine neuerliche Auflösung der Veranstaltung zu verhindern, findet der nächste Lyrikabend im Hamburger Kleingartenverein "Blumenbande Groß-Klotz" statt – gut verborgen in einem gläsernen Gewächshaus. Von Hafenpracht ist diesbezüglich sehr guter Dinge: "Ich bin diesbezüglich sehr guter Dinge, auch was die Zuschauerzahl betrifft. Es hat sich sogar eine Tante angekündigt!"

Veranstaltungsort: Parzelle 12b
Einlass: "Zeit. Uhr. Zeit tickt. Uhr vergeht. Soll heißen: 20:00 Uhr"
Ticketpreis: 50 Euro oder Kauf des Bandes "Stufenlyrik I" für 5 Euro (Tipp: Fast alle zahlen lieber die 50 Euro.)

Jürgen Miedl

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt