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Als Alman bei den Salmans

Lange Zeit für Urlauber kaum zugänglich, hat Saudi-Arabien vor wenigen Wochen seine Pforten geöffnet. Wird der Wüstenstaat gar das neue Touristenmekka? TITANIC-Redakteurin Ella Carina Werner ist nach Riad gereist.

Die Herzlichkeit ist der saudischen Bevölkerung ins Gesicht geschrieben, als ich am Bin-Salman-Airport die mosaikverzierte Ankunftshalle betrete. Neugierig kommen die Menschen näher, umringen mich. Viele haben noch nie eine Deutsche gesehen. "Salem Aleikum! Willkommen in der Weltgemeinschaft", rufe ich in die Runde. Ein jahrzehntelanger Traum wird für mich wahr: einmal ins Land der Beduinen, der heilenden Ölquellen und US-Soldatenbordelle. Wann, wenn nicht jetzt, wo das wackere Königreich seit September massenweise Touristenvisa vergibt. Bis vor kurzem durften lediglich muslimische Pilger, US-Unternehmer und Spieler von Manchester United einreisen, die der Kronzprinz Mohammed bin Salman gerade ins Portfolio holt.

Gleich am Ausgang begegnet mir die erste Attraktion: eine Frau am Steuer. Die Taxifahrerin Medina, 56 Jahre, ist erst seit einem Jahr im Geschäft und noch voller Leidenschaft. Sie motzt und hupt in den überfüllten Straßen wie keine Zweite, beschimpft jeden Verkehrsteilnehmer ("Der hat doch seinen Führerschein im Iran gemacht", "Sind wir hier im Jemen, oder was?"). Luxusunterkünfte wie das "Salman-Inn" und das "Salmanotel" lassen wir links und rechts der Prachtstraßen liegen sowie auch das frisch aus dem Lehmboden gestampfte Backpacker-Hostel, vor dem kiffende Traveller uns fröhlich zuwinken. Dann erreichen wir meine Bleibe. Zum Abschied gibt's ein gemeinsames Selfie mit der Fahrerin und einen brutal überzogenen Fahrpreis. Herrlich!

Amir, mein jovialer Airbnb-Host, führt mich durch seine geräumige Stadtwohnung. Der Mittvierziger nimmt sich viel Zeit, denn davon habe er reichlich. Amir orakelt, er sei "Rentier", wie in Riad nahezu jeder männliche Einwohner. Mein Zimmer teile ich mir mit fünf philippinischen Haussklavinnen und Amirs dritter, verstoßener Ehefrau Liya, 17 Jahre. Auf meinem Kopfkissen liegt ein Täfelchen Kamelschokolade. Lovely! Ich erhalte eine City-Map und tolle Insider-Tipps, darunter Bin Ladens Geburtshaus. 

Saudische Taxifahrerinnen haben jede Menge Drive.

Am Nachmittag zieht es mich in die Innenstadt. Riad ist eine Stadt der Gegensätze: Reich und sehr reich prallen aufeinander. Spannend. Sämtliche Wandbilder und Statuen haben die markante Silhouette von Kronprinz Mohammed bin Salman, sogar die Ampelmännchen. Saudi-Arabien beherbergt zahlreiche heilige Stätten, darunter die Kaaba in Mekka, Mohammeds Grab in Medina sowie 37 Mc Donalds-Tempel, beliebt hier die "Camel McNuggets", der "McDesert Rat" sowie der "Big Mecca". In einer Seitenstraße befindet der Schmuddel-Nachtclub "Versaudi" sowie das kultige Lokal "Fadi's Service-Wüste". Selbstironie ist mittlerweile im Ölstaat en vogue, wie auch die große Werbekampagne auf visitsaudi.com mit pfiffigen Claims wie "Wir können alles, außer Rechtsstaat" eindrucksvoll beweist. 

Die saudische Touristenoffensive trägt bereits krebsrote Früchte: Urlauber sieht man an jeder Ecke. Ein Flixbus aus München erreicht gerade die Salman Bus Station. Indische Interrailer strömen vom Bahnhof. Ein Trupp britischer Reisender mit "Hard Rock Café Medina"-Shirts strolcht hackedicht umher. Die Fußgängerzone ist bereits sehr touristisch, die engen Gassen säumen Souvenirläden. Im Angebot: die heilige Kaaba als Schlüsselanhänger, Mohammed als Schlüsselanhänger, Jamal Khashoggi als 1000-teiliges Puzzle. Ich kaufe eine vergoldete Taxifahrerin als Schlüsselanhänger und das Buch "Die Spinne aus der Dattelpalme" voller witziger urbaner Legenden aus Riad. In der vom Baedeker empfohlenen Touri-Schänke "Zum lustigen Ölscheich" drängeln sich amerikanische und russische Touristen am Büfett: Endlose Meter aus Wallfahrtssalat, Penne all’Saudiarrabbiata und Eiersalat in einer leichten Vinaigrette aus Essig und Erdöl. Hoffentlich ohne Salmanellen.

Am nächsten Tag stehe ich vorm Königlichen Staatstheater und betrachte das Veranstaltungsprogramm: Im großen Saal gibt es "Kaabale und Liebe", im kleinen "Der Jemenmann”. Schräg gegenüber, im Haus der wahhabitischen Jugend, findet ein Diskussionsabend statt über das das Für und Für des Wahhabismus. Von jeder Litfaßsäule grinst der immer gleiche Finsterling, wirbt für den neuen Blockbuster "Iran Man", eine saudische Eigenproduktion. Das Programmkino zeigt den Evergreen "Pretty Salman" und "P.S. I Love You and You and You", während das Musicalhaus die Rockoper "Mohammed Muslim Superstar" aus der Feder von Andrew Lloyd Salman präsentiert. Puh, hier ist ganz schön was los. Wohin gehen? Zunächst befolge ich einen Geheimtipp meines Gastgebers: ein Bummel durch das Studenten- und Künstlerviertel, liebevoll Salmanhattan genannt. Junge Leute hocken hier in den Straßencafés und diskutieren über Peter Handke und Overtourism.  Am Ende entscheide ich mich für eine Live-Amputation der Hand eines namhaften Theaterkritikers. Restkarten gibt es an der Abendkasse.

In der Wüste kommt man endlich einmal ganz zu sich selbst

Nach zwei Tagen möchte ich endlich die Schönheit der viel gepriesenen saudischen Landschaft kennenlernen. Ich erwäge, mir einen Mietwagen zu nehmen, habe aber keine Vollmacht meines Vaters dabei. Die freudige Überraschung: Mein Gastgeber Amir verkündet, mich persönlich durch die endlose Ölnis zu kutschieren, er habe heute wie auch sonst nichts anderweitiges vor. In seinem Persischen Golf GTI  brettern wir stundenlang durch das Umland, über Hochplateaus und geheimnisvolle Geröllwüsten. Armir schlägt ein Must-see nach dem anderen vor: Wie wäre es mit Mohammeds Grundschule, dem neuen Outlet-Store mit pakistanischen Gastarbeitern oder der Tauschbörse für abgelegte Frauen? Das Leben sei nun mal ein Geben und Jemen! Apropos, ob ich noch einen Kurztrip ins nahegelegene Bruderland wolle? Doch dafür habe ich keine Zeit, es lockt ja noch das Rote Meer und der Pflichtbesuch einer brennenden Ölquelle. Ich verspreche jedoch, wiederzukommen, gleich nächsten Sommer. Per Interrrail, einem Pauschalangebot der "Zeit"-Bildungsreisen oder auf eigene Panzerfaust. 

Wadaa salmaan!

Ella Carina Werner

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg