Humorkritik | Februar 2016

Februar 2016

»Daß ich nicht lache.
Daß ich nicht herzlich lache.
Daß ich nicht sehr herzlich lache.«
Gerhard Fritsch, »Katzenmusik«

Piloten, die nicht landen konnten

Über zweitausend »unverkaufte Piloten«, also erste Folgen von Fernsehserien, versammelt Lee Goldberg in seinem Standardwerk »Unsold Television Pilots« von 1989, das dieses Jahr in einer überarbeiteten Fassung wiedererschienen ist (bei »Adventures in Television«, als Import erhältlich). Fast 800 Seiten US-amerikanischer Fernsehmagie also – aber solche von leicht angeschlagenen Zauberern, deren Tricks nicht ganz so geschmeidig laufen; wo man den Hasen im Zylinder husten hört, und die Taschentücher, die aus dem Ärmel gezaubert werden, schon ein paar unübersehbare Flecken haben.

Genau darin liegt der Unterhaltungswert dieses brillanten Toilettenbuches. Man schlägt es irgendwo auf, liest zwei oder drei Serienskizzen und fragt sich, wer es jemals für eine gute Idee halten konnte, aus »Breakfast at Tiffany’s« eine Serie mit Stefanie »Hart aber herzlich« Powers als Holly Golightly zu machen. Auflösung: der Sender ABC, der Paramount genau damit 1969 beauftragte. In der ersten Folge sollte Holly Golightly in ein neues Apartment ziehen und, huch!, aus Versehen eine Party mit allerlei schrägen Gästen feiern, die seltsame Dinge treiben. Wer da hätte mitfeiern können!

Interessanterweise spürt man aber gerade durch diese gescheiterten Piloten – manche davon wurden tatsächlich produziert, andere starben bereits in der Entwicklung den Gnadentod – den Zeitgeist der jeweiligen Fernsehepoche wehen. So deutlich, daß man ohne weiteres ein Quiz veranstalten könnte, bei dem man anhand der Inhaltsbeschreibung auf das Jahrzehnt schließen müßte, in dem diese Serie entstanden wäre.

Alsdann: Wann wurde wohl »Triplecross« erdacht, eine Serie um drei ehemalige Polizistinnen, die, von einem dankbaren Milliardär zu Millionärinnen gemacht, stets um viel Geld wetten, wer zuerst den Kriminalfall der Woche löst? Klar, das können nur die Achtziger gewesen sein, in denen ja auch biedere Hausfrauen als Agentinnen arbeiten konnten (»Agentin mit Herz«, CBS). Zu welcher Zeit hätte man wohl einem Taugenichts dabei zusehen wollen, wie er durch die Welt gondelt, sich mit allerlei Tricks über Wasser hält und mit Patience-Karten die Zeit totschlägt? Nie, versteht sich, aber produziert worden wäre dies beinahe im Jahr 1961 (»Solitaire«, Warner Bros.). Und wann kamen amerikanische Produzenten wohl auf die Idee einer Versteckte-Kamera-Show namens »Stake out« – mit echten (!) Raubüberfällen? Und zwar mit solchen, von denen die Polizei im vorhinein Wind bekommen haben sollte? (Auf wöchentlicher Basis – wie hätte das je funktionieren sollen?) So daß die Zuschauer »live on tape« hätten miterleben können, wie Ganoven von der tapferen Polizei von San Diego überwältigt werden? Nein, das wäre wohl nicht mal 1956/57 gegangen, denn auch damals hätten die überführten Verbrecher natürlich ihre Genehmigung erteilen müssen, diese Aufzeichnungen auch auszustrahlen.

Und so sind uns auch luxemburgische Aristokraten erspart geblieben, die mit ihrem Wohnmobil durch die USA reisen, um Artikel über ihre Abenteuer zu schreiben (»Baron Gus«, CBS-Drama, 1961/62), Leonard Nimoy als Rennfahrer, der nach einem Unfall übernatürliche Fähigkeiten entwickelt und fortan Polizei und Regierung hilft (»Baffled«, 1973, NBC) – und auch »Morning Maggie« (1987/88, CBS-Comedy), die lustigen Abenteuer einer Familie, die während der 50er-Jahre eine Radiostation besitzt: Die Mutter als Host der morgendlichen Talkshow, ihr Mann als Nachrichtenredakteur, die Tochter als Produzentin von Soap Operas. Und die ältliche Tante hätte die Musik ausgesucht. Das hätte wohl nicht einmal Hank Azaria (»Simpsons«) gerettet, der schon eingeplant war.

Ewig schade aber wird es sein um »Madame Sin« (ABC, 1972): Bette Davis als auf einem schottischen Schloß residierende Dragon Lady – ein amerikanisches Stereotyp für eine ostasiatische Femme fatale –, die einen früheren CIA-Agenten (Robert Wagner) entführt, ihn mittels Strahlenkanone einer Gehirnwäsche unterzieht und als Mitglied eines hochtechnisierten internationalen Geheimagenten-Kommandos einsetzt. In der ersten Folge sollte er ein Polar-U-Boot stehlen. Das hätte ich zu gerne gesehen!

Manche Serienkonzepte waren ihrer Zeit vielleicht einfach zu weit voraus. Denn woran erinnert noch mal »Miss Brewster’s Millions« (1961/62), eine Sitcom, in der eine Witwe erfährt, daß ihr verstorbener Mann seine Millionen durch Betrügereien gemacht hat, und die anschließend versucht, den Betrogenen das Geld zurückzugeben? Richtig, an »My Name Is Earl«, das von 2005 bis 2009 recht erfolgreich auf NBC lief.

Vielleicht ist »Unsold Television Pilots« also nicht nur Stoff für heitere Minuten, sondern auch eine Fundgrube für die Fernsehmacher von morgen. Mal sehen, was RTL von einem Polizisten hält, der gleichzeitig Vampir ist … oder von einer familiengeführten Raumstation, wo es den letzten selbstgebackenen Apfelkuchen der Welt gibt… oder von einem schwarzen Jazzmusiker und einem weißen Rennfahrer, die entdecken, daß sie Brüder sind … ach, es gibt so viele gute Ideen! Nur halt leider nicht in »Unsold Television Pilots«.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt