Humorkritik | Februar 2020

Februar 2020

Aber das Leben ist im Grunde so fatal ernsthaft, daß es nicht zu ertragen wäre ohne solche Verbindung des Pathetischen mit dem Komischen. Das wissen unsere Poeten.
Heinrich Heine

Der große Abtrockner

Wäre er nicht 2008 verstorben, wäre der Lyriker, Essayist und Parodist Peter Rühmkorf im letzten Herbst 90 Jahre alt geworden. Anlässlich dessen hat die Arno-Schmidt-Stiftung den auch von mir mehrfach Gepriesenen gleich zweifach geehrt: mit einer Buchausgabe und einer Ausstellung, und beides ist zu empfehlen. Zum einen ist da eine ziegelsteinschwere Faksimile-Ausgabe mit dem kompletten Nachdruck der Zeitschrift »Zwischen den Kriegen«, 1952 bis 1956 von Rühmkorf und seinem Kompagnon Werner Riegel redaktionell verantwortet. Die einst in Handarbeit gedruckte Kleinstzeitschrift (Auflage: 150 Stück) war damals so progressiv, experimentierfreudig und scharfzüngig wie keine zweite: Die Aufsätze und Gedichte der 26 Ausgaben geben sich offen antifaschistisch und antimilitärisch, benennen die Greuel der Nazizeit und setzen dem naturlyrischen und symbolreichen Geraune der etablierten Nachkriegsdichter eine nüchterne Diesseitigkeit entgegen (»Nie wieder eine Weltanschauung. / Nur noch Geschlechtsverkehr und Verdauung.«). Herrlich die »Feindespflege«, die gegen alles und jeden betrieben wird, etwa gegen die Gruppe 47, die Rühmkorf als »kloakenständische Affenärsche« tituliert – wobei es sich um einen Vertipper Riegels handelt, hatte doch Rühmkorf, wie man im Nachwort des im Wallstein Verlag herausgegebenen Buches erfährt, im handschriftlichen Manuskript eigentlich »neuabendländische Affenärsche« geschrieben. Erheiternd auch die großzügig eingestreuten »Pennälerscherze« (Rühmkorf) und das ironische Spiel mit dem Leser: »Kritisieren Sie uns in Grund und Boden, das kann nur gut sein für Sie, dabei werden Sie langsam begreifen, daß Sie alt, verbraucht und abgetan sind.« Von eigener Komik sind die vielen Pseudonyme, die sich Rühmkorf und Riegel verpassten, um der Zeitschrift mit einem Stamm freier Mitarbeiter mehr Gewicht zu verleihen. U.a. schrieb Rühmkorf als Leo Doletzki, den er in Nr. 9 wieder sterben ließ und mit einem sentimentalen Nachruf bedachte (»die Finger lagen locker und entkrampft auf der karierten Bettdecke«). Ein folgenreicherer Tod war 1956 der von Werner Riegel, wodurch die Zeitschrift »gleich fünf Mitarbeiter« verlor und von Rühmkorf eingestellt wurde.

Dass letzterer noch jahrzehntelang weiterschreiben und -scherzen konnte, zeigt »Laß leuchten!«, die erste große Rühmkorf-Ausstellung, zu finden im Altonaer Museum in Hamburg. Darin: Fotos, Alltagsgegenstände (Krokodil-Stofftier, Kaffeetasse mit Brüsten), Videos, Tonaufnahmen und Briefe, etwa jener, in dem er auf einer USA-Reise seine erste Marihuana-Erfahrung beschreibt (»Brechbohnen knacken wie Urzeitfarne im Maul«). Besonders schön die vielen profanen Zeugnisse des Rühmkorfschen Alltags, etwa der TV-Mitschnitt eines Frauenmagazins von 1984, in dem der spätere Büchner-Preisträger und seine Mutter über Hausarbeit diskutieren. Als letztere anmerkt, ihr Sohn habe kaum je einen Finger krumm gemacht, korrigiert dieser beleidigt: »Aber ich war doch immer ein großer Abtrockner!« Bis 20. Juli geht die hübsche Ausstellung noch, bei der sich hoffentlich auch einmal mehr Interessierte sehen lassen als an meinem Besuchstag (null).

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick