Humorkritik | März 2017
März 2017
R a t t e n g i f t.
Heutzutage muß die Komik fein sein, so fein, daß man sie gar nicht mehr sieht; wenn dann die Zuschauer sie dennoch bemerken, so freuen sie sich zwar nicht über das Stück, aber doch über ihren Scharfsinn, welcher da etwas gefunden hat, wo nichts zu finden war. Überhaupt ist der Deutsche viel zu gebildet und zu vernünftig, als daß er eine kecke starke Lustigkeit ertrüge.
S c h u l m e i s t e r.
Ja ja, er lacht nicht eher, als bis er sicher ist, daß er sich nachher wird förmliche Rechenschaft zu geben vermögen, warum er gelacht hat!
Chr. D. Grabbe, »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung«
Für Hadergläubige
Schöne Szenen hat er schon, der neue Film mit (und erste Film von) Josef Hader, »Wilde Maus«. Wenn der entlassene Musikkritiker, überforderte Ehegatte und Möchtegernmörder Georg auf möglichst großartige Weise Suizid verüben will, nämlich durch Komasaufen plus Erfrieren im Gebirge, so scheitert der Sterbeversuch daran, daß sich die Schlafpillen in der Whiskyflasche nicht auflösen lassen. Wird Georg dann, während er noch die Flasche schüttelt, von zwei stummen Insassen eines Traktors aufgestöbert, die ihn retten wollen, und flieht, nur mit Unterhose bekleidet, durch den verschneiten Wald, die beiden wortlosen Landbewohner immer zehn Meter hinterdrein stapfend, dann ist das nicht allein die langsamste Verfolgungsjagd der Welt, es ist auch komisch-bizarr und eindrucksvoll lächerlich (musikalische Unterstützung der Szene: Antonio Vivaldi). Oder wenn Georg wegen immer schlimmerer Missetaten auf der Polizeistube landet, dort aber weder Strafe noch Kartharsis auf ihn warten, sondern ganz im Gegenteil ein freundlicher Polizist und Fan seiner Rezensionen: »Wenn Sie jemanden so richtig niederbügeln, so ironisch, das ist wie beim Alfred Polgar! Haben Sie den schon einmal gelesen? Da schiffen Sie sich an!« Oder jede einzelne Szene mit Georg Friedrich als proletarischem Achterbahnbesitzer Erich.
Für solche Szenen muß ich dem Film allerdings eine ganze Menge glauben. Daß ein entlassener Musikkritiker 1. seiner Frau, die ein Kind von ihm will, den Rauswurf verschweigt, 2. jeden Tag das Haus verläßt, als würde er noch ins Büro gehen, 3. seinen Ex-Chef als Rächer verfolgt, 4. dessen Auto zerkratzt, 5. dessen Hausfassade ruiniert, 6. Schießunterricht nimmt und dem Ex-Chef 7. schließlich in sein Ferienhaus folgt, um ihn zu töten, scheint mir zwar möglich, aber doch eher ungewöhnlich. Eine Erklärung, was mit diesem gutsituierten Ex-Feuilletonisten und Neo-Arbeitslosen denn eigentlich psychisch sonst so los ist, gibt es nicht, der Film eskaliert recht quickly: Da Georg schon in den ersten Minuten gefeuert wird, stürzt er ab, noch bevor wir ihn kennengelernt haben, und also sehe ich einem mir Unbekannten 100 Minuten beim Durchdrehen zu. (Nebenbei gehen auch noch einige Handlungsfäden verloren: Erich, der für eine Weile benötigt wird, um Georg seine Aussteigerträume träumen zu lassen, gleitet irgendwann still aus dem Film, die Geschichte des gemeinsam betriebenen Fahrgeschäfts »Wilde Maus« wird nicht fertigerzählt, und auch der Gegenangriff, den der Ex-Chef schließlich auf Georg unternimmt, versandet.)
Man muß sich Josef Hader vielleicht als katholisch geprägten Menschen vorstellen. So wie man, um all die Pracht und den Prunk und die schnörkelige Herrlichkeit der Sancta Romana Ecclesia genießen zu können, viel Unsinn schlucken muß – jungfräuliche Geburt, Auferstehung, Heilige Geister, sprechende Tiere –, so muß man wohl auch, um der »Wilden Maus« etwas abzugewinnen, einige Steilheiten akzeptieren. Wenn man denn mag.