Humorkritik | April 2012

April 2012

Komiker Kant

Daß Immanuel Kant Königsberg nie verlassen habe, ist nur eine Legende. Tatsächlich gelang es dem Philosophen hin und wieder, die Stadtgrenzen zu überschreiten, wenngleich seine weiteste Reise ihn gerade einmal auf das Gut Goldap des preußischen Generals von Lossow führte, wenige Meilen vor der russischen Grenze. Gelegentlich wagte er sich nach Moditten hinaus, eine Meile hinter Königsberg, um in den Semesterferien seinen Geist in der Gesellschaft des Oberförsters Wobser eine Woche ruhen zu lassen. Eine größere Reise plante Kant erst 1803, als er nur durch eine einschneidende Luftveränderung seine Blähungen loswerden zu können glaubte. Aber da war es, ein Jahr vor seinem Tod, schon zu spät, sein Körper machte nicht mehr mit.

Vermutlich nicht nur sein Körper. Auch sein Geist wollte nicht mehr in philosophische Höhen hinaufsteigen, sondern suchte festen Halt in Erdbodennähe: Nachdem Kant jahrzehntelang über Vernunft, Moral und Tugend aufgeklärt hatte, wollte er nun für den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unkenntnis in Sachen Erd-, Pflanzen-, Tier- und Völkerkunde sorgen. Das Ergebnis war die 1802 erschienene »Physische Geographie«, in der Kant all sein Weltwissen versammelte – ein Werk von erklecklicher Komik.

Denn der Königsberger Stubengelehrte weiß nicht nur Bescheid über die Tiere seiner Heimat, den Bären zum Beispiel: Der »ist ein großer Honigdieb, klettert auf die Bäume und wirft sich gleich einem zusammengeballten Klumpen herab.« Er kennt, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen, auch die Fauna der Tropen: »Das surinamische Hirschchen ist nicht einmal so groß wie ein Hase. Sein in Gold eingefaßtes Füßchen wird zum Tabakstopfen gebraucht.« Zu schweigen von der Meeresfauna, in der sich zum Beispiel »der Krak, das größeste Tier in der Welt« tummelt: »Wenn dieser heraufkommt, so nimmt er einen ungeheuren Umfang ein. Er soll große Zacken haben, die wie Bäume über ihn hervorragen.«

Die Flora des von Königsberg weit entfernten Erdballs bereitet Kant in seiner ostpreußischen Studierkammer genausowenig Schwierigkeiten. »Auf Hispaniola gibt es einen Baum, der giftige Äpfel trägt, dessen Schatten selbst gefährlich ist«, weiß er beispielsweise zu vermelden und der unbelebten Natur ebenfalls ihre Geheimnisse zu entlocken: »Das Meerwasser ist durchsichtig, welches von dem Salze herkommt.« Spaßig sind obendrein manche Gattungsnamen, wenn etwa die Quallen »Rotzfische« heißen und die Robben »Wassersäue«; und selbst wenn der gelernte Philosoph sich an sein altes Geschäft erinnert und eine Definition liefern zu müssen glaubt, klingt es komisch: »Der Wind ist dasjenige in Ansehung der Luft, was ein Strom in Ansehung des Meeres ist.«

Schön komisch ist auch, was Kant über die Völker der Welt weiß. Von keiner Erfahrung behindert, kann er einfache Merksätze formulieren: »Chile hat muntere und kühne Einwohner«, oder: »Die meisten orientalischen Nationen finden an großen Ohren ein besonderes Vergnügen.« Wie jeder schlechte Schütze trifft er manchmal ins Schwarze: »Die Mohren und andere Völker zwischen den Wendekreisen können gemeiniglich erstaunend laufen.« Meistens aber gibt er Fakten zum besten wie diese: Die Papuas, meldet Kant, »können die Augen nicht recht aufmachen«; die Hottentotten »sind sehr ehrlich und sehr keusch, auch gastfrei, aber ihre Unflätigkeit geht über alles. Man riecht sie schon von weitem«; und grausam, aber ordentlich halten es die »Anzikos«: »Bei ihnen soll nach dem Berichte der Missionarien Menschenfleisch von ordentlich dazu geschlachteten fetten Sklaven auf dem Markte feil sein.«

Fragt sich nur, wozu das Studium einer solchen »Physischen Geographie« gut sein soll. Kant weiß es: »Der Nutzen dieses Studiums ist sehr ausgedehnt. Es dient zur zweckmäßigen Anordnung unserer Erkenntnisse, zu unserem eigenen Vergnügen und gewährt reichen Stoff zu gesellschaftlichen Unterhaltungen.« Wo Kant recht hat, hat er jedenfalls nicht unrecht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg