Humorkritik | Oktober 2024
Oktober 2024
»Well, just being stupid and politically incorrect doesn’t work. You can be politically incorrect if you’re smart.«
Mel Brooks
Uncommon People
In »Saltburn«, einer Thriller-Komödie der Schauspielerin und Regisseurin Emerald Fennell, geht es um ganz normale Briten. Sie bewohnen Schlösser, feiern rauschende Feste, und ihre scheinbaren Affekt-Taten entpuppen sich als Ergebnis durchtriebener Pläne. Der zurückhaltende Oliver studiert dank eines Stipendiums in Oxford. Zuhause hat er es nicht leicht. Deswegen lädt sein Kommilitone Felix ihn in den Semesterferien auf das Schloss seiner exzentrischen Familie ein. Oliver nimmt ein paar kalte Schultern in Kauf und findet langsam, aber sicher seinen Platz in der Welt seines Upper-Class-Kumpels. Dies die Exposition für allerlei Schreckliches, das sich auf dem Landgut noch ereignen wird.
Nach der Deutschland-Premiere von »Saltburn« auf Amazon Prime Anfang des Jahres schieden sich die Geister. Die einen lobten das opulente Kostüm- und Szenenbild, den anderen drehte sich vor lauter Ekel der Magen um oder sie fanden den ganzen Film zu platt – etwa, weil darin jemand das Badewasser (inklusive Ejakulat) einer anderen Figur schlürft, um Besitz von ihr zu ergreifen, oder auch Menstruationsblut. Der Rezensent von Bayern2 »musste sich fast übergeben« bei all dem Grausigen auf Schloss Saltburn. Dabei ist Geschmacklosigkeit ein festes Motiv der Komik, besonders der angeblich so schwarzen britischen, sei es der Verzehr abstoßender Dinge oder Grabschändung: Schon Monty Python inszenierten Sargrennen, Sargtänze und das Erbrechen der eigenen verspeisten Mutter. Die Taz wiederum war enttäuscht, weil der Film ihre Erwartungen an Klassengesellschaftskritik nicht erfüllte. Klassen sind aber nur Anlass und Struktur von »Saltburn«, eigentliches Thema des Films ist Obsession, etwa die Besessenheit vom Reichtum anderer. Komik entsteht durch das exzessive Distinktionsverhalten der Figuren, das immer wieder skurrile Situationen schafft: Während Felix’ Mutter Elspeth sich in einem Sonnenstuhl im Schlossgarten räkelt, berichtet sie nicht nur beiläufig vom Tod ihrer verlotterten Freundin – »She’d do anything for attention« –, sondern brüstet sich auch damit, während ihrer Modelkarriere Umgang mit den Mitgliedern der Rockband Pulp gepflegt zu haben. (Im Pulp-Song »Common People«, 1995, geht es bezeichnenderweise um eine Tochter aus gutem Hause, die sich Kicks verschafft, indem sie sich in Spelunken mit abgerissenen Musikern einlässt.)
Kulturelle Elemente werden in »Saltburn« genussvoll vermischt und dick aufgetragen: Auf seiner Geburtstagsfeier erscheint Oliver als Faun mit Geweih und weißem Jackett ohne Hemd darunter, der reiche, schöne Felix trägt – als working class verkleidet – Jeans, weißes Unterhemd und auf dem Rücken goldene Engelsflügel. Mit Freude an Übertreibung und Dramatik werden auch die Boshaftigkeiten inszeniert, mit denen sich die Figuren ihre jeweilige Position im Klassengefüge sichern: Von einem Verwandten Felix’ wird Oliver genötigt, die Pet Shop Boys mit der Zeile »I love you, you pay my rent« vor einer Abendgesellschaft vorzutragen, was dieser ihm noch am selben Abend heimzahlt. »Saltburn« ist keine aufrührende Klassenkampf-Erzählung und keine reine Komödie, sondern schillernde Unterhaltung mit sehr überzeugendem Schauspiel. Das Einzige, was unnötig eindeutig geraten ist, ist die Auflösung. Wer sich davon nicht entmutigen lässt, wird mit einer grandios choreografierten Schlussszene belohnt. Und dass die Frage nach gutem und schlechtem Geschmack nicht nur eine zeitverhaftete, sondern manchmal auch eine des richtigen Marketing- und Merchandise-Riechers ist, beweist sich gerade an dem berüchtigten Badewasser. Mittlerweile sollten die Duftkerzen der Sorte »Jacob Elordi’s Bathwater« auch wieder zu kriegen sein. Vielleicht als hübsches (Vor-)Weihnachtsgeschenk?