Humorkritik | Oktober 2016

Oktober 2016

»Nicht lachen dürfen heißt eine Sache nicht ernst nehmen müssen. Nur wenn auch Lachen erlaubt ist, kann man gerecht sein.«
Hermann Kant

Wichsige Werbung

Ich habe wenig gegen das, was häufig voreilig und abfällig als »Altherrenhumor« abgetan wird, denn ich bin selbst ein alter Herr und möchte mir nicht mit Überlegungen zu Geschmack oder etwas so Schwammigem wie »Niveau« das Lachen vermiesen lassen. Wenn ich nun aber per Slogans wie »Bei Samenstau schütteln«, »Oralverzehr: Schneller kommst Du nicht zum Samengenuß« oder »Besamt & befruchtet« zum Verzehr eines mit Chiasamen versetzten Smoothies aufgefordert werde, kann ich über die wichsige Frechheit nicht lachen.

Weswegen aber? Man müßte ja eigentlich meinen, ich sollte mich nicht über sexuelle Anspielungen und Kalauer erregen (höhö), veröffentliche ich doch meine Ergüsse (hoho) in einem Blatt, das sich für keine Entblößung schämt (hehe) und keine Gelegenheit ausläßt (kicher), um fickibumsiblablabla. Nun ja, will sagen: Es ist zum einen einfach, mit Zweideutigem Aufmerksamkeit zu erzeugen, das Komik zum Verwechseln ähnlich sieht. Zum anderen ist es mir nicht gleich, zu welchem Zweck es eingesetzt wird. Denn die Firma »True Fruits« (aus dem Gossenenglisch übersetzt übrigens: »wahre Schwuchteln«, tadaaa, Tusch!) verdirbt mir nicht nur den Genuß ihrer Produkte – schließlich möchte ich beim Fruchtbreitrinken nicht an Sperma erinnert werden –, sie geht auch mit jener stolzen Schamlosigkeit vor, die sonst Satirikern und anderen nicht produktgebundenen Spaßmachern unterstellt wird und realiter jede spaßträchtige Ambivalenz nimmt. Vor allem, wenn auch noch ein gleichfalls dämliches Werbeverbot in München das kalte Bauernprodukt adelt.

Ja, ich möchte noch weiter gehen: Es ist die zwar nicht neue, aber nun alle Schamgrenzen für erledigt erklärende Ulkigkeit für den schnöden Zweck, diese Beschmutzung einer guten Profession, des Witze- und Possenreißens, durch ihre Unterordnung unter den Verkaufszweck, die dafür sorgt, daß mir das Sperma im Halse steckenbleibt. Es ist kein Wunder, daß die Branchenseite »Meedia«, die bei aggressiveren Scherzen sonst gerne die Nase rümpft, hier lobend feststellt: »Das ist tatsächlich frech und witzig, ohne zu sehr in die klebrige Altherrenwitzecke abzugleiten.« Denn in dieser Welt adelt der Verkaufszweck auch die Zote – steht sie aber nackt, scheinbar zwecklos, dann ist sie von schlechtem Geschmack, denn wo käme man mit bloßem pubertären Altherrenvergnügen hin, wenn es nicht mindestens Konsum und Kaufkraft fördert? In eine vergnüglichere Welt am Ende?

Es wird hier nach dem gleichen Prinzip vorgegangen wie bei der Firma Sixt, die auf eine Unterlassung einer Anzeigenparodie in TITANIC klagte. Für die schnelle Aufmerksamkeit bedient sich Sixt gerne satirischer Methoden, nicht selten sexistischer und rassistischer Motive, zahlt auch mal aus der großen Kasse Beleidigte aus, solange darüber kostenlos berichtet, also: für sie geworben wird. Wenn aber einmal die Mietwagenfirma mit ihren eigenen Methoden in einen Nachrichtenkontext gesetzt wird, der wirklich zu ihrem Geschäft paßt, nämlich dem per Miet-Lkw begangenen Massenmord von Nizza, dann hört der Spaß natürlich auf. Gag sells. Mehr als ein Verkäufer darf er aber nicht sein.

Lassen Sie es einen in diesem Fall wütenden alten Mann einmal so sagen bzw. poltern: Werbung ist letztlich nur penetrantes Gewichse. Glauben Sie nicht? Dann schlucken Sie diese Zeilen, die sich auf den Smoothie-Flaschen befinden: »Meine Samen und Herren, wir bitten um Ihre Aufmerksamenkeit! Das ist unser neuer bedeutsamener Chia yellow. Aber seien Sie achtsamen: Die Chiasamen können sich in Ihren Zähnen samenln. Er wäre ratsamen, Ihre Zähne sorgsamen zu reinigen.«

Man möchte mit einem Lkw in eine True-Fruits-Fabrik rasen!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt