Humorkritik | Februar 2021

Februar 2021

Tom verfluchte sich dafür, dass er heute so takt- und humorlos gewesen war. Alles, was er mit tödlichem Ernst betrieb, ging unweigerlich daneben.
Patricia Highsmith, »Der talentierte Mr. Ripley«

Onkel Witzmann

Glauben Sie’s, mir geht sie selbst am allermeisten auf den Zeiger: die endlose Satiredebatte. Die jüngst einen neuen Höhepunkt erreichte, nämlich einen Text beim Fachmagazin vice.de mit dem Titel »Wenn Sonneborn nicht bald aufhört, wird er zum peinlichen Onkel auf der Familienfeier«. Anlass: ein vom Kollegen Sonneborn auf Twitter geteiltes Shirt seiner PARTEI mit dem Aufdruck »AU WIEDELSEHERN, AMLERIKA! abem Sie Guter FrLug runtel! Printed in China für Die PARTEI«. Dazu der starke Gedanke von Vice-Staff-Writer Robert Hofmann: »Es spielt keine Rolle, ob ein Absender seine Aussage diskriminierend meint. Was zählt, ist ausschließlich, ob er damit jemanden verletzt.« Wenn es das ist, was ausschließlich (!) zählt bei egal welcher Form von Kunst, dann aber gute Nacht, Marie. »Der Witz, um den es geht? Asiaten können kein ›R‹ aussprechen. That’s it, das ist der Witz.« Und ein paar Sätze weiter: »Ein Verweis auf Trump, das Ende dessen Präsidentschaft und die Tatsache, dass sein Merchandise wie zum Beispiel Flaggen auch in China hergestellt wird.« Abgesehen davon, dass ich mich hier von Satzbau und Grammatik geradezu schwerverletzt fühle: Das Kunststück, eine Behauptung aufzustellen (»That’s it«) und ihr noch im selben Absatz zu widersprechen, weil es eben doch einen Anlass und eine weitere Ebene gibt, muss man erst einmal vollbringen. »Aber manchmal dient Rassismus dazu, einer – legitimen – Aussage einen Witz beizufügen, weil man ein Witzmann ist.« Hier verstehe ich leider nur ungefähr, was das bedeuten soll. Der Rassismus kommt für meinen Geschmack aber ein bisschen zu gut weg, wenn er legitime Aussagen angeblich auch noch lustig macht.

Eingangs sagte ich, dass mir die Satiredebatte auf den Zeiger gehe. Warum? Nicht, weil sie geführt, sondern weil fast nur Käse geschrieben wird. Online-Millennials bei Vice, aber auch alte Käsecracker wie z.B. Hilmar Klute – sie alle haben keinen Schimmer. Bei Hofmann kommt noch die Arroganz der Jugend hinzu, die ich ja grundsätzlich begrüße, aber leisten muss man sie sich können: »Wenn sich Sonneborn also bei der großen Pressekonferenz zum Übertritt eines SPD-Bundestagsabgeordneten zur PARTEI freut, dass jetzt zwei PARTEI-Mitglieder den Bundestag stürmen würden, dann ist das der alte Gag von der Underdog-Partei, die sich mit Gewalt nimmt, was sie will – mit einem kleinen Seitenhieb auf die Nazi-Zeit (…) Dass ein paar Wochen vorher aber tatsächlich Rechtsextreme den Bundestag stürmen wollten, zeigt, dass er mit seinen Gags mittlerweile selbst zur Karikatur geworden ist.« Nein, dann ist das klassisch ein Gag über genau den Anlass, der hier angeführt wird. Indem Hofmann Sonneborn »Karikatur« nennt, macht er übrigens selbst auf die korrekte Reihenfolge aufmerksam – denn dass die Überzeichnung dem Vorbild vorausgehen sollte, können selbst diejenigen Begriffswirrköpfe nicht ernst meinen, die immer von »Realsatire« schwafeln.

Wie soll man aber über Rassismus und Satire diskutieren, wenn Alt und Jung selbst zu einfachen Nazi-Gags nur Unfug einfällt? Hofmann fordert von Satirikern ein »Gespür für die aktuelle Zeit« – es braucht aber, auch beim Kritiker, mehr als Gespür und ungutes Gefühl. Auch wenn der peinliche Onkel sein T-Shirt inzwischen selber in die Altkleidersammlung getragen hat.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg