Humorkritik | Oktober 2018

Oktober 2018

Dann kommen wir mit unserem dänischen Humor und kleinen dummdreisten Bemerkungen.
Königin Margrethe II.

Spiel’s noch einmal, Frank

Ehe ich das verehrte Publikum mit einer neuen Hymne auf Frank Schulz langweile, dessen Erzählungsband »Anmut und Feigheit« soeben bei Galiani Berlin erschienen ist; ehe ich wiederum Überlegungen anstelle, warum die Nichtswürdigen und Trullas ihre Büchnerpreise kriegen und die Richtigen (Schulz) nicht; ehe ich also das sage, was ich mit wachsender Inbrunst schon seit Jahren sage: dass hier Einzigartigkeit waltet und dass, will man in Rang und Namen denken, vielleicht nicht von geradezu einsamer, aber doch von Spitzen-, ja Referenzklasse zu reden ist – bevor ich also zur Gebetsmühle greife, will ich lieber der hoffentlich langsam in Fahrt kommenden Schulz-Forschung eine Hypothese an die Hand geben.

Die wäre, dass sich auf S. 19 des »Prosa-Albums über Leidenschaft« das Geheimnis der Schulzschen Zauberprosa entbirgt: »Er legte die Hand ans Ohr, lachte ranzig und beeilte sich gespielt (oder vielmehr gespielt gespielt): ›Wo soll ich unterschreiben?‹« Weil mit »gespielt gespielt« jener zentrale Dreh bezeichnet ist, der sich auf S. 65 offenbart, indem er fehlt: »Dennoch, ich beschloss, unsere gefiederten Freunde künftig als Botschafter meiner Mutter zu betrachten« – dass das kursiv gesetzt ist, beleuchtet die Schwäche der Erzählung »Rotkehlchen«, denn eigentlich macht es Schulz doch aus, dass er, bei allem Barock, sprachlich Abgelegtes und Abgegriffenes ohne ironische Ostentation, als zart zu Bewahrendes einzupassen versteht, wie sein Generalthema, mag man finden, das Abgelegte und Abgegriffene ist. Doch wo die Mutter stirbt und die knappe Eigentlichkeit des Tons das Autobiographische markiert, wird es gleich, so pietätlos muss ich sein, fad und sogar sinnlos, denn gar nicht zu spielen ist etwas ganz anderes, als gespielt zu spielen, denn das ist ja wiederum Spiel. Aus ähnlich erhellendem Grund funktioniert auch die Folgeerzählung nicht, die eine in Briefen ist, und soll das Vokabular Zeitgenossenschaft zeigen, muss, weil eine erzählerische Bande fehlt, die Distanz platt ausformuliert werden: »Voll krass! (Sagt man das überhaupt noch, auch in unserem Alter?)« Das ist nur gespielt.

Alle anderen Erzählungen sind freilich mehr oder minder super, weil uns Hören und Sehen gerade nicht vergeht: »Er spürt die Gerstenbrause in den Adern rauschen wie einen Jazzbesen«, das ist evtl. jetzt schon der herrlichste Prosasatz des Jahres. Und der zweitbeste: »Die Haare fein wie Spinnweben, wie Gneis die Haut, und während der Schaum auf den Bieren knisterte, schauten seine wasserklaren Augen quer durch die Seelen der letzten Gäste.« Und ob nun, Gartenstuhlbelletristik zu kennzeichnen, Schulz’ »Schlittschuh für das gefrorene Meer in uns« schöner ist oder mein »Fön für das gefrorene Meer in uns« (TITANIC 7/2013), ist Geschmackssache. Und alles andere bitte die der Germanistik.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg