TITANIC Gold-Artikel
Die Abgehängten
Angela Merkel hat zwei Bilder von Emil Nolde in ihrem Büro abgehängt – um in den dahinter versteckten Safes ihre geheimen Machtpläne zu verstauen. Jetzt sollen die Wände im Kanzlerinnenzimmer weiß bleiben. Hätte man die Noldes hängen lassen sollen? Ein Pro und Kontra
Pro: Florian Illies
Emil Nolde gilt als "belasteter Künstler". Angela Merkel möchte nicht mehr, dass seine Malereien in ihrem Büro zu sehen sind. Anders noch als ihr Vorgänger Helmut Schmidt, hat sie ein Problem damit. Auf einmal. Belastet – was bedeutet das überhaupt? Belastend? Für wen? Für die deutsche Seele?
Gesichert ist, dass Emil Nolde ein glühender Hitler-Verehrer war, ein Nationalist, Rassist, Antisemit und NSDAP-Mitglied. Aber so einfach ist es nicht. In seinen beiden betroffenen Werken "Brecher" und "Blumengarten" ist von seiner politischen Einstellung nichts zu sehen. Das, was man sieht, ist ohnehin undeutlich, verschwommen-schwammig, regelrecht entartet. Das fanden übrigens auch die Nazis, weswegen sie ein Berufsverbot gegen ihn verhängten. Dabei war er vorher noch von Goebbels gefördert, von Himmler eingeladen worden. Der Fall wird immer komplizierter, je länger man sich in ihn einliest.
Gebietet es in einem aufgeklärten Staat wie Deutschland nicht die Souveränität, Kunst vom Künstler strikt zu trennen? Einerseits: ja, denn das ist bequemer. Andererseits: nein. Fakt ist nämlich auch: Ohne den Namen des Künstlers ("Nolde") wären Noldes Bilder keinen Pfifferling wert. Also mittlerweile natürlich schon, haben sie doch jahrelang die Arbeitsstube unserer Kanzlerin verziert. Wie oft hat Angela Merkel wohl Nüsschen knackend unter dem "Blumengarten" gesessen und gedacht: "Der Zeichner dieser schönen Blümchen hat die NS-Zeit erlebt und überlebt. So etwas darf nie wieder passieren!"? Nun herrscht hier gähnende Leere, so wie es wohl auch dem Kalifen des Islamischen Staates gefallen würde. Die Leihgaben gehen an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurück. Wer weiß, wer sie sich dort zu Gemüte ziehen wird.
Mit der Art, wie es mit seinem kulturellen Erbe umgeht, zeigt sich die wahre Stärke eines Landes. Helmut Kohl hat nicht viel von Kunst gehalten, war zu dumm dafür. Gerhard Schröder soll für das Gemälde "Speckmusch" von Armin Mueller-Stahl zwei Millionen D-Mark hingelegt haben. Adolf Hitler hat selbst gezeichnet. Merkel hätte die Noldes behalten sollen. Wo man Bilder abhängt, hängt man am Ende Menschen ab.
Kontra: Jonathan Meese
Kunst ist flüchtig. Nicht nur im Fluxus-Sinne, sondern auch in dem Sinne, dass man alles ständig auswechseln soll. "Does it spark joy?" Yes, yes, dreimal yes! Wenn ich Bundeskanzler wäre, würde ich mich selbst absetzen, denn das Diktat der Kunst benötigt und verträgt keine menschlichen Instanzen. Vor allem aber würde ich meine Räume vollhängen mit Hunderten, ja Tausenden von Kunstwerken. Gerne auch mit meinen eigenen, davon habe ich genug, ich habe bereits drei Stück angefertigt, seit ich begonnen habe, diesen Text zu schreiben. Nebenbei! Gesamtkunstwerk Kanzleramt.
Emil Nolde war pädophil – so what? Das war Michael Jackson auch. "Finding Neverland" habe ich mir auf 100 DVDs gebrannt und bereits 450 Mal angeschaut. Klar, der Nolde muss weg, alles runter, weg, weg, weg! In Spanien stehen immer noch mindestens zwei Franco-Statuen rum, wie geil ist das, bitte? Faschismus hat faszinierende Werke hervorgebracht. Man kann auch damit spielen, die Figur Meese ist der Über-Adolf, der Meesegruß beeinflusst heute die Musik, Stichwort Rammstein. Deren letztes Album besitze ich auf Vinyl, exakt 2000 Kopien, unfassbar.
Angela Merkel hat gerade ihre Mutter verloren. Das tut mir sehr leid. Mit wem soll sie jetzt auf Tournee gehen, ihr Œuvre managen, wen als Idol hofieren? Ich schenke Angela Merkel auf der Stelle eine meiner Collagen, wenn sie zurücktritt und dem Führer namens K.U.N.S.T. Platz macht. Ich habe nichts gegen Merkel, sie sollte sich mal einen Jogginganzug anziehen – Karl Lagerfeld hätte das nie gemacht, hat aber auch gezeichnet, es hängt alles zusammen. Udo Lindenberg. Ganz, ganz groß, ich habe neulich 48 Stunden am Stück seine Songtexte gelesen, da gerätst du in einen Rausch, es ist nicht normal!
Noch ein Name: Richard Wagner. Wahnsinnstyp, komplett irre, auch weltanschaulich fragwürdig, aber einfach seiner Zeit voraus, geil, geil, geil. Manchmal schreite ich im Stechschritt durch mein Atelier und dirigiere meine Puppensammlung. Ich posiere gern, bin leider etwas dicker geworden in letzter Zeit, und der Bauch hängt runter wie eine Schürze.
Mein Angebot steht: Die weißen Mauern im Merkel-Kabuff bespritze ich liebend gern, wie Michael Jackson Pollock, und dann reiße ich sie ein. Also die Merkel, nicht die Wände.
Torsten Gaitzsch