Humorkritik | Dezember 2019

Dezember 2019

Ein Scherz hat oft gefruchtet, wo der Ernst nur Widerstand hervorzurufen pflegte.
August von Platen

Komische Kurzgeschichte

Über sich selbst zu stolpern, an seinen Unzulänglichkeiten zu scheitern und sich gleichzeitig gewaltig zu überschätzen: das ist der Stoff, aus dem Komik entsteht. Das machte, bis professionelle Autoren das Geschäft übernahmen, auch die Autobiographien von Prominenten oft unfreiwillig komisch; seien es nun Udo Jürgens, der in den 80ern keine schmutzige Geschichte unerwähnt ließ, Lothar Matthäus oder auch »Mr. Telekom« Markus Majowski, der mit »Markus, glaubst du an den lieben Gott?« auch noch einen Verlag gefunden hat, der ihm seinen Größenwahn unredigiert durchgehen ließ. Solche Perlen werden seltener.

Gänzlich unbekannt sind allerdings unbeabsichtigt komische Autobiographien von Politikern. Deren Leben besteht halt doch darin, mit Sprache soweit umgehen zu können, dass ihnen niemand die Agenda, das »Framing« oder, auf Wienerisch, die »Message Control« kaputtmacht – weshalb man der österreichischen Journalistin Judith Grohmann dankbar sein muss, dass es mit ihrem Buch über den jüngsten Alt- (und nun bald Wieder-)Kanzler der Welt, Sebastian Kurz, nun immerhin eine komische Bio-, wenn schon nicht Autobiographie gibt.

»Sonnenstrahlen bedeckten mein Gesicht, während ich hastig über das steinerne Pflaster auf dem Wiener Minoritenplatz huschte.« Was vorbildlich groschenromanhaft beginnt, wird schnell zu einem Protokoll der Nichtigkeiten: »Wir tauschten uns ein wenig über unseren beruflichen Alltag aus und verstanden uns sehr gut. In einer Pause beschloss ich, noch einen Schluck Kaffee zu trinken«, und gerät schließlich zum Dauerfeuer stilistischer Platzpatronen: »Mir fiel auf, dass mein Gegenüber zwar antworten wollte, er aber stattdessen begann, die offene Türe, die sich gleich rechts neben uns befand, mit seinen Augen zu fixieren.« Statt etwa mit seinen Hoden oder dem Hinterkopf. Die innere Nähe zum Gegenstand macht aus dem Werk mitunter einen schmachtenden Liebesroman, in dessen Mittelpunkt nicht nur Kurz steht (»›Ist er es wirklich?‹, dachte ich mir. Ich sah lediglich einen Teil eines Kopfes, doch der kam mir bekannt vor«), sondern ganz Österreich und sein Staatsapparat: »Sollte es Österreich im Jahr 2017 mithilfe der Geschicke des jungen Bundeskanzlers gelingen, wieder zu einem angesehenen Entscheidungspartner in Europa zu werden – vielleicht sogar zum wichtigsten Entscheidungspartner in Europa – so wie es einst mit den Königen der Habsburger Monarchie der Fall war …« (Kleiner Spoiler: Nein, sollte es nicht.)

Freilich, es glänzt insbesondere das erste Drittel des Werks. Denn die frühen Jahre Kurz’ (»All das geschah im Laufe des Jahres 1986 … Und dieses spannende Jahr war erst acht Monate alt, als Sebastian Kurz in Wien geboren wurde«), die hübsch ausgeschmückt erzählte Kindheit, strahlen am hellsten, elektrifiziert von offenbar den Erzählungen der Eltern (»Und dann kam der Tag der Geburt«). Seine Jugendjahre und das pragmatische, zwar marketingbegeisterte, aber vollkommen haltungsfreie politische Schaffen sind dann schon weniger komisch; von den »späten« Jahren zu schweigen. Immerhin, von einem Treffen mit Trump heißt es: »Die beiden Männer schmunzelten auch mehrmals.« Wer da hätte dabeisein können!

Aber allein für die ersten 50, 60 Seiten lohnt sich die Anschaffung von »Sebastian Kurz. Die offizielle Biographie« (Finanzbuch Verlag), die nicht weniger als ein Sittengemälde Österreichs ist: eines Landes, in dem weder Politiker noch Journalisten an »mangelnder Selbstüberschätzung« (Sophie Passmann) leiden.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg