Humorkritik | August 2024

August 2024

»Es gibt einen satirischen Imperativ: Man verarscht die Nashörner nicht vor einem Großwildjägerpublikum, man kritisiert nicht die Konsumverweigerer in der Shopping Mall, man rechnet den naiven Philanthropen nicht im Klub der Misanthropen ihre Widersprüche vor.«
Richard Schuberth

Fanpost

Aus Mainz schreibt mir Robert von Cube: »Witz in Musik wird man mit humorkritischen Analysen von Pointendichte, Timing oder Fallhöhe oft nicht gerecht. Jedenfalls, wenn man von musikalischen Kabarett- und Comedydarbietungen absieht und den Blick auf Popmusik im weiteren Sinne lenkt. Dabei ist eine bestimmte Art des Humors – und wann sie eingesetzt wird – für das Lebensgefühl einer Subkultur durchaus prägend. Während etwa bei Punk provokanter Sauf- und Gewalthumor den Ton angibt, finden wir bei Indie der Hamburger Schule eher die ironische Distanzierung von allem und jedem, auch den eigenen Inhalten. Zwischen Fremdwörtern und Kalendersprüchen wird man stets im Unklaren gelassen, ob das Gehörte jetzt gerade ernst zu nehmen ist oder gerade nicht.

Die unnahbare Coolness von Rockstars ist aber bei vielen jungen Leuten gar nicht mehr das Ideal, und damit werden auch die Texte offener und optimistischer. So singt etwa die Mannheimer Band ok.danke.tschüss in ihrer aktuellen Single ›Das neue Normal‹ ganz unironisch von einer Welt, in der es normal ist, als Frau nicht belästigt oder als Schwarzer nicht diskriminiert zu werden. Eine Punkband hätte hier vielleicht Gewaltfantasien gegen die Täter eingebaut oder mit drastischen Darstellungen provoziert. Hamburger-Schule-Indie hätte die Botschaft uneindeutig gemacht und offen gelassen, ob es sich um einen naiven Wunsch oder ein erklärtes Ziel handelt.

ok.danke.tschüss sind oft lustig, etwa in ›Vincent van Gogh‹: ›Komm mit auf die Kunstausstellung / Das wird Spaß machen, hast du gesagt / Aber jetzt weiß ich / Du hast Michelangelogen / Au, Häppchen und Champagner/ Bin in deinem Bann gefangen, ja / Aber anfassen darf man dich nicht / Du hast einen Schlips an / Und ich trinke mir ’nen Schwips an / Baby, interpretier’ doch mal mich! / Ich hab ein Ohr mehr als Vincent van Gogh / Und du sagst, ich versteh’ Kunst nicht?‹

Wenn sie sich vielleicht nicht auf Kunst verstehen, so doch auf Wortspiele: In ›Zuckerbaby‹, in welchem der Puderzucker als Metapher für Drogen herhält, wird das oftmals Unausweichliche der Sucht mit ›die Zuckerwürfel sind gefallen‹ umschrieben. In ›Pfeffer‹ haben wir es mit allerhand kulinarischen Bildern zu tun, und so wird der besungene Streit folgerichtig in Tupperware gepackt – ›dann ist er frisch, wenn du ihn auftaust‹.

Bei der Betrachtung von Humor ist es aber manchmal auch interessant zu sehen, wo er nicht eingesetzt wird. Schwächen, Wünsche oder Krankheiten unverblümt an- oder auszusprechen (etwa in ›Leukämie, du Bitch‹, einem Song, der von der zum Glück überstandenen Krebserkrankung der Sängerin Eva Sauter handelt), ohne sich auf den doppelten Boden der Ironie zu verlassen, ist typisch für eine Generation, die gelernt hat, auf die Solidarität ihrer Mitstreiter zu vertrauen.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Halt, Stromanbieter Ostrom!

Du kannst uns noch so oft auf Insta mit den vielen »reasons to join ostrom« kommen, unsere Treue gehört dem einzig wahren Rom: Westrom!

In diesem Sinne vale und semper fi von Deiner Imperialtraditionalistin Titanic

 Unzufrieden, »Deutschlandfunk Kultur«,

sind einer Deiner Instagram-Kacheln zufolge knapp 20 Prozent der Jugendlichen. Vor allem Zukunftsängste machen ihnen zu schaffen. Als serviceorientierter Wohlfühlsender hast Du aber direkt eine praktische Lösung parat, wie den jungen Leuten geholfen werden könnte. Und zwar, indem man ihnen in der Schule sogenannte Selbstregulationskompetenzen beibringe. Gut geeignet seien demnach zum Beispiel Yoga und Atemübungen.

Die aufkommende Panik einfach wegmeditieren? Zugegeben: Bei der Hilflosigkeit, die beim Gedanken an Verarmung, Klimakatastrophe und Faschismus aufkommt, keine abwegige Idee. Trotzdem schiene uns »Selbstregulation« ein irgendwie spaßigeres Konzept zu sein, wenn Du, Deutschlandfunk, es den Jugendlichen anhand der Konten von Milliardär/innen oder anhand leerstehender Luxuslofts beibrächtest!

Deine Revoluzzerkids von Titanic

 Na, lange nichts von Ihnen gehört, Seehofer, Sie alte Schabracke!

Na, lange nichts von Ihnen gehört, Seehofer, Sie alte Schabracke!

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung geben Sie Ihrer ehemaligen Chefin eine Mitschuld am Erfolg der AfD: »Ich finde, dass Angela Merkel sich keinen Zacken aus der Krone brechen würde, wenn sie mal erklärt: In der Migrationsfrage habe ich nicht jeden Tag richtig gelegen.« Nein, verkündeten Sie außerdem generös, Sie hätten »keine Triumphgefühle« ihr gegenüber, nur weil jetzt in der Flüchtlingspolitik »sehr viel von dem getan wird, was ich schon vor Jahren gefordert habe – und dafür von einigen sogar als Rechtsextremist beschimpft wurde«. Stattdessen spürten Sie nur »Genugtuung nach innen«. Natürlich: Stille, nach innen gerichtete Genugtuung posaunt man bekanntlich in die Süddeutsche … Aber wäre es nicht so oder so treffender gewesen, Sie hätten von einem »inneren Reichsparteitag« gesprochen?

Fragt Sie Ihre sprachpsychologische Praxis auf der Titanic

 Mal wieder typisch, Bundespolizei!

Du testest gerade den Einsatz von Tasern, hast Dir in einem vertraulichen Bericht aber eingestehen müssen, dass diese ihre Mannstoppwirkung oder gleich das ganze Ziel gerne mal verfehlen. Ein Grund für das Versagen der Taser ist wohl: eine »offene Softshell-Jacke«. Und das ist ja mal wieder typisch! Wer muss sich um Polizeigewalt in Taserform also keine Sorgen machen? Gutsituierte Krautwurst-Teutonen in ihren ewigen Softshell-Jacken! Komm, Bundespolizei, Rassismus kannst Du doch auch weniger auffällig, weiß aus anders gekleideter Quelle

Deine Titanic

 Und aber apropos, brigitte.de!

»Diese Angewohnheit schadet deinem Gehirn mehr, als du denkst« – eigentlich ist uns das als Vorlage zu billig. Aber schwer fällt uns der Verzicht schon!

Gewohnheitsmäßig nicht Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Sprachchanges

Ist es Ihnen auch schon aufgefallen? Wir verwenden in der deutschen Sprache immer öfter Anglicisms.

Jürgen Miedl

 Ungenießbar

Zu Beginn der kalten Jahreszeit wird einem ja wieder überall Tee angeboten. Ich kann das Zeug einfach nicht trinken. Egal wie viel ich von dem brühheißen Wasser nachgieße, ich schaffe es einfach nicht, den Beutel im Ganzen herunterzuschlucken.

Leo Riegel

 Schattenseite des Longevity-Trends

Ob ich mit fast 60 noch mal Vater werden sollte? Puh, wenn das Kind 100 ist, bin ich schon 160!

Martin Weidauer

 Krass, krasser, Kasse

Wenn ich im Alltag mal wieder einen Kick suche, gehe ich kurz nach Feierabend oder samstags bei einem Discounter einkaufen. Finde ich dort eine richtig lange Kassenschlange vor, stelle ich mich nicht etwa an, sondern lege meine Einkäufe auf die nicht besetzte Kasse daneben. Hier beginnt der Nervenkitzel: Werde ich wie der letzte Idiot erfolglos auf die Öffnung der neuen Kasse warten oder wie ein allwissender Gott über den gewöhnlichen Einkäufern schweben? Mehr Spannung geht nicht. Anfängern rate ich allerdings, sich erst nach dem Schrillen, mit dem im Supermarkt Kollegen gerufen werden, an der leeren Kasse anzustellen. So kann man sich mit ein paar sicheren Erfolgen langsam an das freie Anstellen herantasten.

Karl Franz

 Bibelfest

Ich habe letztens geträumt, dass ich Teil einer christlichen Punk-Band war. Unser größter Hit: »Jesus muss sterben, damit wir leben können«.

David Sowka

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 28.10.:

    Das Schweizer Nachrichtenportal Watson preist den aktuellen Titel der Novemberausgabe im "Chat-Futter" an.

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

Titanic unterwegs
05.11.2024 Sylt, Feuerwache Tinnum Gerhard Henschel
05.11.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview«
07.11.2024 Hamburg, Centralkomitee TITANIC-Boygroup mit Gsella, Sonneborn und Schmitt