Artikel
Auf eine Feuerzangenbowle mit Quentin Tarantino
In Auerbachs Keller verglimmt letzte Kaminglut, Staub und Rauch der Historie schweben über den schweren Eichentischen, vom Zapfhahn tropft Bier auf die Schläfe des schnarchenden Wirts. In dieser Leipziger Kultspelunke, in der einst schon Ferkel Faust mit Schweinebacke Goethe zechte, hat er heute zur Audienz gebeten: seine Kultregisseurigkeit himself, Kult-Kultregisseur Kulti-, Quatsch, Quentin Tarantino!
Es ist schier unfassbar, doch er wird wirklich hier sein, er, die Hollywoodlegende, der wir bislang acht Kultfilme verdanken. Klassiker wie "Pulp Fiction", "Harvey Potter" oder "Immer Ärger mit Harvey". Nun kommt Tarantinos 9. in die Kinos, Kultgarantie garantiert! Den Plot kenne er selbst nicht genau, hat Tarantino kürzlich in einem Interview verraten, bislang habe er keine Zeit gefunden, den Streifen anzusehen. Sehr wahrscheinlich würden jedoch geile Drogen, knatternde Frauen, harte Knarren und brutale Karren eine Rolle in diesem Gemetzel spielen, auf jeden Fall sei alles total affenarschhammergeil geworden, mal wieder.
Die Tür fliegt auf! Quentin Tarantino, Brad Pitt und zwei Cowboytypen platzen lärmend in den Raum, Schweiß kriecht ihnen aus den Stirnporen und rinnt langsam über die ungewaschene Visage in den Ausschnitt ihrer schmutzigen weißen Hemden. "Hi, I’m Quentin!" stellt sich Quentin vor, zieht einen Damenslip aus der Hosentasche und schnäuzt hinein. Wahnsinn, er ist es wirklich! Ein Riese von einem Mann, allein sein Kinn hat das Volumen einer ausgebeulten Hose. "Beer, German Beer!" brüllt die Gruppe zum Wirt hinüber, der benommen Gläser greift. "And wine, your typical ungenießbar sour white wine from Rheinhessen!"" krakeelt Quentin hinterher. Wenig später stehen die Getränke auf dem Tisch. Die vier Männer prosten sich zu, dass es nur so spritzt.
Feuerzangenbowle nach Tarantino-Rezept: beliebige Alkoholika zusammenmixen, Zimt zugeben und 3 Esslöffel LSD unterrühren
Außer uns sitzen lediglich zwei junge Frauen in der Gaststätte, Schülerinnen oder Studentinnen vielleicht. Schüchtern tuscheln sie am anderen Ende des Raumes miteinander, blicken ab und zu verstohlen herüber. "Hey Girls!" Quentin fuchtelt mit den Armen. "Come over here!" Die Mädchen wechseln unsicher Blicke und winken dann ab. "Come on, let’s have a party, don’t be shy!" versucht Quentin es weiter. "You don’t have to be afraid, my friend Harvey is in prison now. You know Harvey?" Quentin klatscht erklärend mit der flachen Hand gegen die Oberseite seiner Faust. Zögerlich erheben sich die Angesprochenen und staksen uns entgegen, stellen ihre Gläser auf der Theke ab und verschwinden eilig.
In der #metoo-Debatte ist Quentin mit einer Blauäugigen davongekommen, doch er weiß, er muss vorsichtig sein. Zu schnell wird einem Hollywoodmann wie ihm heute wegen eines flüchtigen Blicks, eines verschwitzten Kompliments oder einer beiläufig in den Arsch geschobenen Gummifaust auf Twitter der Prozess gemacht. Wie ist die Stimmung im Filmgeschäft derzeit? Geht weiter die Angst um, oder können Frauen sich inzwischen etwas sicherer fühlen? "Yeah, Hollywood!" antwortet Quentin verrätselt. Um Hollywood geht es auch in seinem neuen Film, genauer: um das Hollywood vor 50 Jahren, die gute alte Zeit, als Männer noch Männer und Frauen noch Frauen waren. Als man sich noch jede und jeden mit LSD gefügig machen konnte, ohne dass ein Internetmob gleich unbewiesene Vergewaltigungsvorwürfe in die ganze Welt posaunte.
Um den irren Sektenguru Charles Manson und den Mord an Sharon Tate geht es. Was hat einen feinsinnigen Künstler wie Quentin Tarantino am Psychopathen Charles Manson gereizt? Soll der Film auch als Kommentar zu aktuellen Debatten über political correctness verstanden werden? "Where are the girls?!" kräht Quentin weh. "Are they gone? Now we need schnaps! Yeah, schnaps!" Schon ist der berühmteste Tausendsassa des Filmgeschäfts wieder in Fahrt. Während seine unbekannten Begleiter mürrisch in ihre Gläser starren und Brad Pitt auf der Suche nach Netz sein Smartphone herumreckt, schwitzt Quentin wie ein Berserker im Schein des nun wieder lodernden Kamins.
Was zur Hölle zog ihn nur an diesen mythischen Ort? "Hey!" Als hätte er die Frage vernommen, wendet Quentin sich plötzlich an seine Kumpanen. "Do you know why we got here?" Verschwörerisch schaut er umher. "Because this is the place where they invented the fucking feuerzangenbowle!" Auf einen Wink bringt der Wirt einen Eimer Sangria mit drei Strohhalmen. Nach dem ersten Glas, erklärt Quentin seinen mäßig gespannten Zuhörern und zündet den ersten Strohhalm an, sei man leicht beschwipst. Nach dem zweiten, der nächste Strohhalm wird entflammt, fühle man sich unbesiegbar. Aber nach dem dritten – Quentin stiert irren Blicks auf Brad Pitt und fackelt den letzten Strohhalm ab – "after the third glass of feuerzangenbowle you'll act like a schoolboy again. This will be the subject matter of my next film!" Das vierte Glas hingegen, so wird Quentin später feststellen, ist der perfekte Stoff für einen Filmriss – mit Kultgarantie.
Valentin Witt