TITANIC Gold-Artikel

#BlasebalgLeaks – Eine "Focus"-Meldung und ihre Geschichte

Wie TITANIC dem Faktenportal "Focus online" zu einer tausendfach geteilten Schocker-Story über autohassende Autonome und perfide Feinstaubmanipulation verhalf.

Autos, Autos, Autos. Seit Monaten redet das ganze Land über nichts anderes mehr – außer vielleicht ab und zu darüber, wie man "effektiv abschieben" könne. Noch viel mehr Angst als Nafris und Araber-Clans machen den Deutschen allerdings unheilige Dieselfahrverbote und sinistre Tempolimits auf Hitlers freien Autobahnen. Ganz unterschiedliche Menschen aller Couleur fürchten, dass Autofahren demnächst kriminalisiert wird: AfD-Mitglieder, "Bild"-Leser, "Welt"-Leser und auch die fakteninteressierte "Focus"-Leserschar. In Hunderten Facebook-Gruppen wie "Tempolimit – nein danke" und "Gegen Diesel-Fahrverbot" organisieren sie sich und tauschen sich über die niederträchtigen Umtriebe der Grünen, der "Deutschen Umwelthilfe" und überhaupt des ganzen linksversifften Packs aus. Wie kann man diese überaus besorgten Menschen noch erreichen?

Mit einem Video! Wer die Petrolheads aus ihrem Wahn retten will, muss sie zunächst im selbigen stabilisieren und bestätigen. Das denken sich jedenfalls die TITANIC-Redakteure Leonard Riegel und Moritz Hürtgen, als sie im Februar mit Blasebalg und Sturmhaube bewaffnet die Redaktion verlassen. Sie wollen in einem kurzen Tutorial zeigen, wie Frankfurter Linksextremisten tatsächlich Feinstaubmessstationen manipulieren, um die Werte künstlich hochzujazzen und damit Fahrverbote zu erzwingen. Einen kurzen Videodreh an der Messstation am Friedberger Platz (Frankfurt) und eilige Schnittarbeit auf Hürtgens Smartphone später, sieht man ihn als kopfsockigen Intensivtäter bei der Arbeit:

Anm.: Weil sich Riegel und Hürtgen während des Drehs teilweise über private Kochrezepte unterhielten, wurde auf die Tonspur verzichtet. Unbedingt ohne Kopfhörer anschauen!

Ein Video, das alle geläufigen Annahmen über Autonome untermauert: vermummt, feige und zu allem bereit. Nur wie bringt man das Beweismaterial an die richtigen Leute? Bei der monatlichen TITANIC-Lesung im Frankfurter Club Voltaire präsentiert die Redaktion stolz das Video und hofft, dass sich wenigstens ein oder zwei Autonarren ins Publikum verirrt haben. Vergebens! Nirgends im Netz taucht das Terrortutorial auf, obwohl die Redaktion inzwischen alle "Pro Auto"-Gruppen auf Facebook frequentiert.

Wer die "Focus online"-App auf seinem Smartphone installiert hat, weiß, dass die Münchner Vollgasjournalisten jeden Tag zwischen fünf und hundert Push-Mitteilungen zum Thema Pkw ausgeben. Müsste das Faktenmagazin nicht zwingend berichten, wenn das Autohasser-Filmchen z.B. beim linksextremen Portal "Indymedia" auftaucht? Na klar, es müsste! Weil Hürtgen aber zu faul, unbedarft und unschuldig ist, um tatsächlich etwas auf der Autonomen-Website hochzuladen, sucht er einfach eine Indymedia-URL, die ins Leere führt, und bittet TITANIC-Technikfuchs Alexander Golz, einen Screenshot zu fälschen, der auf den ersten Blick belegt, dass das Video vor kurzem bei Indymedia und Youtube online war.

Als die Redaktion schon beim "Focus" anrufen will, um die heiße Story kollegial auf der kurzen Dienstautobahn anzubieten, fällt in letzter Sekunde auf, dass es zur Sicherheit wohl lieber einen glaubwürdigen und rechtschaffenen Mittelsmann braucht, der das Video lanciert. Und so wird Hürtgen zum Münchner Bürger "Michael Leitmayr", der als Hobby "linke Aktivitäten überwacht" und das brisante Beweismaterial angeblich einsammelte, bevor die Autonomen von Indymedia Video und Blogeintrag wieder löschten. Prompt antwortet der zuständige "Auto"-Redakteur V. des "Focus", als Leitmayr ihm per Mail Video, Screenshot und die ins Leere laufenden Links schickt:

Wenn ein Bewohner Münchens mit Nachnamen wie der "Tatort"-Kommissar der bayrischen Landeshauptstadt heißt, schafft das wohl Vertrauen. Leitmayr sagt für ein Telefonat zu und gibt seine Nummer durch. Wenige Minuten später, am späten Nachmittag des 12. Februar 2019, ruft der „Focus“-Mann an.

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Bei Anruf: "Focus"!

Hürtgen/Leitmayr meldet sich mit "Servus!" original bairisch und sofort kommt ein schönes Gespräch in Fahrt. Der Autojournalist V. sagt aus, er könne die ganze Geschichte derzeit nicht verifizieren, aber: "Wir haben Leute, die sich mit Messtechnik auskennen, befragt, und grundsätzlich ist eine solche Manipulation wie im Video möglich." Es reiche sogar, eine Kerze unter die Sensoren der Feinstaubmessstationen zu halten. Als nächstes möchte er wissen, woher Leitmayr Video und Screenshot überhaupt habe. Der gibt bereitwillig zu, über einen Twitterlink auf den Indymedia-Beitrag gestoßen zu sein, er könne sich aber nicht erinnern, wie der Twitter-Account hieß, der es gepostet hatte. Darin sieht der "Focus"-Mann überhaupt kein Problem und lobt seinen Informanten: "Gute Reaktion, immer alles sofort sichern. Ich wusste gar nicht, dass es Indymedia überhaupt noch gibt." Leitmayr versichert ihm, dass es Indymedia garantiert noch gebe und man dort regelmäßig noch viel schlimmere Aufrufe lesen könne.

V. erzählt, dass er im Zuge der "G20-Randale" seinerseits auch Screenshots von Indymedia gesichert habe, nämlich "als Autonome dazu aufriefen, Autohäuser anzuzünden". Leitmayr ist froh, an einen so verständigen Redakteur geraten zu sein: "Ich habe mich an den Focus gewandt, weil da wenigstens noch etwas Sachverstand ist." V. sieht das ähnlich: "Wir sind eines der wenigen Medien, die überhaupt kritisch berichten." Gemeinsam lästern die beiden noch ein paar Minuten über Feinstaub-Wahn und Messwerte-Irrsinn, bis Redakteur V. zur Sache kommt: "Als Geschichte wäre es schon mal ein Knaller. Da machen wir sicherlich auch was dazu. Ich überlege, ob es Sinn macht, das Material der Stadt Frankfurt auch noch mal vorzulegen." Leitmayr bedankt sich für das nette Gespräch, ermuntert V., weiter zu recherchieren, und verspricht noch einmal, dass es in autonomen Kreisen seines Wissens durchaus üblich sei, Aktionsanleitungen auszugeben und dann schnell wieder zu löschen.

Tags drauf verbringt die TITANIC-Redaktion den ganzen Mittwoch damit, alle 30 Sekunden „Focus online“ zu aktualisieren, was wahrlich kein Vergnügen ist. Doch die Meldung über die Missetaten der Frankfurter Autonomen bleibt aus. Stattdessen zig Meldungen über EU-Feinstaub-Entschlüsse und 1001 Lungenärzte. Haben die "Focus"-Recherchen diese Superstory gekillt? Nein:

Irgendwann in der Nacht zum Donnerstag geht bei "Focus online" endlich der Artikel "Autonome verbreiten Anleitung zur Manipulation von Feinstaub-Messstationen" online. Mit Screenshots aus dem Video und von der Indymedia-Seite versichert das Faktenmagazin, dass das Ganze zwar "auf den ersten Blick nach einem schlechten Scherz aussieht", aber "offenbar ernst gemeint" sei. Am frühen Morgen bekommt Hürtgen bzw. Leitmayr eine Mail von Redakteur V., enthalten sind der Link zum Artikel, eine knappe Danksagung und ein Smiley (Zwinker). In der TITANIC-Redaktion wird mittags die Frage diskutiert, ob man nicht dieses eine Mal zu weit gegangen sei: Der "Focus" verbreitet exklusiv Anleitungen für linksradikalen Terror, die vorher niemals und nirgendwo öffentlich einsehbar online waren. Macht sich das Münchner Magazin damit strafbar?

Die Meldung an sich ist jedenfalls ein Riesenerfolg und exakt der "Knaller", den Autoredakteur V. vorausgesagt hat. Nachdem der "Focus" sie bei Facebook zurückhaltend über nur drei seiner über 15 Seiten ("Focus online", "Focus online Auto" und "Focus online Politik") ins Netz gedroschen hat, zirkuliert sie nach kurzer Zeit in Hunderten Anti-Tempolimit- und Anti-Dieselverbot-Gruppen und wird von Tausenden Profilen geteilt. Auf Twitter freuen sich die konservativen Superstars Ulf Poschardt ("Welt") und Jan Fleischhauer ("Spiegel") darüber, dass auch das Faschoblatt "Junge Freiheit" die Geschichte kurze Zeit später aufnimmt – und sie dessen Inhalte damit endlich einmal teilen können. Dass einen Tag später auch noch der beliebte Alzheimer-Blog "Achse des Guten" über den Aufruf zu Feinstaubmanipulation berichtet, ist nur noch ein Tropfen auf die heiße Motorhaube.

Denn in den sozialen Netzwerken wüten längst unzählige Nutzerinnen und Nutzer über den unbekannten Autonomen, der den Schlauch einer gelben Fußpumpe in einen Peugeot-Auspuff hält und danach halb auf eine Feinstaubmessstationen kraxelt, um ein paar Mal in den Wind zu pumpen. Sie wünschen ihm und allen anderen "Linksfaschisten" den Tod, wollen ihn an die Wand stellen, ins Gas geben und – na klar! – überfahren.

Ein Jahr nach dem #miomiogate ist es deutlich schwerer geworden, mit beschränkten Mitteln hanebüchene Geschichten bei Qualitätsmedien unterzubringen. Verantwortliche von Satiremagazinen müssen sich überlegen, ob sie mit ihren bierlustigen Einfällen nicht die Glaubwürdigkeit der gesamten Medienbranche – die stets sehr bemüht ist! – aufs Spiel setzen.

Moritz Hürtgen

TITANIC wird in Kürze eine Sammlung der besten Reaktionen auf die #BlasebalgLeaks veröffentlichen. Am Freitag, den 22. Februar, erscheint die Märzausgabe des endgültigen Satiremagazins mit einem großen Autospezial und einer Telefonaktion, für die gemeinsam mit dem Verkehrsministerium weitere Stimmen des Zorns bei deutschen Autoliebhabern eingeholt wurden.

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg