Humorkritik | August 2018

August 2018

»Beim Abendessen gerieten selbst die faulsten Zungen ins Schwätzen. Da wurde von allem und jedem geredet, wer sich neue Hosen hatte machen lassen und wie es im Innern der Erde aussehe und wer ­einen Wolf erblickt hatte; hier gab’s auch eine Menge Witzbolde, an denen ja unter den Kleinrussen kein Mangel ist.«
Nikolai Gogol, »Der Wij«

Die ziemlich große Gadsby

Hannah Gadsbys Stand-up-Special »Nanette«, abrufbar bei Netflix, möchte ich vor allem deshalb empfehlen, weil es mir Hoffnung macht. Denn die australische Komikerin, die man aus der heiteren, aber keinesfalls ­naiven oder eskapistischen Serie »Please Like Me« (auch Netflix) kennen könnte, ­findet mit diesem Programm einen Weg aus der Sackgasse, in der komische Kunst zu stecken scheint. Das respektlose Scherzen über die Zumutungen der Welt, die Nutzung dieser (vermittelten) Welt als Material für ­alberne bis zynische Lusterzeugung, war und ist unverkennbar ein Vergnügen, das man sich leisten können muss, und somit wie jeder gesellschaftlich-soziale Luxus männlich, weiß und mittel- bis oberschichtlich dominiert. Spätestens seit sich besonders im englischsprachigen Raum die ­Vorbilder (Gadsby selbst nennt etwa Bill Cosby) teils unrettbar desavouiert ­haben, liegt auch ein Schatten auf ­Methodik und Disziplin selbst. Und es ist ­somit überfällig, dass komische Künstler­innen jeden Geschlechts und jeder Herkunft sich davon befreien können, nur als Spartengeschöpfe zu existieren – und ohne in den komik­hinderlichen Modus zu geraten, den törichte Betrachter »politische Korrektheit« schimpfen.

Gadsby verhandelt das mit allen Mitteln, die sich für Bühnensolisten etabliert haben, aber mit einem Twist ins Eigentliche, der ­weder sentimental noch belehrend ist, sondern konsequent und wirkungsvoll. Zu ­Beginn scherzt sie mittels vermeintlich ­authentischer Anekdoten (etwa, dass sie mal wieder von einem Typen für einen Mann ­gehalten wurde, einen schwulen zudem, und so dem Vorwurf der Anmache seiner Freundin entkam), politischer, sozialer und sprachlicher Beobachtungen (die Farbe Blau solle für alle Geschlechter gelten, schließlich sei sie widersprüchlich: z.B. wenn etwas überrascht, komme es »out of the blue«, ­geplant werde aber mit »blueprints«) und spielt damit gezielt die Rolle, die sie in ­Australien erfolgreich gemacht hat: die einer etwas missmutigen Lesbe. Doch nach einer Weile stört sie sich an ihrer Methode der ­öffentlichen Selbsterniedrigung, die zwar Lacher erzeugt, aber keine Befreiung erlaubt, da sie Demütigungen einfriert; ab jetzt ­behauptet sie immer wieder, Comedy auf­geben zu wollen. Mittels einer luziden ­Komiktheorie – Witz ist Spannung und ­Lösung dieser; und dank ihrer Herkunft als unerwünschtes Wesen im australischen »bible belt« kenne sie sich mit Angespanntheiten bestens aus – treibt sie in ihrem Programm ein Metaebenenspiel. Wie ein Zauberer, dessen Tricks noch funktio­nieren, wenn er sie verrät, hat sie einen ­großen Saal im Griff, wechselt zwischen leise und laut, ­wütend und versöhnend, ­erledigt unüberheblich und klug die ­gesamte Kunstgeschichte, vor allem Pablo Picasso, und lässt am Ende das Publikum mit einer unaufgelösten Spannung zurück, indem sie vorführt, was Pointen nicht leisten können. Und so erzeugt sie ein emotionales ­Theater, wie es einst Andy Kaufman mit ­anderen ­Methoden aufführte, und gibt dabei präzise orchestriert dem Selbstbespiegelungshumor des 21. Jahrhunderts einen ­höheren, kurrenten Sinn. Sie weiß, dass dieses Theater trotzdem eine Show bleiben muss, auch wenn man statt Phrasen der ­Betroffenheit echte Demütigung ausstellt – und sagt es auch. Aber sie kann ihr Publikum tief erwischen, gerade weil sie ihre ­Geschichte aus einem komischen Bühnenprogramm wachsen lässt. Möge Hannah Gadsby die Comedy noch lange nicht aufgeben, sie wird hoffentlich der Anfang von ­etwas Befreitem sein.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt