Inhalt der Printausgabe

DADDY GRÖNEMEYER

Wenn Grönemeyer ein neues Album rausbringt, und das hat er nun schon zum sechzehnten Mal gemacht, freuen wir uns alle, denn es wird garantiert wieder gut. Die Melodien berühren einen und der ein oder andere schöne Satz hat’s auch wieder reingeschafft. Wir trafen den Göttinger und Ruhrpottler in einem Café in Prenzlauer Berg und sprachen mit ihm über Merkel, Mut und Miteinander.

Herbert!
Herrlich!

Wie geht’s?
Herrlich! Wie gesagt. Und Ihnen bestimmt auch, ich beglückwünsche Sie zu meinem 500. Interview.

Laber!
… und zwar heute!

Ihre neue Platte ist wieder voller Melodien und Texte.
So sieht’s aus, Melodien liegen mir, Texten finde ich eher anstrengend.

Dafür ist doch wieder viel Schönes dabei.
Ja.

Also, dann zum Wesentlichen. Politik! Wir brauchen ein paar Sätze für Sharepics.

Grönemeyer richtet sich auf, setzt seine dicke schwarze Brille auf. Er ist es wirklich. Ehrlich gesagt war ich mir bis eben nicht sicher.

Sie lassen echt kein Thema aus. Gendern, Ossis, Ukrainekrieg, Klima … Warum?
Na, weil ich gefragt werde! Und mir liegen die Themen tatsächlich auch am Herzen. Ich bin modern, für die jungen Leute und gegen rechts.

Was heißt das konkret für Sie?
Wir als Land müssen unsere Identität ausloten. Wir müssen zusammenwachsen und an unserer Zukunft bauen. Wir müssen für das Gemeinwohl einstehen. Wir haben nur diesen einen Planeten. Jetzt zählt, was wir unseren Kindern hinterlassen. Carpe diem, geht wählen, das Gute daran ist das Gute darin, Carglass repariert, Carglass tauscht aus.

Aber wie kommen wir denn dahin?
Zuversicht, Mut, Zusammenhalt.

Und praktisch gesehen?
Mitgefühl, Anpacken, Zusammenrücken.

Und was ist genau das Ziel?
Aufbruch, Gerechtigkeit, Freiheit.

„ICH KENNE
VERSCHIEDENE
WÖRTER.“

Und außerdem?
Hoffnung, Demut, Neuzeit.

Aber was können wir denn konkret tun gegen soziale Ungleichheit?
Unseren Verstand einsetzen, an das Urvertrauen appellieren, work hard, play hard, kommse rin, könnse rausgucken, Real – einmal hin, alles drin.

Herbert …
Wir müssen uns auf uns besinnen, auf das, was wir sind und können. Im Englischen heißt das „Self-Esteem“, da gibt es überhaupt keine deutsche Übersetzung für. Stärken, Schwächen, hardware, software, Power. Ich träume ja größtenteils auf Englisch, ich lebte lange Zeit in London.

Die Leute in Ihren Videos sind sehr divers und jung. Glauben Sie an die jungen Leute?
Total! Ich glaube ohnehin nur an das, was ich sehe. Und in letzter Zeit sehe ich viele junge Leute, zum Beispiel mein Kind oder meine Frau. Sie hat Ihnen übrigens einen Kuchen gebacken, ist fast so gut wie der von meiner Mutter.

Oh, danke!
Hab ihn aber leider vergessen.

Lassen Sie uns doch noch ein paar politische Themen abarbeiten.
Schieß los!

Gender.
Ich grüße alle Frauen! Ihr macht das super.

Ossis.
Wie jede*r weiß, stehe ich für ein offenes Dresden, für ein offenes Chemnitz, für ein offenes Meck-Pomm usw., ich war bei jedem entsprechenden Festival dabei. In der DDR bin ich nie aufgetreten, da bin ich bis heute stolz drauf. Aber jetzt, wo es dort Nazis gibt, war ich doch mal neugierig. Es gibt schon starke Unterschiede, da muss noch viel passieren. Aber ich finde, es ist auch mal gut. Wir sind ein Land und fertig!

Aber haben Sie nicht gerade gesagt, es gibt noch starke Unterschiede?
Hä? Auch ich bin nicht perfekt. Weiter.

Corona.
Ich war für die Leute, die sich während Corona aufgeopfert haben, was wir alle waren. Corona hat alle gleichgemacht. Daher war mein Song „Helden dieser Zeit“ eigentlich eine Liebeserklärung an mich selbst, an das Ich im Wir. Trotzdem habe ich gern alle anderen gegrüßt, am Ende des Musikvideos mache ich so eine Daumengeste.

Nationalstolz.
Man muss sich zu Deutschland mit Augenmaß verhalten. Auto, Fußball – ja, Politik – nein, rechts werden auf keinen Fall! Andere Länder stellen sich allerdings nicht so an, die fremdeln immer mit unserem Gehabe dahingehend. Ach, wissen Sie was, schreiben Sie einfach auf, was Sie wollen.

Armut.
Schlimmes Thema. Am Ende bin ich nur Sänger und kein Politiker, ich kann nur Denkanstöße geben.

Sie hatten sich in der Vergangenheit ja bereits gegen Armut eingesetzt, haben sich das ein oder andere Konzept überlegt …
Sie spielen jetzt sicher auf die Steuersache an, weil ich ja Millionär bin und so was. Das Problem ist, dass Steuern nie da ankommen, wo sie sollen: Dort, wo ich es will. Leute kaufen sich am Ende davon Alkohol oder so. Stattdessen schlage ich einen Fonds vor, in den wir Wohlhabenderen zielgerichtet unser Geld hinüberweisen können, wenn wir wollen und nicht weil wir müssen. Letztens habe ich zum Beispiel meine Onlinebanking-Zugangsdaten vergessen, das würde mir dann zum Nachteil werden, kann aber jedem mal passieren. Die Engländer gehen mit all dem viel entspannter um. Vielleicht sollte ich wieder nach England.

Sie haben ja auch ein Haus auf Mallorca.
Um mich soll es gar nicht so sehr gehen, ich betreibe ungern Nabelschau. Wichtig ist mir eher das Wir. Wir sollten mehr auf Gemeinsamkeiten schauen, nicht auf Unterschiede.

Also, wohnen Sie hauptsächlich in Berlin?
Ja, und zwar ganz normal zwischen allem und jedem, mitten im Leben, in Mitte. Ich bin dort auch gleich verabredet, zum Parmesanradfahren bei einem befreundeten „Pärchen“.

Wollen Sie noch was sagen?
Iran, Syrien, Ukraine, Afrika, Atomkraft? Nein danke, FCKW, Kony 2012, Karl der Käfer wurde nicht gefragt.

Danke, es war so schön. Kommst du zu meinem Baseballspiel nächste Woche?
Nein! Aber du machst das ganz toll, bleib dran!

Ich schaue Grönemeyer beim Abschiedskuss noch mal ganz genau auf die Brille: sie ist aus purem Kaviar.

 

Paula Irmschler

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg