Humorkritik | April 2019

April 2019

Oft ist eine wortlose Stunde die bezauberndste von allen;
brillanter Witz kann unbeschreiblich anödend sein.
Virginia Woolf, »Orlando«

Siegreicher Unsinn

Anzuzeigen ist auch hier ein Fall, bei dem ich mich für ein Werk nicht wegen seiner Qualität, sondern primär wegen seiner Entstehungsbedingungen interessiere sowie des damit verbundenen mentalen Zustands seiner Verfasser. Dass sich vier Autoren, die wohlbekannten Dichter E.T.A. Hoffmann, Adelbert von Chamisso, Friedrich de la Motte Fouqué und der weniger bekannte Karl Wilhelm Salice-Contessa, anno 1815 anschickten, gemeinsam ein Buch zu schreiben, »zu dem ein jeder nach der Reihe die einzelnen Kapitel liefern sollte« (Hoffmann), war in der Romantik kein ungewöhnliches Spiel – und vermutlich kam es auch nicht selten vor, dass so etwas scheiterte. Möglich, dass in unserm Fall, dem des »Romans des Freiherrn von Vieren« (jetzt bei Dtv, zuvor 2016 beim Verlag Ripperger & Kremers erschienen), das Scheitern sogar der Sinn des ganzen angezettelten Unsinns war. Denn offensichtlich bestand ein Reiz darin, den Kollegen Schwierigkeiten einzubrocken. Ich stelle mir vor, wie beispielsweise Hoffmann das vierte Kapitel zugestellt bekommt, welches Salice-Contessa geschrieben hat, es liest und verzweifelt denkt: Um Himmels willen, was soll ich denn daraus machen? Oder aber sich freudig die Hände reibt und darauf sinnt, das halbwegs sinnhaft gestrickte Plotgeflecht mit einem Federstrich zunichtezumachen und dem Nachfolger ein ordentliches Problem zu hinterlassen. Aussagen Hoffmanns deuten darauf hin, dass mich meine Vorstellung nicht trügt: »Chamisso hat einen alten Mann mit sieben Stichen ermordet, und ich habe jetzt den verteufelten Criminalprozeß am Halse!« berichtet er, und ihm schwant, dass »selbst bei verabredetem Plan verworrenes baroques Zeug herauskommen« wird. Kein Wunder, dass der Roman Fragment geblieben ist – aber was für eins: eine wüste Kolportage, in der allerlei aufgeboten wird, was zum romantischen Repertoire gehört. Es gibt Mord und Totschlag, Hexenwerk und zarte Liebe, Verwechslungen und Doppelgängerei, Burleske und Grauen, Elemente des Märchens und des Trivialromans, und es kracht und knirscht im Erzählgebälk, dass es eine parodistische Art hat: »Wirklich auch säuselte bald ein erquickender Schlummer auf des Jünglings verweinte Augen nieder.«

Eine erquickende Beruhigung säuselte auf mich nieder, als ich dem Nachwort des Herausgebers Markus Bernauer entnahm, dass die Irritation, die sich meiner bemächtigte (und Dir, Leserin und Leser, wird es nicht anders gehen), romantisches Anti-Vernunft-Programm war. »Müde in der Seele und verwirrt im Geiste sah Eduard stumm und starr aus dem stark gegitterten Fenster des Kerkers auf die freie Straße hinaus, und in derselben Stellung stand neben ihm sein vermeinter Freund, als dieser noch einmal auf der Straße erschien und, von ungefähr die Augen hinaufwerfend, sich selber am Fenster des Turmes erblickte.« So repräsentativ kryptisch beginnt zum Exempel das von Chamisso zu verantwortende Kapitel sechs, in welchem sich einer der Helden, ein gewisser George (der andernorts auch Georg heißt) verzweifelt fragt: »Wer sind sie und wer bin ich?«, denn siehe: Er »verstand nichts und machte ein sehr albernes Gesicht dazu«.

»Wieder scheitern. Besser scheitern«, hat Beckett bekanntlich geschrieben. »Wieder scheitern. Lustiger scheitern«, könnte das Motto des »Romans des Freiherrn von Vieren« sein. Ein solches Scheitern stünde unserer optimierungsverbissenen Gesellschaft in toto ganz gut zu Gesicht. Zumindest gefällt es dem Humorkritiker, der sich denn auch gern der von Chamisso formulierten Quintessenz des Romanversuchs anschließt: »Unsinn, du siegst.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick