Humorkritik | November 2024
November 2024
»Der Witz ist das einzige Ding, was um so weniger gefunden wird, je eifriger man es sucht.«
Friedrich Hebbel
Garantiert schwindelfrei
Da das amerikanische und das deutsche Fernsehen nicht ruhen, bevor nicht jeder Weiler sein eigenes »CSI«-Spinoff und jede ostfriesische Insel ihre Regionalkrimireihe hat, tummeln sich im Programm bereits jetzt zu viele Detektivserien in diversen Verwesungsstadien. Dass mich aus dem Überangebot zur Abwechslung etwas prächtig unterhalten hat, ist das Verdienst des gewitzten Regisseurs Rian Johnson, der mit seinem Filmdebüt »Brick« (2005) dem film noir frische Farbe verpasst hat und im Dreijahrestakt die »Knives out«-Mitratekrimis um Daniel Craigs exzentrischen Ermittler Benoit Blanc produziert. Dazwischengeschoben hat Johnson die Serie »Poker Face« (2023), die nun auch im deutschen Streamingangebot (Prime) zu finden ist.
Originell ist das Ganze zunächst nur durch seine Paarung zweier Klassiker: Die Detektivin ist eine Aussteigerin, die wie einst Dr. Richard Kimble (»Auf der Flucht«) auf der Flucht ist und gerade lange genug in jedem Kaff verweilt, um dort der begriffsstutzigen Polizei unter die Arme zu greifen; erzählt wird das Ganze nach der »Columbo«-Formel, den Täter von Beginn an zu enthüllen, um dann umso mehr Spannung aus dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Spürnase und Schuft zu ziehen. Schlucken muss man darüber hinaus eine bizarre Prämisse, mit der Johnson einen Einfall aus der ersten Folge von »Knives Out« variiert: Dort überfiel die herzensgute Mordverdächtige Marta jedes Mal der Brechreiz, wenn sie die Unwahrheit erzählen musste; in »Poker Face« verfügt die Detektivin Charlie Cale über die Gabe, Lügen mit hundertprozentiger Sicherheit zu erkennen.
Aus dieser Kombination von magischem Realismus und Omas Flimmerkiste entsteht eine kurzweilige Erzählung voll komischer Situationen. So wird die Wissensdiskrepanz zwischen Zuschauer, Täter und Ermittlerin immer wieder geschickt variiert; auch die Episodenstruktur stellen Johnson & Co. andauernd auf den Kopf. Die Milieus, in die sich Charlie verläuft, werfen ebenfalls Gags ab: So jobbt sie im Casino, geht mit einer Metal-Band auf Tour, legt sich mit dem Inhaber eines Grillimperiums an, pflegt zwei schrullige Alt-Hippies und kellnert im Dinner-Theater, wo sie die Verdächtigen während der Vorstellung im Takt ihrer Auftritte und Abgänge befragt. Diese Mischung aus Mordfall, Typenkomödie und Farce hat mir denn auch wesentlich mehr Freude bereitet als das ewige »Wo waren Sie gestern zwischen fünf und halb neun?« der Konkurrenz, zumal das Ganze bestens von Natasha Lyonnes lässiger Performance zusammengehalten wird. Von deren frühvergreister Reibeisenstimme kann die deutsche Synchronisation leider nur eine Ahnung vermitteln; aber röcheln Sie doch einfach selbst ein bisschen mit.