Humorkritik | Juni 2019
Juni 2019
»Ich überlegte, ob Jahre engen Zusammenlebens sogar bei einer Primärreaktion wie Lachen einen gemeinsamen Ton erzeugen können.«
Siri Hustvedt, »Die unsichtbare Frau«
Die Knallschote
Als ich neulich in meiner Filmothek blätterte, entdeckte ich eine Kuriosität, einen französischen Farbfilm aus dem Jahre 1954 mit dem Titel: »Ah! les belles bacchantes«. Louis de Funès, der in den frühen fünfziger Jahren in Dutzenden von Filmen kleinere und kleinste Rollen spielte, gibt hier einen Sittenpolizisten, der hinter dem klassischen Titel einer Revue allerlei Schweinkram vermutet – zu Recht, wie sich herausstellt.
Mehr Handlung braucht der Film nicht, ein paar Stränge werden noch geknüpft, zerfasern aber rasch und restlos. Einziger Schauplatz ist – vom kurzen Opening im Sittenpolizeirevier abgesehen – ein Revuetheater. Als Tänzerinnen wirken »Bluebell Girls« aus dem Pariser »Lido« mit, die Darsteller gehören fast alle einer Truppe von Musikclowns an, die sich »Les Branquignols« nannte. Ihr Gründer Robert Dhéry schrieb das Drehbuch und spielt selbst den Regisseur seiner Revue. Eine Filmregie findet erkennbar nicht statt.
Die Szenen sind komisch gemeint, sie streifen oft das Absurde und Groteske, verzichten meist auf eine Schlusspointe und bleiben stets folgenlos. So geben sie dem Ganzen einen Hauch von dadaistischer Anarchie; anders als deutsche Revuefilme dieser prüden Zeit wären die schönen Bacchantinnen vorsichtig vergleichbar dem amerikanischen Glanzstück »Hellzapoppin’« (1941), auch wenn ihnen dieser Vergleich gar nicht gut bekäme. Die Tanzszenen sind dafür schön bunt und erstaunlich freizügig, die Akteure leider sehr unterschiedlich begabt: Louis de Funès bleibt in diesem Ensemble oft nichts übrig als der Versuch, grundlos gackernd wie ein Huhn die Abläufe zu stören. Einmal wenigstens darf er am Klavier zeigen, dass er als Pianist angefangen hat.
Es gibt zwei deutsche Fassungen von dieser Rarität. Bevor de Funès so berühmt wurde, dass seine Filme in Deutschland seinen Namen im Titel tragen mussten (in diesem Fall: »Louis, die Knallschote«), hieß der Film »Das Tollste vom Tollen« und war 1956, als die deutsche Fassung herauskam, knapp zwanzig Minuten kürzer als das Original. Das dürfte zeitlich ungefähr dem Anteil von Bildern entsprechen, auf denen mehr oder weniger entkleidete Frauen zu sehen waren – offensichtlich damals der Hauptgrund, sich den Film anzuschauen. Ah, die unschuldigen Zeiten!